Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Wiederherstellung der Geprägerechtsprechung

 

Leitsatz (NV)

Die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides kann nicht mit der Begründung gewährt werden, das FA habe mit der Auswertung eines Betriebsprüfungsberichtes nicht bis zum rückwirkenden Wiederinkrafttreten der Geprägerechtsprechung (Steuerbereinigungsgesetz 1986) warten dürfen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; AO § 127

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Antragstellerin, eine KG, befaßt sich ausschließlich mit der Verwaltung eigenen Grundbesitzes. Persönlich haftende und allein zur Geschäftsführung befugte Gesellschafterin ist die X-GmbH. Demzufolge erklärte die Antragstellerin ihre Einkünfte - entsprechend der sog. Geprägerechtsprechung als solche aus Gewerbebetrieb. Im Streitjahr (1979) löste sie eine Rücklage auf, die sie im Jahre 1977 nach der Veräußerung eines Grundstücks für den daraus erzielten Veräußerungsgewinn steuermindernd nach § 6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) gebildet hatte. In der Zeit vom Juni 1982 bis zum September 1984 fand bei der Antragstellerin - mit Unterbrechungen - eine Betriebsprüfung statt. Der Betriebsprüfungsbericht vom 27. September 1984, der der Klägerin am 14. November 1984 zur Stellungnahme übersandt wurde, ging trotz des inzwischen ergangenen Beschlusses des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) weiterhin davon aus, daß die Klägerin gewerbliche Einkünfte erzielt habe. In ihrer Stellungnahme vom 17. Dezember 1984 wies die Antragstellerin darauf hin, daß durch diesen Beschluß die Geprägerechtsprechung aufgegeben worden sei. Gleichzeitig bat sie um eine weitere Frist für die abschließende Stellungnahme bis zum 10. Januar 1985 und kündigte die Abgabe einer berichtigten Steuererklärung an.

Der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) erließ auch nach Ablauf dieser Frist zunächst keinen Gewinnfeststellungsbescheid 1979. Die Behörde folgte insoweit dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 10. Januar 1985 (BStBl I, 48) zur Aufgabe der Geprägerechtsprechung, in der die Finanzämter gebeten wurden, ,,. . . vorerst bis auf weiteres von dem Erlaß von Feststellungsbescheiden . . . abzusehen, wenn es für die jeweilige Entscheidung auf die Anwendung oder Nichtanwendung der sog. Geprägerechtsprechung ankommt". Erst nach Inkrafttreten des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19. Dezember 1985 - StBereinG 1986 - (BGBl I, 2436, BStBl I 1985, 735) erließ das FA am 11. September 1986 einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 1979 auf der Grundlage der Feststellungen der Betriebsprüfung. Es stellte darin Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von . . . DM fest.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Die Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin mit der Beschwerde angefochten. Zugleich beantragt sie, die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1979 vom 11. September 1986 in Höhe von . . . DM auszusetzen.

Das FA beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Abs. 2 der Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung angefochtener Verwaltungsakte aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestehen. Der Steuerpflichtige kann im Wege der Aussetzung der Vollziehung jedoch nicht mehr erhalten, als er mit dem in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittel erreichen könnte (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. März 1970 IV B 14/69, BFHE 98, 458, BStBl II 1970, 461).

Es kann dahinstehen, ob der streitige Gewinnfeststellungsbescheid deswegen unter einem Verfahrensfehler leidet, weil das FA mit der Veranlagung gewartet hat, bis sich die Rechtslage zuungunsten der Antragstellerin geändert hatte. Jedenfalls könnte der angefochtene Verwaltungsakt selbst dann nicht aufgehoben werden, wenn der von der Antragstellerin behauptete Mangel vorläge.

Nach § 127 der Abgabenordnung (AO 1977) kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 125 AO 1977 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustandegekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Der Senat hat wiederholt darauf hingewiesen, daß in dieser Vorschrift - wie in dem gleichlautenden § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck kommt, Verfahrensmängeln im Verwaltungsverfahren ein geringeres Gewicht als sachlich-rechtlichen Mängeln beizulegen und rechtlich gebundene Verwaltungsakte, für die weder ein Ermessen noch ein Beurteilungsspielraum besteht, bestehen zu lassen, wenn sie sich materiell-rechtlich als zutreffend erweisen (Urteile vom 22. September 1983 IV R 109/83, BFHE 140, 132, BStBl II 1984, 342; vom 19. Februar 1987 IV R 143/84, BFHE 149, 121, BStBl II 1987, 412). Dabei kommt es trotz der Formulierung ,,hätte getroffen werden können" nicht auf die Rechtslage zu dem Zeitpunkt an, zu dem der Verfahrensfehler begangen wurde, sondern auf die rechtliche Situation, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestand. Denn einem etwaigen Anspruch auf Aufhebung des formell fehlerhaften Verwaltungsaktes könnte das FA den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten, wenn im Anschluß an die Aufhebung materiall-rechtlich wieder ebenso wie bisher entschieden werden müßte (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 6. September 1988 4 C 26/88, Buchholz, BVerwG 310, § 113 VwGO Nr. 188 zum Anspruch auf Folgenbeseitigung).

So verhält es sich im Streitfall. Wegen der Rückwirkung der Wiederherstellung der Geprägerechtsprechung durch Gesetz, die nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (Urteil vom 10. Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811), müßte der streitige Gewinnfeststellungsbescheid, wenn er aufgehoben würde, mit seinem bisherigen Inhalt neu erlassen werden.

Unzuträglichkeiten, die sich in einzelnen Fällen aus der Rückwirkung der gesetzlichen Wiederherstellung der Geprägerechtsprechung ergeben können, ist im Billigkeitswege zu begegnen (vgl. auch Urteil des Senats vom 12. Januar 1989 IV R 67/87, BFHE 155, 484, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 287). Die Finanzverwaltung hat eine Übergangsregelung für solche Gesellschaften erlassen, die keine steuerlichen Vorteile aufgrund der Anwendung der Geprägerechtsprechung in Anspruch genommen, sondern sich im Gegenteil gegen ihre Behandlung als Gewerbetreibende gewehrt und mit dieser Begründung die Steuerpflicht von Veräußerungs- und Entnahmegewinnen bestritten haben (BMF-Schreiben vom 17. März 1986, BStBl I 1986, 129). In solchen Fällen sollen Veräußerungs- und Entnahmegewinne nach § 163 AO 1977 außer Ansatz bleiben. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin zu dem Kreis der von der Übergangsregelung Begünstigten gehört. Jedenfalls kann über einen Antrag auf Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht im gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid und dem sich hieran anschließenden Rechtsbehelfsverfahren entschieden werden (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1977 I R 247/74, BFHE 124, 199, BStBl II 1978, 305).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416647

BFH/NV 1990, 311

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