Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Statthaftigkeit eines Antrags auf Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

1. Mit der Richterablehnung nach § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO kann statthafterweise nur beantragt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem anhängigen Verfahren zu hindern. Für den Ausschluß des Richters an der Mitwirkung in einem erst künftig anhängig werdenden Klageverfahren besteht kein Rechtsschutzinteresse.

2. Mit einem Antrag gemäß § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO können auch solche Befangenheitsgründe statthafterweise geltend gemacht werden, die sich unterschiedslos gegen alle Angehörigen eines und desselben Spruchkörpers richten (Anschluß an BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 1975 VI C 129/74, StRK FGO § 51 R. 28).

3. Behandelt ein Gericht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem nur präsente Mittel berücksichtigt werden können, den Inhalt des Schreibens einer an dem Verfahren nicht beteiligten Behörde als zutreffend, weil Gründe für die Unrichtigkeit nach Aktenlage nicht zu erkennen sind, dann begründet dieses Vorgehen für den betroffenen Antragsteller nicht die Befürchtung, der Richter werde über weitere Anträge nicht unparteiisch entscheiden.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 96 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragten am 4. Januar 1990 beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) am 24. November 1989 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten ev. Kircheneinkommensteuerbescheide 1984 bis 1986. Dem Antrag lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das FA hatte die Antragsteller ursprünglich zur ev. Kircheneinkommensteuer 1984 bis 1986 veranlagt, wobei der Kirchensteuerfestsetzung nur der Teil der Einkommensteuern zugrunde gelegt wurde, der auf den Teil der zu versteuernden Einkommen entfiel, der der ev. Landeskirche angehörenden Antragstellerin zuzurechnen war. Die Kirchensteuerfestsetzungen beruhten auf der Annahme, der Antragsteller sei damals kein Mitglied der ev. Landeskirche gewesen. Dazu ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß der Antragsteller spätestens durch Erklärung vom 29. Dezember 1987 aus der ev. Landeskirche austrat. Auf den Lohnsteuerkarten 1984 bis 1986 ist keine Kirchenmitgliedschaft des Antragstellers ausgewiesen. In den Einkommensteuererklärungen 1984 bis 1986 ist die Frage nach der Religionszugehörigkeit des Antragstellers jeweils mit ,, - " beantwortet.

Auf Grund der Austrittserklärung vom 29. Dezember 1987 ging das FA davon aus, daß der Antragsteller bis zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied der evangelischen Landeskirche gewesen und daß die Mitgliedschaft eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sei. Es erließ deshalb die eingangs erwähnten geänderten ev. Kircheneinkommensteuerbescheide, wobei den Steuerfestsetzungen nunmehr die auf beide Antragsteller entfallenden Einkommensteuern als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wurden. Gegen die geänderten Bescheide legten die Antragsteller Einsprüche ein, über die - soweit dem erkennenden Senat bekannt - noch nicht entschieden wurde. Die Einsprüche sind auf die Rechtsauffassung gestützt, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 lägen im Streitfall nicht vor. Außerdem sei der Kirchenaustritt des Antragstellers faktisch schon 1980 wirksam geworden.

Das FG lehnte den Antrag der Antragsteller auf Aussetzung der Vollziehung der geänderten Kircheneinkommensteuerbescheide 1984 bis 1986 durch Beschluß vom 10. Juli 1990 ab. Es ließ die Beschwerde nicht zu. Der Beschluß wurde den Antragstellern am 13. Juli 1990 zugestellt.

Am 23. Juli 1990 beantragten die Antragsteller, den Beschluß vom 10. Juli 1990 sowohl wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als auch bezüglich des Tatbestandes gemäß § 108 Abs. 1 FGO zu berichtigen und ihn zusätzlich um die Zulassung der Beschwerde gemäß § 109 Abs. 1 FGO zu ergänzen. Über diese Anträge ist - soweit dem erkennenden Senat bekannt - bisher noch nicht entschieden worden. Gleichzeitig lehnten die Antragsteller den Berichterstatter des FG nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wegen der Besorgnis der Befangenheit für das weitere Verfahren ab. Der Ablehnungsantrag wurde darauf gestützt, daß in dem Beschluß mehrfach Antragsteller und Antragsgegner vertauscht worden seien. Außerdem sei das Datum der angefochtenen Kirchensteuerbescheide falsch wiedergegeben (21. statt 24. November 1989). Ferner seien nicht alle präsenten Beweismittel überprüft, sondern teilweise ohne Überprüfung übernommen worden. Von den Antragstellern in einer Beschwerdebegründung näher dargestellte Sachverhalte seien unzutreffend wiedergegeben worden.

Mit Schriftsatz vom 15. September 1990 lehnten die Antragsteller auch den zuständigen Vorsitzenden Richter am FG als befangen ab, weil er die ,,haarsträubenden Tatbestandsverfälschungen" mitzuverantworten habe.

Das FG wies die Gesuche der Antragsteller, die genannten Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, durch Beschluß vom 14. Februar 1991 als unbegründet zurück. Der Beschluß wurde den Antragstellern am 6. März 1991 zugestellt. Sie legten am 19. März 1991 beim FG Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. Die Beschwerde ist darauf gestützt, daß in dem Beschluß des FG ein Schreiben vom 16. Oktober 1989 der Gemeinde X an das FG auszugsweise wörtlich wiedergegeben ist. Die Wiedergabe des Schreibens habe in der Tatbestandsschilderung absolut nichts verloren. Sein Inhalt sei ganz überwiegend frei erfunden. Aus der Wiedergabe könne man durchaus auf eine unsachliche Einstellung der Richter gegenüber den Antragstellern schließen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und im übrigen unbegründet. Entsprechend war sie teilweise zu verwerfen und im übrigen zurückzuweisen.

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit die Antragsteller mit ihr das Begehren verfolgen, die namentlich genannten Richter für das weitere Verfahren wegen Kirchensteuer 1984 bis 1986 vom Richteramt auszuschließen. Dieser Antrag umfaßt auch den Ausschluß der genannten Richter von einer richterlichen Tätigkeit in einem möglicherweise künftig wegen evangelischer Kircheneinkommensteuer 1984 bis 1986 anhängig werdenden Klageverfahren. Ein solches Begehren ist in dem anhängigen Verfahren unstatthaft. Mit der Richterablehnung nach § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO kann statthafterweise nur beantragt werden, den abgelehnten Richter an einer weiteren Tätigkeit in dem betreffenden Verfahren zu hindern. Unter dem betreffenden Verfahren ist hier nur der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu verstehen. Dieses Verfahren wird aller Voraussicht nach abgeschlossen sein, wenn über die Anträge der Antragsteller gemäß §§ 107 Abs. 1, 108 Abs. 1 und 109 Abs. 1 FGO entschieden ist. Mit ihrem Antrag gemäß § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO können deshalb die Antragsteller allenfalls erreichen, daß die von ihnen abgelehnten Richter von den Entscheidungen gemäß §§ 107 Abs. 1, 108 Abs. 1 und 109 Abs. 1 FGO ausgeschlossen sind. Dagegen besteht für einen schon heute zu beschließenden Ausschluß der Richter an der Mitwirkung in einem erst künftig anhängig werdenden Klageverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit ist zur Zeit nicht zu erkennen, ob es überhaupt zu einer Klageerhebung durch die Kläger kommen wird. Ferner ist unklar, ob im Zeitpunkt der Klageerhebung oder später der . . . Senat des FG für die Bearbeitung der Klage zuständig sein wird. Schließlich ist nicht sicher, daß die von den Antragstellern abgelehnten Richter dann (noch) dem zuständigen Senat des FG angehören und nach dem Geschäftsverteilungsplan an Entscheidungen im Klageverfahren mitwirken werden.

2. Soweit die Beschwerde zulässig ist, ist sie offensichtlich unbegründet.

Zwar können die Antragsteller mit einem Antrag gemäß § 51 FGO i. V. m. § 42 ZPO auch solche Befangenheitsgründe statthafterweise geltend machen, die sich unterschiedslos gegen alle Angehörigen eines und desselben Spruchkörpers richten (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 5. Dezember 1975 VI C 129/74, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 51, Rechtsspruch 28). Jedoch begründet die von den Antragstellern beanstandete auszugsweise, wörtliche Wiedergabe des Schreibens der Gemeinde X vom 16. Oktober 1989 in dem Beschluß vom 10. Juli 1990 nicht die Besorgnis der Befangenheit der an dem Beschluß mitwirkenden Richter. Dies gilt auch dann, wenn der Inhalt des Schreibens unzutreffend sein sollte. Objektiv gesehen hatte das Schreiben den wiedergegebenen Inhalt. Es betraf auch Umstände, die - ihre Richtigkeit unterstellt - erklären konnten, weshalb eine Religionszugehörigkeit des Antragstellers auf den Lohnsteuerakten für die Streitjahre nicht ausgewiesen wurde. Damit bestand ein sachlicher Anlaß, den Inhalt des Schreibens auszugsweise wörtlich wiederzugeben. Die Frage, ob das FG deshalb von der Richtigkeit des Schreibens ausgehen durfte, betrifft die Überzeugung des FG, die dieses nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens frei sich zu bilden hatte (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Beschwerdegericht kann die Überzeugungsbildung des erstinstanzlichen Gerichts nur auf Rechtsfehler hin überprüfen. Selbst wenn man jedoch unterstellt, daß das FG ein inhaltlich unzutreffendes Schreiben als sachlich richtig wertete, so begründet dies noch keine Besorgnis der Befangenheit. Vielmehr muß sich mit dem Fehler ein objektiv vernünftiger Grund verbinden, der auch die Antragsteller von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch entscheiden. Daran fehlt es, wenn ein Gericht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem nur präsente Beweismittel berücksichtigt werden können, den Inhalt des Schreibens einer an dem Verfahren nicht beteiligten Behörde als zutreffend behandelt, weil Gründe für die Unrichtigkeit nach Aktenlage nicht zu erkennen sind. In einem solchen Fall sind die Antragsteller gehalten, die Unrichtigkeit des Schreibens im sog. Hauptverfahren geltend zu machen, wenn es darauf überhaupt ankommen sollte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417956

BFH/NV 1992, 316

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