Entscheidungsstichwort (Thema)

Klagenanbringung beim FA: Adressierung an das FAund dessen Kenntniserlangung

 

Leitsatz (NV)

Für das Anbringen einer Klage beim FA gemäß § 47 Abs. 2 FGO genügt es, wenn diese in einem verschlossenen und postalisch an das FG adressierten Briefumschlag in den Briefkasten des FA eingeworfen oder beim FA abgegeben wird. Die Klageschrift muß nicht derart in den Verfügungsbereich des FA gelangen, daß es von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Umgekehrt schadet es aber auch nicht, wenn die Klageschrift statt an das FG an das FA adressiert ist und von diesem zur Kenntnis genommen wird. Maßgebend ist allein, daß die Klage als solche erkannt wird und an das zuständige FG weitergeleitet werden kann (Anschluß an BFH- Urteil vom 26. April 1995 I R 22/94, BFHE 177, 237, BStBl II 1995, 601).

 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), eine GmbH, hatte ihre Klage wegen Körperschaftsteuer 1988 an den Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt -- FA --) adressiert, der sie an das Finanzgericht (FG) -- weitergeleitet hatte. Dieses hielt die Klage für zulässig und begründet (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1996, 832). Ihrer Zulässigkeit stehe die Adressierung der Klageschrift an das FA nicht entgegen. § 64 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestimme nichts anderes. Erhoben sei die Klage hiernach dann, wenn sie bei Gericht eingehe. Auf die Adressierung an das FG komme es nicht an. Dies ergebe sich aus § 47 Abs. 2 FGO, wonach die Frist für die Erhebung der Klage als gewahrt gelte, wenn sie innerhalb der Frist beim FA angebracht werde. Dem sei zwar auch dann genügt, wenn die Klage ungeachtet ihrer Anbringung beim FA an das FG gerichtet sei. Andererseits schade die Adressierung an das FA auch nicht, solange das Schriftstück trotz seiner Adressierung nur als Klage erkennbar sei.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich das FA mit seiner Beschwerde. Es sieht in dem FG-Urteil eine Abweichung von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. April 1995 I R 22/94 (BFHE 177, 237, BStBl II 1995, 601). Danach könne eine Klage gemäß § 64 Abs. 1 FGO nur bei Gericht erhoben werden. Erhoben sei die Klage erst, wenn sie bei Gericht eingehe. Lediglich für diesen Fall sehe § 47 Abs. 2 FGO vor, daß die Klagefrist als gewahrt gelte. Folglich dürften an das "Angebrachtsein" in § 47 Abs. 2 FGO nicht die gleichen Anforderungen wie an das "Erheben der Klage" gestellt werden. Damit komme zum Audruck, daß eine an das FA adressierte Klage nicht bei Gericht erhoben worden sei und daß die Voraussetzungen der Klageerhebung begrifflich nicht auf das bloß zeitliche Moment des Zugangs der Klage bei einem FA oder einem FG reduziert werden können. Das FG sei davon abgewichen, wenn es der Adressierung der Klage an das FG für deren Erhebung keine Bedeutung beimesse. Der BFH habe überdies klargestellt, daß § 47 Abs. 2 FGO eine Vorschrift sei, die nicht die Erhebung der Klage, sondern nur die Fristwahrung für eine noch zu erhebende Klage regele. Das FG gehe demgegenüber davon aus, daß das Angebrachtsein der Klage beim FA nach Weiterleitung der Klage an das FG die Erhebung der Klage impliziere. Darin liege eine weitere Abweichung. Schließlich habe der BFH ausgeführt, daß es sich erkennbar dann um ein für das FG bestimmtes Schriftstück handele, wenn sich dies aus der postalischen Adressierung ergebe. Das FG weiche auch davon ab, wenn es ausführe, für die ordnungsgemäße Klageerhebung sei nur von Bedeutung, ob das Schriftstück als Klage erkannt werden könne.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 64 Abs. 1 FGO ist die Klage bei dem Gericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. "Gericht" in diesem Sinne ist grundsätzlich das sachlich und örtlich zuständige Gericht (§§ 35 ff., FGO; Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 64 FGO Rdnr. 14). Die Wirkungen der Rechtshängigkeit treten jedoch ebenfalls ein, wenn die Klage nicht an das zuständige Gericht gerichtet wird, aber bei diesem dennoch eingeht. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Klage zur Wahrung der Klagefrist nicht beim FG, sondern gemäß § 47 Abs. 2 FGO beim FA angebracht wird.

Aus dem Senatsurteil in BFHE 177, 237, BStBl II 1995, 601 ergibt sich nichts anderes; entgegen der Annahme des FA ist die Vorinstanz hiervon nicht abgewichen. In seiner Entscheidung hat der Senat zwar ausgeführt, daß die Begriffe des "Angebrachtseins" i. S. von § 47 Abs. 2 FGO und des "Erhebens einer Klage" i. S. von § 64 Abs. 1 FGO unterschiedlichen Anforderungen unterliegen. Diese Abgrenzung bezieht sich jedoch allein auf die Erkenntnis, daß es für das Anbringen der Klage beim FA gemäß § 47 Abs. 2 FGO genügt, wenn dieselbe in einem verschlossenen und postalisch an das FG adressierten Briefumschlag in den Brief kasten des FA eingeworfen oder beim FA abgegeben wird. Das FA muß lediglich erkennen können (beispielsweise aus der postalischen Adressierung), daß es sich um ein für das FG bestimmtes Schriftstück handelt; die Pflicht zur Kenntnisnahme des Inhalts der Klage ist damit nicht verbunden, weil die Klage beim Gericht und nicht bei der Behörde zu erheben ist. Insofern unterscheiden sich die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 47 Abs. 2 FGO und § 64 Abs. 1 FGO. Vor diesem Hintergrund ist es andererseits aber auch nicht zu beanstanden, wenn das Schriftstück mit der Klage vom FA gleichwohl zur Kenntnis genommen wird, weil es nicht an das FG, sondern an das FA adressiert ist. Maßgebend dafür, daß die Klage im Anschluß daran beim FG erhoben wird, ist allein, daß das FA die Klage ungeachtet ihrer Adressierung als solche erkennen kann und an das zuständige FG weiterreicht. Ist dies -- wie nach den Feststellungen des FG bei der Klage der Klägerin -- der Fall, ist die Klage beim FG eingegangen und damit erhoben worden. Unter diesen Umständen stimmen die tatbestandlichen Voraussetzungen in § 64 Abs. 1 FGO zur Klageerhebung und in § 47 Abs. 2 FGO zur Wahrung der Klagefrist (ausnahmsweise) überein, so daß ein Widerspruch zu dem Senatsurteil in BFHE 177, 237, BStBl II 1995, 601 unter keinem der vom FA angeführten Gesichtspunkte gegeben ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422104

BFH/NV 1997, 675

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