Entscheidungsstichwort (Thema)

Option zur Steuerpflicht; Beginn der Errichtung eines Gebäudes

 

Leitsatz (NV)

1. Unter dem Beginn der Errichtung eines Gebäudes i. S. des §27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem einer der folgenden Sachverhalte als erster verwirklicht worden ist:

a) Beginn der Ausschachtungsarbeiten,

b) Erteilung eines spezifizierten Bauauftrages an den Bauunternehmer oder

c) Anfuhr nicht unbedeutender Mengen von Baumaterial auf dem Bauplatz.

2. Vor diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes durchgeführte Arbeiten oder die Stellung eines Bauantrags sind noch nicht als Beginn der Errichtung anzusehen. Dies gilt auch für die Arbeiten zum Abbruch eines Gebäudes, es sei denn, daß unmittelbar nach dem Abbruch des Gebäudes mit der Errichtung eines neuen Gebäudes begonnen wird (Anschluß an Abschn. 148 a Abs. 5 Sätze 2 bis 4 UStR 1996).

 

Normenkette

UStG 1993 § 9 Abs. 2 S. 1, § 27 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 69 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) erwarb ein Altenpflegeheim in B. Auf dem Grundstück befanden sich ein Altenheimaltbau, ein Altenheimerweiterungsbau sowie zwei Wohnhäuser. Der Antragsteller beabsichtigte, die beiden Wohnhäuser abzureißen und einen Neubau zu errichten. Dafür mußten zunächst Sanierungs- und Renovierungsarbeiten in dem Altenheimerweiterungsbau durchgeführt werden, damit die Bewohner der beiden Wohnhäuser in diesen Bau umziehen konnten. Die Arbeiten in dem Erweiterungsbau wurden im Oktober 1993 durchgeführt. Die Mieter der beiden Wohnhäuser zogen vor dem 11. November 1993 in den Erweiterungsbau um. Die Baugenehmigung für die Errichtung des Neubaus wurde am 2. Dezember 1993 erteilt. Danach wurden die beiden Wohnhäuser abgerissen und der Neubau errichtet. Nach Fertigstellung sollte eine Vermietung des Gebäudes an eine GmbH zum Betrieb eines Altenpflegeheims erfolgen.

In seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das 1. Quartal 1995 bis 1. Quartal 1996 brachte der Antragsteller die in den Baukosten des Altenpflegeheims enthaltenen Vorsteuern voll in Abzug. Der Vorsteuerabzug wurde zunächst gewährt. Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den Vorsteuerabzug aus den Baukosten, weil für die gemäß §4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993 steuerfreien Vermietungsumsätze eine Option zur Steuerpflicht gemäß §9 Abs. 2 UStG 1993 in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung nicht möglich sei. Die Neufassung des §9 Abs. 2 UStG 1993 sei im Streitfall anwendbar, weil mit der Errichtung des Gebäudes nicht vor dem 11. November 1993 begonnen worden sei (§27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 n. F.).

Nach Zurückweisung seines Einspruchs gegen die entsprechend geänderten Umsatzsteuer- Vorauszahlungsbescheide erhob der Antragsteller Klage, die noch beim Finanzgericht (FG) anhängig ist. Außerdem beantragt er beim FG die Aussetzung der Vollziehung der Steuerfestsetzungen, nachdem das FA zuvor einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte.

Das FG wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Antragsteller (nach wie vor) die Auffassung vertritt, er habe i. S. des §27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 n. F. mit der Errichtung des Neubaus vor dem 11. November 1993 begonnen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Das Gericht soll auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Solche Zweifel (vgl. dazu z. B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 22. September 1993 V B 113/93, BFH/NV 1994, 281, und vom 4. April 1996 V S 1/96, V B 6/96, BFH/NV 1996, 795, m. w. N.) bestehen im Streitfall nicht.

a) Gemäß §9 Abs. 2 Satz 1 UStG 1993 i. d. F. des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) ist der Verzicht auf die Steuerbefreiung von Vermietungsumsätzen (§4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1993) unzulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück nicht ausschließlich für Umsätze zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Daß diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen, ist unter den Beteiligten nicht umstritten. Denn der Leistungsempfänger (die GmbH) beabsichtigt, das Grundstück nicht ausschließlich für Umsätze zu verwenden, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen; die mit dem Betrieb eines Altenheims verbundenen Umsätze sind nach §4 Nr. 16 Buchst. d UStG 1993 unter den dort genannten Voraussetzungen steuerfrei.

b) Die ab dem 1. Januar 1994 geltende Neufassung des §9 Abs. 2 UStG 1993 ist entgegen der Ansicht des Antragstellers im Streitfall anwendbar, weil er mit der Errichtung des Altenheims nicht vor dem 11. November 1993 begonnen hat (§27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 i. d. F. des StMBG).

aa) Wann i. S. des §27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 i. d. F. des StMBG "mit der Errichtung des Gebäudes ... begonnen worden ist", wird vom Gesetz nicht näher erläutert. Nach Abschn. 148 a Abs. 5 Sätze 2 bis 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1996 ist darunter der Zeitpunkt zu verstehen, in dem einer der folgenden Sachverhalte als erster verwirklicht worden ist:

1. Beginn der Ausschachtungsarbeiten,

2. Erteilung eines spezifischen Bauauftrags an den Bauunternehmer oder

3. Anfuhr nicht unbedeutender Mengen von Baumaterial auf dem Bauplatz.

Vor diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes durchgeführte Arbeiten oder die Stellung eines Bauantrags sind noch nicht als Beginn der Errichtung anzusehen. Dies gilt auch für die Arbeiten zum Abbruch eines Gebäudes, es sei denn, daß unmittelbar nach dem Abbruch des Gebäudes mit der Errichtung eines neuen Gebäudes begonnen wird.

bb) Der Senat folgt im vorliegenden Verfahren dieser Auslegung des Gesetzes. Sie entspricht dem Wortsinn, der auf den "Beginn der Errichtung des Gebäudes" und nicht etwa auf den "Beginn des Bauvorhabens" abstellt. Zudem knüpft diese Auslegung an leicht nachprüfbare äußere Merkmale an. Schließlich wurde der "Beginn der Errichtung des Gebäudes" seit der Einfügung dieses Begriffs in §27 Abs. 5 UStG 1980 durch Art. 17 Nr. 11 des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 (StBereinG 1985) vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659) in dem dargelegten Sinne ausgelegt (vgl. Bundesminister der Finanzen -- BMF --, Schreiben vom 7. Oktober 1985, BStBl I 1985, 622, unter 8., m. w. N.). Es fehlt jeder Anhaltspunkt, daß der Gesetzgeber diesen Begriff bei der Änderung des §27 Abs. 2 UStG 1993 durch das StMBG anders verstanden hat. Dafür ergibt sich insbesondere aus den vom FG wiedergegebenen Gesetzesmaterialien nichts. Soweit dort im Rahmen der Begründung der Neufassung der Übergangsregelung die Realisierungsdauer größerer Bauvorhaben angesprochen und ausgeführt wird, die Errichtungsträger hätten sich bei der Finanzierung, insbesondere bei der Beantragung von Fördermitteln, auf die bisherige Rechtslage zum Vorsteuerabzug eingestellt (vgl. BRDrucks 788/93, Anlage 5), wird mit diesen Erwägungen lediglich die -- später Gesetz gewordene -- Herausschiebung des Stichtags für die Fertigstellung des Gebäudes vom 1. Januar 1996 auf den 1. Januar 1998 begründet. Diese Ausführungen beziehen sich mithin nicht auf den Beginn der Errichtung des Gebäudes i. S. des §27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 i. d. F. des StMBG. Der gleichwohl aus den Gesetzesmaterialien abgeleiteten Auffassung des FG, für die Beurteilung (der Rechtzeitigkeit) von Vorbereitungs- bzw. Planungsmaßnahmen komme es darauf an, "ob von der ursprünglichen Planung noch Abstand genommen werden konnte bzw. eine neue Kalkulation der geänderten Finanzierungsbedingungen möglich war", vermag der Senat deshalb nicht zu folgen.

c) Vor dem Stichtag 11. November 1993 wurde im Streitfall i. S. von Abschn. 148 a Abs. 5 Satz 2 UStR 1996 -- unstreitig -- weder mit den Ausschachtungsarbeiten für das Altenpflegeheim begonnen, noch ein spezifischer Bauauftrag (richtig: spezifizierter Bauauftrag, vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 1985, 622, unter 8.; BFH-Urteile vom 28. September 1979 III R 95/77, BFHE 129, 104, BStBl II 1980, 56, und III R 12/78, BFHE 129, 107, BStBl II 1980, 57) an den Bauunternehmer erteilt, noch wurden nicht unbedeutende Mengen von Baumaterial auf dem Bauplatz angefahren.

Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde im einzelnen geltend macht, bereits vor diesem Stichtag seien die Planungen bereits nicht revidierbar gewesen, kommt es darauf -- wie dargelegt -- nicht an.

Ohne Erfolg bleibt auch sein Beschwerdevorbringen, die Besonderheit des hier gegebenen Sachverhalts liege darin, daß der Errichtung des Altenpflegeheims ein Abbruch vorangegangen sei. Zwar können als Beginn der Bauarbeiten i. S. des §27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 i. d. F. des StMBG auch Arbeiten zum Abbruch eines Gebäudes angesehen werden, falls unmittelbar nach dem Abbruch mit der Errichtung eines neuen Gebäudes begonnen wird (vgl. Abschn. 148 a Abs. 5 Sätze 3 und 4 UStR 1996). Dann müßte der Antragsteller aber mit dem Abbruch bereits vor dem Stichtag 11. November 1993 begonnen haben (vgl. insoweit auch BFH-Urteil vom 10. Januar 1992 III R 99/89, BFH/NV 1992, 558). Diese Voraussetzung ist bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung im Streitfall indes nicht erfüllt. Denn die beiden Wohnhäuser wurden erst abgerissen, nachdem am 2. Dezember 1993 die Baugenehmigung für die Errichtung des Neubaus erteilt worden war. Das ergibt sich aus den Feststellungen des Prüfers und des FG, denen der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten ist.

2. Eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger, nicht durch öffentliche Interessen gebotener Härte i. S. des §69 Abs. 2 Satz 2 FGO setzt voraus, daß dem Steuerpflichtigen durch die Zahlung Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder schwer wiedergutzumachen wären, oder daß die wirtschaftliche Existenz durch die Zahlung gefährdet würde (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 25. Februar 1993 V B 84/92, BFH/NV 1994, 422 m. w. N.). Derartige Umstände sind im Streitfall nicht vorgetragen worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67235

BFH/NV 1998, 1005

UR 1999, 33

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