Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzliches zur Berücksichtigung von Nettolohnvereinbarungen bei der Einkommensteuerveranlagung eines Arbeitnehmers.

2. Kann sich der Arbeitgeber bei einer Nettolohnvereinbarung auf einen Einkommensteuererstattungsanspruch des zur Einkommensteuer veranlagten Arbeitnehmers im Lohnsteuerhaftungsverfahren berufen?

 

Normenkette

EStG 1969 § 38 Abs. 4, § 46 Abs. 4, § 47 Abs. 1, 3; FGO § 69; LStDV 1968 § 46 Abs. 2

 

Tatbestand

Die A-GmbH hatte mit den "Darlehnsnehmern" B und C im Jahr 1969 sog. "Darlehnsverträge" abgeschlossen, um sie zu bewegen, ihr bisheriges Arbeitsverhältnis zu kündigen und in die Dienste der GmbH zu treten. Sie sollten nach den Verträgen jeweils ein unverzinsliches "Darlehen" erhalten, das durch Erlaß getilgt werden sollte. Dabei sollten die durch den Erlaß des Darlehens anfallende Einkommensteuer (Lohnsteuer) und Kirchenlohnsteuer von der GmbH getragen werden. Die "Darlehen" wurden im Jahr 1969 ausgezahlt und getilgt.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) ist der Ansicht, den Steuerpflichtigen B und C sei mit der Auszahlung der "Darlehnsbeträge" im Jahr 1969 Arbeitslohn zugeflossen. Es erblickte in den Verträgen Nettolohnvereinbarungen und erließ gegen die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) als Rechtsnachfolgerin der A-GmbH einen Lohnsteuerhaftungsbescheid. Über die hiergegen erhobene Sprungklage hat das FG noch nicht entschieden.

Im Streitfall geht es um die Aussetzung der Vollziehung.

Die Antragstellerin meint, die Lohnsteuerhaftung gehe nicht weiter, als die Einkommensteuerrestschuld des Steuerpflichtigen B. Nach dem vom Steuerpflichtigen B angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1969 würde ihre Lohnsteuerinanspruchnahme zu einer Überzahlung beim Steuerpflichtigen B in Höhe von 14 802 DM führen.

Das FG lehnte den Aussetzungsantrag ab.

Es führte aus, bei summarischer Prüfung beständen an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheids keine ernstlichen Zweifel. Wegen der Nettolohnvereinbarungen beständen keine Bedenken dagegen, daß das FA die Antragstellerin im Haftungswege in Anspruch genommen habe, obwohl die Steuerpflichtigen B und C für den Veranlagungszeitraum 1969 der Einkommensteuerveranlagung unterlägen. Mit der Auszahlung des vereinbarten Nettolohns habe die Arbeitgeberin aus der Sicht der Arbeitnehmer B und C den Bruttoarbeitslohn vorschriftsmäßig gekürzt, so daß ihre Inanspruchnahme nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStDV nicht möglich sei. Die von der Antragstellerin nicht abgeführten Steuerabzugsbeträge könnten nicht im Wege der Einkommensteuerveranlagung von den Steuerpflichtigen B und C hereingeholt werden. Die Antragstellerin könne sich nicht darauf berufen, daß der auf den Steuerpflichtigen B entfallende Lohnsteuerhaftungsbetrag dessen Einkommensteuerrestschuld um 14 802 DM übersteige. Die Lohnsteuerhaftung der Arbeitgeberin sei nicht schlechthin abhängig von der Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers. Das gelte vor allem für die nach Abzug der Einkommensteuervorauszahlungen und Kapitalertragsteuern verbleibende Einkommensteuerschuld im Sinne des § 47 EStG. Die von der Arbeitgeberin abzuführende Lohnsteuer richte sich grundsätzlich nach den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte und nach den Lohnzahlungen in der Lohnzahlungszeiträumen, während die Einkommensteuerschuld alle Einkünfte innerhalb des Kalenderjahres berücksichtige. Wie hoch die vom Arbeitnehmer geleisteten Vorauszahlungen seien, müsse beim Lohnsteuerabzug außer Betracht bleiben. Das gelte erst recht bei Nettolohnvereinbarungen. Die Nichtberücksichtigung der vom Steuerpflichtigen B geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen führe im Streitfall zu einem sachgerechten Ergebnis, da die Arbeitgeberin in vollem Umfang für den Betrag hafte, den sie nach den vertraglichen Vereinbarungen hätte abführen müssen.

Die Antragstellerin macht mit der Beschwerde geltend, die Lohnsteuer sei nur eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer. Sie könne daher nicht dazu führen, daß ein zur Einkommensteuer veranlagter Arbeitnehmer durch die Lohnsteuer zu einem Mehr gegenüber der veranlagten Einkommensteuer in Anspruch genommen werde. Das widerspreche § 46 Abs. 4 EStG, nach dem die Lohnsteuerschuld subsidiär gegenüber der Einkommensteuerveranlagungsschuld sei. Sei die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers durch Zahlung der Veranlagungsschuld erloschen, könne der Arbeitgeber nach § 7 Abs. 4 StAnpG nicht für die "überschießende" Lohnsteuer in Anspruch genommen werden. Die Steuerzahlungen des Arbeitnehmers einschließlich der anzurechnenden Lohnsteuerzahlungen des Arbeitgebers brächten die Schuld aus der Einkommensteuerveranlagung zum Erlöschen. Dieser Erlöschensgrund wirke nach § 7 Abs. 4 StAnpG auch zugunsten des Arbeitgebers. Die noch nicht bestandskräftige Veranlagung des Steuerpflichtigen B bilde mithin die Obergrenze für ihre Inanspruchnahme als Arbeitgeberin und der des Arbeitnehmers. Eine Nettolohnvereinbarung habe nur Auswirkungen auf das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Auch hier dürfe das FA nicht mehr erhalten, als der Veranlagungsschuld des Arbeitnehmers entspreche. Ein etwaiger Ausgleich im Innenverhältnis betreffe arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Finanzbehörden seien nicht berufen, solche Fragen in eigener Zuständigkeit zu regeln.

Die Antragstellerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, die Vollziehung des Lohnsteuerhaftungsbescheides vom 11. Dezember 1974 bezüglich eines weiteren Teilbetrages von 14 802 DM auszusetzen und die Kosten dem FA aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Der Senat hat nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 2 Satz 2 FGO die Vollziehung eines Lohnsteuerhaftungsbescheides ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Nach dieser Prüfung verbleibende Zweifel dürfen im Rahmen dieses summarischen Verfahrens nicht geklärt werden, weil deren Entscheidung dem Hauptverfahren vorbehalten bleiben muß (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).

Im Streitfall spricht vieles dafür, daß die den Steuerpflichtigen B und C gewährten Darlehen als Arbeitslohn anzusehen sind, weil die "Darlehen" sie dazu bewegen sollten, ihre laufenden Arbeitsverträge zu kündigen und neue Arbeitsverträge mit der A-GmbH abzuschließen. Liegt in der Gewährung der Darlehen ein Zufluß von Arbeitslohn, so dürfte § 3 der Darlehensverträge als Nettolohnvereinbarung zu werten sein. Da sich die A-GmbH als Rechtsvorgängerin der Antragstellerin verpflichtet hatte, die durch den Erlaß des Darlehens anfallende Einkommensteuer (Lohnsteuer) und Kirchenlohnsteuer zu zahlen, ist es bei summarischer Prüfung nicht ermessensfehlerhaft, daß das FA die Antragstellerin wegen der hierauf entfallenden Lohnsteuer, Ergänzungsabgaben und Kirchenlohnsteuer in Anspruch genommen hat.

Zu dem bei der Einkommensteuerveranlagung eines Arbeitnehmers zu berücksichtigenden steuerpflichtigen Arbeitslohn gehören auch sog. Nettobezüge. Der bei der Veranlagung anzusetzende Nettolohn ist um die vom Arbeitgeber übernommenen Steuern (Lohnsteuer, Kirchensteuer, Ergänzungsabgabe) zu erhöhen, weil der Arbeitnehmer Schuldner dieser Steuern ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juni 1966 VI 261/64, BFHE 86, 642, BStBl III 1966, 607). Da der Arbeitgeber aus der Sicht des Arbeitnehmers den Bruttoarbeitslohn vorschriftsmäßig gekürzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 18. April 1969 VI R 312/67, BFHE 96, 2, BStBl II 1969, 525), ist die somit vom Arbeitgeber vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1969 auf die Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers auch dann anzurechnen, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht an das FA abgeführt hat.

Es spricht nach Lage der Akten vieles dafür, daß der Steuerpflichtige B entsprechend diesen Grundsätzen zur Einkommensteuer veranlagt worden ist. Im Zeitpunkt des Erlasses des gegen die Antragstellerin ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheids dürfte eine Einkommensteuerschuld des Steuerpflichtigen B, die durch Abführung der Lohnsteuerhaftungssumme durch die Antragstellerin zu tilgen sei, nicht mehr bestanden haben. Sie wäre nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG 1969 bereits durch Anrechnung der Einkommensteuervorauszahlungen, der einbehaltenen Kapitalertragsteuern und der einbehaltenen Lohnsteuer des bisherigen Arbeitgebers und der von der Antragstellerin aufgrund der Nettolohnvereinbarung einbehaltenen Lohnsteuer getilgt worden. Gemäß dem Vorbringen der Antragstellerin soll sich bei diesen Anrechnungen eine Überzahlung von 14 802 DM ergeben haben.

Es spricht vieles dafür, daß die Antragstellerin sich zur Minderung ihrer Haftung weder auf die Tilgung der Einkommensteuerschuld des Steuerpflichtigen B durch Anrechnung der von der GmbH einbehaltenen Lohnsteuer noch auf den Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen B berufen kann. Für den Arbeitgeber sind bei der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer nur die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte und die im Streitjahr gültigen Lohnsteuertabellen maßgebend. Der erkennende Senat hat Ausnahmen von diesem Grundsatz bisher nur zugelassen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Zugehörigkeit von Bezügen zum Arbeitslohn und damit über die Notwendigkeit der Eintragung der mit diesen Bezügen zusammenhängenden Werbungskosten irren konnten. In diesen Fällen kann der Arbeitgeber sich im Haftungsverfahren ohne Rücksicht auf etwa abgelaufene Fristen für Lohnsteuer-Jahresausgleich oder Einkommensteuerveranlagung auf höhere, nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Werbungskosten berufen. Der BFH hat insbesondere durch Urteil vom 26. Juli 1974 VI R 24/69 (BFHE 113, 157, BStBl II 1974, 756) entschieden, daß bei einer bestandskräftig durchgeführten Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers nicht zu prüfen sei, ob die Nacherhebung der Lohnsteuer beim Arbeitgeber nur zu einer vorübergehenden Befriedigung des Steuergläubigers führe, weil die nacherhobene Lohnsteuer gegebenenfalls auf die Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers, die dieser bereits voll entrichtet habe, nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzurechnen und damit an ihn auszuzahlen wäre. Diese Frage könne nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren nach Ergehen eines Abrechnungsbescheides (§ 125 AO) oder in einem Erstattungsverfahren (§§ 150 ff. AO) entschieden werden, da es dem Sinn und Zweck des Lohnsteuerhaftungsverfahrens, eine schnelle und einfache Erhebung der Lohnsteuer zu ermöglichen, widersprechen würde, wenn dieses Verfahren mit solchen Problemen belastet würde.

Es spricht vieles dafür, daß die gleichen Grundsätze auch bei nicht bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagungen gelten, bei denen Nettolöhne zu berücksichtigen sind, da hier die Anrechnung der einzubehaltenden Lohnsteuer bereits bei der Einkommensteuerveranlagung erfolgt sein muß und eine eigene Inanspruchnahme des Arbeitnehmers nach § 38 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 und 2 EStG 1969 (§ 46 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStDV 1968) in der Regel nicht in Betracht kommen kann, da - wie erwähnt - der Arbeitgeber aus der Sicht des Arbeitnehmers die Lohnsteuer vorschriftsmäßig gekürzt hat.

Diese Fragen müssen abschließend im Hauptverfahren geklärt werden. Sie sind nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht so zweifelhaft, daß sie eine Aussetzung der Vollziehung des Lohnsteuerhaftungsbescheides in Höhe eines Teilbetrages von 14 802 DM rechtfertigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71623

BStBl II 1976, 543

BFHE 1976, 553

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