Leitsatz (amtlich)

Hebt der BFH im Beschwerdeverfahren ex tunc den Beschluß eines FG auf, durch den die Vollziehung einer Steuerschuld rückwirkend ab Fälligkeit ausgesetzt war, so ist es nicht ernstlich zweifelhaft, daß Säumniszuschläge auf diese Steuerschuld jedenfalls insoweit entstanden sind, als sie auf die Zeit vor Ergehen des Aussetzungsbeschlusses entfallen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3; StSäumG § 1

 

Tatbestand

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Antragsgegner) hat den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) durch Bescheid vom 11. April 1973 für die Jahre 1967 bis 1971 zur Kircheneinkommensteuer veranlagt, diese auf 117 316,96 DM festgesetzt und auf den 9. Mai 1973 fällig gestellt. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller nach erfolglosem Einspruchsverfahren am 7. Juni 1973 Klage erhoben und gleichzeitig beim FG beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen. Das FG hat die Vollziehung des Kircheneinkommensteuerbescheides durch Beschluß vom 24. Mai 1974 mit Wirkung ab Fälligkeit ausgesetzt. Diesen Beschluß hat der Senat durch Beschluß vom heutigen Tage aufgehoben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurückgewiesen.

Durch Bescheide vom 18. Juni, 16. Juli, 3. August, 2. Oktober und 3. Dezember 1973 hat der Antragsgegner wegen der oben genannten Forderung auf Kircheneinkommensteuer 1967 bis 1971 für die Zeit von Mai bis Dezember 1973 Säumniszuschläge im Gesamtbetrag von 9 384 DM angefordert. Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde erhoben. Außerdem hat er am 19. März 1974 beim FG beantragt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die festgesetzten Säumniszuschläge beizutreiben. Diesen Antrag hat der Antragsteller im wesentlichen damit begründet, daß der Antragsgegner im Verfahren wegen der Aussetzung der Vollziehung des Kircheneinkommensteuerbescheides dem Gericht gegenüber mit Schriftsatz vom 12. November 1973 erklärt habe, daß zu keiner Zeit beabsichtigt gewesen sei, den mit der Klage angefochtenen Kircheneinkommensteuerbescheid vor einer gerichtlichen Entscheidung im Aussetzungsverfahren zu vollziehen. Hierin liege eine rückwirkende Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides mit der Folge, daß der ursprüngliche Fälligkeitstermin aufgehoben und bis zur Entscheidung im Aussetzungsverfahren hinausgeschoben worden sei.

Das FG hat die Vollziehung der Bescheide ab 20. März 1974 ausgesetzt. Soweit die Bescheide im Zeitpunkt der Entscheidung bereits vollzogen waren, hat die Vorinstanz die Vollziehung aufgehoben und zur Begründung dieser Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Dadurch, daß die Vollziehung des Kircheneinkommensteuerbescheides vom 11. April 1973 durch Beschluß des FG vom 24. Mai 1974 mit Wirkung ab Fälligkeit ausgesetzt worden sei, sei die Fälligkeit der Kircheneinkommensteuerschuld hinausgeschoben. Werde die Fälligkeit einer Steuerschuld - wenn auch nachträglich - hinausgeschoben, lägen die Voraussetzungen für die Erhebung von Säumniszuschlägen zum ursprünglichen Fälligkeitszeitpunkt nicht vor. Danach sei es ernstlich zweifelhaft, ob der Antragsgegner die Säumniszuschläge zu Recht angefordert habe.

Der Antragsgegner begehrt mit der Beschwerde, den Aussetzungsbeschluß aufzuheben. Das FG habe nicht beachtet, daß die Bescheide vom 18. Juni, 16. Juli, 3 August und 2. Oktober 1973 bereits rechtskräftig seien. Im übrigen sei das FG zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Kircheneinkommensteuer am Fälligkeitstage nicht zu zahlen gewesen sei. Diese Rechtsansicht widerspreche § 242 AO, wonach durch Einlegung eines Rechtsbehelfs die Vollziehung nicht gehemmt werde. Die Auffassung des FG, daß bei nachträglichem Wegfall der Tatbestandsmerkmale des § 1 StSäumG die Säumniszuschläge entfielen, sei rechtlich nicht haltbar.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist begründet. Die Vorinstanz hat zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide über die Festsetzung von Säumniszuschlägen bejaht.

Der Senat folgt zwar nicht der Auffassung des Antragsgegners, daß eine Aussetzung der Vollziehung der Bescheide vom 18. Juni, 16. Juli, 3. August und 2. Oktober 1973 schon daran scheitere, daß diese Bescheide bestandskräftig geworden seien. Der Antragsgegner hat nämlich die Rechtsbehelfsfrist in den Rechtsbehelfsbelehrungen dieser Bescheide mit vier Wochen und damit zu kurz angegeben. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 7. November 1957 IV 155/56 U, BFHE 66, 118, BStBl III 1958, 46) wird eine Rechtsbehelfsfrist, die in der Rechtsbehelfsbelehrung zu kurz angegeben ist, nicht in Lauf gesetzt. Danach ist davon auszugehen, daß der Antragsteller seine Rechtsbehelfe gegen die Bescheide vom 18. Juni, 16. Juli, 3. August und 2. Oktober 1973 nicht verspätet eingelegt hat.

Nach § 1 Abs. 1 StSäumG, der nach Art. 18 Abs. 1 des Kirchensteuergesetzes - KiStG - (BStBl II 1967, 177) und Art. 1 Abs. 1 Nr. 3 des Bayerischen Gesetzes über die Anwendung von bundesrechtlichen Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts auf landesrechtlich geregelte Abgaben vom 12. Juni 1956 (GVB1 1956 S. 102) entsprechend anwendbar ist, wird für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v. H. des rückständigen Steuerbetrages verwirkt, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet ist. Der Zeitpunkt der Fälligkeit einer Steuerforderung, der sich unmittelbar aus dem Gesetz, durch Veranlagung oder - wie im Streitfall - durch Zahlungsaufforderung ergeben kann, kann durch die verschiedensten Maßnahmen, die gestaltend auf das Steuerschuldverhältnis einwirken, geändert werden. Dies ist denkbar durch Maßnahmen des Steuergläubigers (z. B. Stundung gemäß § 127 AO), aber auch durch gestaltend wirkende gerichtliche Entscheidungen.

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß in der Mitteilung des Antragsgegners vom 12. November 1973, daß zu keiner Zeit beabsichtigt gewesen sei, den mit der Klage angefochtenen Kircheneinkommensteuerbescheid vor einer gerichtlichen Entscheidung im Aussetzungsverfahren zu vollziehen, weder eine Stundung noch eine Aussetzung der Vollziehung gesehen werden kann. Mit einer solchen Auslegung der Erklärung des Antragsgegners wäre dessen Ankündigung im gleichen Schreiben unvereinbar, die "festgesetzten Säumniszuschläge jetzt beizutreiben".

Der Senat braucht im Streitfall nicht abschließend zu entscheiden, ob die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides - wie das FG meint - rechtlich zu einer Verschiebung der Fälligkeit der Steuerschuld führt oder ob sie einer Verschiebung der Fälligkeit lediglich in der praktischen Wirkung nahekommt. Der Senat kann auch offenlassen, ob es im Streitfall rechtmäßig war, die Vollziehung des Kircheneinkommensteuerbescheides mit Wirkung ab Fälligkeit der Steuerschuld - also rückwirkend - auszusetzen. Der Senat braucht schließlich auch nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Aussetzung der Vollziehung rückwirkend ab Fälligkeit der Kircheneinkommensteuerschuld die Voraussetzungen für die Entstehung der seinerzeit zu Recht angeforderten Säumniszuschläge nachträglich wieder entfallen ließ. Im Streitfall sind ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Senat den Aussetzungsbeschluß des FG vom 24. Mai 1974 aufgehoben hat, sich mithin an der Maßgeblichkeit des ursprünglichen Fälligkeitstermins der Steuerschuld nichts geändert hat. Wird nämlich der Aussetzungsbeschluß eines FG im Beschwerdeverfahren deshalb aufgehoben, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides von Anfang an nicht vorlagen, so entfällt der Aussetzungsbeschluß mit Wirkung ex tunc. Dies hat zur Folge, daß es nicht gerechtfertigt ist, wenn der Steuerschuldner die fällige Steuerschuld nicht fristgerecht erfüllt hat. Denn festgesetzte Steuern sollen unabhängig von einem etwa gegen die Veranlagung eingelegten Rechtsbehelf alsbald erhoben und beigetrieben werden (§ 242 Abs. 1 Satz 1 AO, § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO). Eine Ausnahme hiervon besteht u. a. insoweit, als die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung - etwa ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides - vorliegen. Ist dies nicht der Fall, ist es nicht gerechtfertigt, bei Säumigkeit des Steuerschuldners von der Erhebung von Säumniszuschlägen abzusehen. Hieran ändert nichts, daß die angefochtenen Bescheide im Streitfall nicht vollzogen werden durften, solange der Aussetzungsbeschluß des FG vom 24. Mai 1974 bestand. Entscheidend ist, daß es aufgrund der ex tunc wirkenden Entscheidung im Beschwerdeverfahren bei der Maßgeblichkeit des ursprünglichen Fälligkeitstermins der Kircheneinkommensteuerschuld verblieben ist.

Eine andere Entscheidung ist auch nicht aus der Erwägung gerechtfertigt, daß der Säumniszuschlag nicht ein Teil der Steuer ist, sondern als ein Druckmittel eigener Art angesehen wird, das den Steuerschuldner zur pünktlichen Zahlung anhalten soll (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 6 StSäumG Anm. 1). Säumniszuschläge entstehen allein durch Zeitablauf, ohne daß es auf ein Verschulden des Steuerschuldners ankommt (BFH-Urteil vom 17. Januar 1964 I R 256/59 U, BFHE 79, 385, BStBl III 1964, 371). Dem entspricht es, daß das Vertrauen eines Steuerschuldners auf den Fortbestand eines im Beschwerdeverfahren aufgehobenen fehlerhaften Aussetzungsbeschlusses der Verwirkung von Säumniszuschlägen regelmäßig nicht entgegensteht. Für einen Vertrauensschutz des Steuerschuldners ist insbesondere dann kein Raum, wenn der im Beschwerdeverfahren ex tunc aufgehobene Aussetzungsbeschluß - wie im Streitfall - erst ergangen war, nachdem die Säumniszuschläge bereits entstanden und angefordert waren. Danach bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, durch die im Streitfall die Säumniszuschläge auf die Kircheneinkommensteuer 1967 bis 1971 für die Monate Mai bis Dezember 1973 angefordert wurden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71099

BStBl II 1975, 452

BFHE 1975, 95

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