Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis nach Änderungsbescheid im Revisionsverfahren

 

Leitsatz (NV)

Für die Fortführung des Verfahrens gegen einen während des Revisionsverfahrens bekanntgegebenen Änderungsbescheid, der dem mit der Revision eingeschränkten Klageantrag in vollem Umfang Rechnung trägt, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 123 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde von dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer 1985 veranlagt. Mit der gegen den Einkommensteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung gerichteten Klage begehrte der Kläger die Berücksichtigung eines Grundfreibetrages in Höhe des sozialhilferechtlichen Existenzminimums sowie einen höheren Kinderfreibetrag für das gemeinsame Kind. Der Kläger beantragte zudem im Hinblick auf ein beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängiges Revisionsverfahren zum Grundfreibetrag, das Klageverfahren ruhen zu lassen. Weiter stellte er im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. April 1990 den Antrag, den Termin aufzuheben oder zu vertagen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in der Sache 1 BvL 72/86 zur Verfassungsmäßigkeit der Kinderfreibeträge entschieden habe.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, daß eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht schon dann in Betracht komme, wenn beim BFH ein Parallelverfahren anhängig sei, in dem über dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden sei. Das Verfahren sei aber auch nicht bis zur Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 72/86 auszusetzen gewesen. Im übrigen könne der Kläger nur den gesetzlich vorgesehenen Kinderfreibetrag von 432 DM beanspruchen. Auch stehe dem Kläger kein höherer Grundfreibetrag für das Streitjahr zu.

Gegen die Vorentscheidung richtet sich die vom FG zugelassene Revision des Klägers.

Der Kläger trägt vor, er habe Anspruch auf den durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1991 auf 2 432 DM erhöhten Kinderfreibetrag. Das FG habe gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, da es eine Sachentscheidung getroffen habe, obwohl es das Klageverfahren gemäß § 74 FGO wegen einschlägiger Verfahren beim BVerfG in Sachen Kinder- und Grundfreibetrag hätte aussetzen müssen. Dieser Verfahrensmangel zwinge zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache.

Zudem werde wegen der verfassungswidrigen Überbesetzung des erkennenden Senats des BFH und wegen der im Belieben des Vorsitzenden liegenden Auswahl des Berichterstatters im vorliegenden Verfahren die Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 des Grundgesetzes -- GG --) gerügt und zugleich beantragt, das Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG über verschiedene, näher bezeichnete Verfassungsbeschwerden auszusetzen.

Sachlich hat der Kläger zunächst beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen sowie später, unter entsprechender Änderung des Einkommensteuerbescheids für 1985, einen Kinderfreibetrag von 2 432 DM zu berücksichtigen.

Das FA hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens erließ das FA am 29. März 1993 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1985. Darin berücksichtigte es einen gemäß § 54 des Einkommensteuergesetzes i. d. F. des StÄndG 1991 (BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) auf 2 432 DM erhöhten Kinderfreibetrag.

Der Kläger hat den geänderten Bescheid gemäß § 68, § 123 Satz 2 FGO zum Gegenstand des Revisionsverfahrens erklärt.

Dem Kläger wurde mit Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats anheimgestellt, die bisherigen Revisionsanträge der geänderten verfahrensrechtlichen Situation anzupassen. Der Kläger beantwortete dieses Schreiben nicht.

 

Entscheidungsgründe

Der erkennende Senat ist nicht wegen seiner Besetzung mit sechs Richtern (ein Vorsitzender und fünf beisitzende Richter) an der Entscheidung der Streitsache gehindert.

Die Streitsache wurde im Jahre 1995 zugeschrieben, so daß die Mitwirkungspläne des Senats für 1996 vom 21. Dezember 1995 (Abschn. IV) und für 1995 vom 15. Dezember 1994 (Abschn. II Nr. 1 C) einschlägig sind. Die dort getroffenen Regelungen genügen den Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Eine im Hinblick auf die Besetzungsrüge vom Kläger angeregte Aussetzung des Verfahrens, bis das BVerfG über die Besetzungsproblematik entschieden hat, kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die o. g. Mitwirkungspläne wesentlich detailliertere Regelungen enthalten, die nicht Gegenstand der (noch) beim BVerfG anhängigen Verfahren sind.

Die Revision ist unzulässig, da für sie kein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nicht -- wie vom Kläger gemäß § 68 FGO beantragt -- der Einkommensteueränderungsbescheid 1985 vom 29. März 1993.

Wird ein angefochtener Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert, so wird dieser zwar nach § 68 Satz 1 FGO auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Dies gilt indes nicht, wenn durch den Änderungsbescheid dem sachlichen Klagebegehren entsprochen wird und damit die Hauptsache des Klageverfahrens sich materiell erledigt (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 II R 45/88, BFHE 162, 215, BStBl II 1991, 102; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 68 Rz. 6; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 68 FGO Anm. 3 c; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 68 FGO Rz. 15; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 68 FGO Rz. 6). Denn für die Fortführung des Verfahrens gegen den Änderungsbescheid fehlt es in der Regel an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dasselbe gilt auch, wenn ein während des Revisionsverfahrens bekanntgegebener Änderungsbescheid dem mit der Revision eingeschränkten Klageantrag in vollem Umfang Rechnung trägt und infolgedessen keine Beschwer mehr gegeben ist.

So liegt es hier. Der Kläger hat mit der Revision sein antragsmäßig bisher unbeziffertes Klagebegehren sachlich auf die Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags in Höhe von 2 432 DM eingeschränkt. Das FA hat in seinem Einkommensteueränderungsbescheid einen Kinderfreibetrag in dieser Höhe berücksichtigt und damit dem eingeschränkten materiellen Klagebegehren des Klägers im vollen Umfang entsprochen. Der vom Kläger gestellte Antrag nach § 68 FGO ist damit unzulässig, da es an einem Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzung des Verfahrens gegen den Änderungsbescheid fehlt. Der Kläger hat sein eingeschränkt materiell-rechtliches Ziel -- ungeachtet der Abweisung der Klage durch das FG -- erreicht.

2. Für das Revisionsverfahren gegen den ursprünglich angefochtenen Einkommensteuerbescheid vom 9. Juni 1986 ist das Rechtsschutzbedürfnis nachträglich entfallen. An die Stelle dieses Bescheides ist der Einkommensteueränderungsbescheid vom 29. März 1993 getreten, der, da er nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens werden kann und nicht mit Einspruch angefochten ist, bestandskräftig geworden ist. Der ursprünglich angefochtene Bescheid kann daher keine Wirkung gegen den Kläger mehr entfalten (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Unter diesen Umständen fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis für das auf Abänderung des ursprünglich angefochtenen Einkommensteuerbescheids gerichtete Klagebegehren. Denn auch das Revisionsverfahren kann der Klage gegen den inzwischen wirkungslosen Ausgangsbescheid nicht mehr durch eine Korrektur der Vorentscheidung zum Erfolg verhelfen (vgl. BFH-Beschluß vom 24. November 1982 II R 172/80, BFHE 137, 6, BStBl II 1983, 237).

Ein Rechtsschutzbedürfnis ist auch im Hinblick darauf, daß das angefochtene Urteil in der Kostenentscheidung den Kläger belastet, nicht anzuerkennen. Denn dagegen spricht der in § 145 FGO zum Ausdruck gekommene Rechtsgedanke, wonach die Anfechtung einer Entscheidung nur wegen des Kostenpunktes unzulässig ist (vgl. BFH in BFHE 137, 6, BStBl II 1983, 237).

3. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 135 Abs. 2 FGO. Der Kläger hat es unterlassen, entsprechend den veränderten verfahrensrechtlichen Verhältnissen die Sache für erledigt zu erklären.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421781

BFH/NV 1997, 242

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