Entscheidungsstichwort (Thema)

PKH: Mutwilligkeit; hinreichende Aussicht auf Erfolg der Rechtsverfolgung

 

Leitsatz (NV)

1. Mutwilligkeit im Sinne des Prozeßkostenhilferechts kann nicht daraus hergeleitet werden, daß der Kläger einen bestimmten Sachverhalt erstmals nach Klageerhebung vorträgt.

2. Eine die Ablehnung von Prozeßkostenhilfe rechtfertigende Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist grundsätzlich nicht möglich.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist als Bildhauer selbständig tätig.

In den Streitjahren unternahm er eine Reise durch mehrere Länder, u. a. nach Nepal, Indien und Thailand. Nach seiner Darstellung hat er in dieser Zeit ständig künstlerisch gearbeitet. Die Ergebnisse der Reise seien in verschiedenen Ausstellungen veröffentlicht worden; sämtliche Einnahmen des Jahres 1983 stammten aus der Veräußerung dieser Arbeiten.

Die Kosten der Reise machte er - ebenso wie die Aufwendungen für die Miete seiner Wohnung, die ihm nach seinen Angaben gleichzeitig als Atelier gedient hat - als Betriebsausgaben geltend.

Der Beklagte (das Finanzamt - FA - ) ließ die Aufwendungen bei der Veranlagung des Antragstellers zur Einkommensteuer nicht zum Abzug zu.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren dagegen erhobenen Klage machte der Antragsteller neben den genannten Aufwendungen weitere Betriebsausgaben geltend, und zwar u. a. Aufwendungen für Arbeitsmaterialien und Werkzeuge, für Fahrten zu seinen Auftraggebern sowie Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwendungen anläßlich von Ausstellungen. Zum Nachweis für die ausschließlich berufliche Nutzung jeweils eines der Zimmer der von ihm gemieteten Wohnungen bot er als Zeugen seine damaligen Mitbewohner an. Außerdem - so führte er aus - seien in den für das Streitjahr 1983 erklärten Einkünften aus selbständiger Arbeit steuerfreie Einnahmen i. S. des § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 1 550 DM enthalten. Zum Nachweis hat er inzwischen die angekündigte Bescheinigung der Landeshauptstadt Hannover vorgelegt.

Ferner beantragte der Antragsteller, ihm unter Beiordnung seiner damaligen Prozeßbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf Gewährung von PKH ab. Zur Begründung führte es aus, hinsichtlich der erstmals im Klageverfahren geltend gemachten weiteren Betriebsausgaben - ebenso wie der Steuerfreiheit eines Teils der erklärten Einnahmen nach § 3 Nr. 26 EStG - habe die Klage zwar Aussicht auf Erfolg. Insoweit könnten dem Antragsteller aber im finanzgerichtlichen Verfahren auch im Falle seines Obsiegens wegen verspäteten Vorbringens nach § 137 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten des Verfahrens auferlegt werden. Der Antragsteller habe die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht vollständig erfüllt. Bei Gewährung von PKH hätte die Staatskasse Kosten zu tragen, die bei gehöriger Pflichterfüllung überhaupt nicht entstanden wären. Aus der Darstellung des Antragstellers, ihm habe seine Wohnung als Atelier gedient, folge, daß sämtliche Räumlichkeiten auch privat genutzt worden seien. Mit dem angebotenen Zeugenbeweis könne der Antragsteller im übrigen nicht die in Frage stehende ständige ausschließliche berufliche Nutzung belegen.

Aufwendungen für eine Auslandsreise könnten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur dann zu Betriebsausgaben führen, wenn die Befriedigung privater Interessen nahezu ausscheide (Beschluß vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Bei einer Reise, die - wie hier - der Suche nach neuen Eindrücken und Erlebnissen diene und an touristisch interessante Orte führe, sei dies nicht der Fall.

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Gewährung von PKH weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist begründet.

PKH erhält gemäß § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (persönliche Voraussetzungen), wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (sachliche Voraussetzungen).

Im Streitfall sind die letztgenannten - sachlichen - Voraussetzungen erfüllt.

Hinsichtlich der erstmals im Klageverfahren geltend (und auch glaubhaft) gemachten weiteren Betriebsausgaben ebenso wie der inzwischen auch belegten Steuerfreiheit eines Teils der Einnahmen des Jahres 1983 hat die Klage Aussicht auf Erfolg. Insoweit kann wegen des Zeitpunkts des Vorbringens erstmals nach Klageerhebung auch nicht Mutwilligkeit angenommen werden.

Mutwillig im Sinne des Prozeßkostenhilferechts handelt jemand, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftiger Beteiligter seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde oder wenn der verfolgte Zweck auch auf einfachere, billigere Weise erreicht werden könnte (Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 15. Aufl. 1987, § 115 Rdnr. 50). Damit wird allein auf innerprozessuales Verhalten abgestellt, d. h. auf die Situation, in der sich der Rechtsuchende zum Zeitpunkt der Klageerhebung befindet. Für eine Berücksichtigung zurückliegender Umstände, die zu dieser Situation geführt haben, ist dabei grundsätzlich kein Raum.

Dies gilt nach dem nicht veröffentlichten Beschluß des V. Senats des BFH vom 19. September 1986 V B 39/86, dem sich der erkennende Senat anschließt, auch für das finanzgerichtliche Verfahren.

Danach besteht keine gesetzliche Grundlage dafür, insoweit vorprozessuales Verhalten zu berücksichtigen, insbesondere den kostenrechtlichen Gedanken des § 137 FGO entsprechend heranzuziehen. Dies scheitert entgegen der vom FG vertretenen Auffassung daran, daß dem Prozeßkostenhilferecht - anders als dem Kostenrecht - Sanktionserwägungen fremd sind.

Damit steht der Umstand, daß der Antragsteller seine Mitwirkungspflicht gegenüber dem FA nicht ausreichend erfüllt hat, der Gewährung von PKH nicht entgegen.

Zu Unrecht hat das FG auch die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage bezüglich der Aufwendungen für ein Arbeitszimmer abgelehnt. Die Feststellungen darüber, ob das Arbeitszimmer - wie für die Abzugsfähigkeit der entsprechenden Aufwendungen erforderlich - ganz überwiegend für berufliche Zwecke genutzt worden ist, liegen auf tatsächlichem Gebiet. Hinsichtlich der Angaben über rechtlich bedeutsame Tatsachen reicht im Verfahren über die Gewährung von PKH zur Darlegung der hinreichenden Erfolgsaussicht ein schlüssiges Vorbringen mit Beweisantritt aus (vgl. Zöller, a.a.O., § 114 Rdnr. 31), demzufolge im Hauptverfahren eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 46. Aufl., § 114 Anm. 2 Ba). Dies ist hier der Fall.

Nach den Äußerungen des Antragstellers in seiner Einspruchsbegründung, wonach ihm die ganze Wohnung als Atelier gedient habe, ist die ausschließliche berufliche Nutzung eines der beiden Zimmer nicht notwendig auszuschließen. Sein Vorbringen hat der Antragsteller inzwischen auch klargestellt.

Im Hauptverfahren dürfen die benannten (bzw. noch zu benennden) Zeugen nicht als völlig ungeeignet abgelehnt werden (vgl. dazu den auch im finanzgerichtlichen Verfahren anwendbaren § 244 Abs. 3 der Strafprozeßordnung). Dementsprechend ist auch eine die Ablehnung von PKH rechtfertigende Vorwegnahme der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht möglich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es - wie hier - um die erstmalige Vernehmung von Zeugen geht, deren Ergebnis typischerweise nicht zuverlässig vorausgesagt werden kann (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. September 1987 IVa ZR 76/86, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 266).

Auch hinsichtlich der Aufwendungen für die Auslandsreise kann für die Klage derzeit eine hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht ausgeschlossen werden.

Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 16. Oktober 1986 IV R 138/83 (BFHE 148, 262, BStBl II 1987, 208) genügt es zwar für die Bejahung einer betrieblichen Veranlassung nicht, daß ein Künstler auf einer Reise, die ansonsten den Charakter einer Erholungs- und Bildungsreise hat, auch Anregungen für sein künstlerisches Schaffen gewinnt. Soll der Reise ein konkreter Bezug zur Berufsausübung beigemessen und sie damit als ,,unmittelbar betrieblich veranlaßt" angesehen werden können, so muß sie der Künstler ausschließlich deshalb unternommen haben, um am Ziel der Reise wegen des dort vorhandenen landschaftlichen oder kulturellen Umfeldes in einer seinem besonderen Stil entsprechenden Arbeitsweise tätig zu werden.

Dafür spricht nach dem Sachvortrag des Antragstellers, über den im Hauptverfahren - unter Beachtung der den Antragsteller treffenden Feststellungslast (BFH-Urteil vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562) - abschließend zu entscheiden sein wird, - vom derzeitigen Erkenntnisstand gesehen - eine ausreichende Wahrscheinlichkeit.

Der Senat hält es für angebracht, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen (§§ 132, 155 FGO i. V. m. § 575 ZPO; vgl. auch Beschlüsse des BFH vom 8. Juli 1980 VII B 18/80, BFHE 131, 12, BStBl II 1980, 657, m. w. N., und für das PKH-Beschwerdeverfahren vom 2. Oktober 1986 VII B 39/86, BFH / NV 1987, 390). Das FG wird darüber zu befinden haben, ob auch die persönlichen Voraussetzungen des § 114 ZPO im Streitfall erfüllt sind. Dabei hat es zu berücksichtigen, daß die vorliegende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers (§ 117 Abs. 2 ZPO) vom 24. Mai 1985 stammt und somit für die gegenwärtige Situation nicht mehr aussagekräftig erscheint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415829

BFH/NV 1988, 804

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