Entscheidungsstichwort (Thema)

Darlegung von Zulassungsgründen: Zur gründsätzlichen Bedeutung der Eigenheimzulage; greifbare Gesetzwidrigkeit; Überraschungsentscheidung bei Einigungsvorschlag des FG; Wechsel in der Besetzung des Gerichts

 

Leitsatz (NV)

1. Rechtssachen zur Eigenheimzulage haben nur noch ausnahmsweise grundsätzliche Bedeutung.

2. Als unzutreffend behauptete Würdigungen und Wertungen des FG beinhalten keine greifbare Gesetzwidrigkeit oder Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung.

3. Eine von der Rechtsauffassung der Kläger abweichende tatrichterliche Würdigung streitentscheidender Sachverhaltsaspekte begründet auch dann keine Überraschungsentscheidung, wenn ein der Streitbeilegung dienender Einigungsvorschlag, den die Beteiligten ablehnen, den Interessen beider Streitparteien hätte dienen können.

4. Ein unzulässiger Wechsel in der Besetzung des Gerichts liegt nicht vor, wenn die Beteiligten auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet haben.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1, §§ 103, 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 119 Nr. 3; ZPO § 295; EigZulG § 19 Abs. 9

 

Verfahrensgang

FG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 05.08.2010; Aktenzeichen 5 K 601/06)

 

Gründe

Rz. 1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Rz. 2

1. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist nicht gegeben. Da es sich bei der Eigenheimzulage um auslaufendes Recht handelt (§ 19 Abs. 9 des Eigenheimzulagengesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Abschaffung der Eigenheimzulage vom 22. Dezember 2005, BGBl I 2005, 3680), wäre nur ausnahmsweise von grundsätzlicher Bedeutung auszugehen, wenn die aufgeworfenen Rechtsfragen sich noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen könnten (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Mai 2007 IX B 7/07, BFH/NV 2007, 1473). Dies ist von den Klägern nicht substantiiert vorgetragen und vorliegend auch nicht ersichtlich.

Rz. 3

2. Eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) ist im Streitfall nicht geboten. Zwar ist die Revision nach der genannten Vorschrift auch zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des Finanzgerichts (FG) zu einer "greifbar gesetzwidrigen" Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 28. August 2007 VII B 357/06, BFH/NV 2008, 113, m.w.N.). Diese Voraussetzung kann etwa dann vorliegen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 V B 72/02, BFH/NV 2003, 1597) oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Unterhalb dieser Schwelle liegende erhebliche Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Juli 2005 IX B 13/05, BFH/NV 2005, 2031). Im Streitfall haben die Kläger keinen qualifizierten, zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO führenden Rechtsanwendungsfehler substantiiert dargelegt. Die als unzutreffend behaupteten Würdigungen und Wertungen des FG beinhalten jedenfalls keine solche willkürliche Entscheidung.

Rz. 4

3. Die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) wegen einer Überraschungsentscheidung des FG liegt nicht vor. Eine von der Rechtsauffassung der Kläger abweichende tatrichterliche Würdigung streitentscheidender Sachverhaltsaspekte begründet auch dann keine Überraschungsentscheidung, wenn ein der Streitbeilegung dienender Einigungsvorschlag, den die Beteiligten ablehnen, den Interessen   beider   Streitparteien hätte dienen können. Angesichts des rechtlichen Hinweises des Gerichts vor der mündlichen Verhandlung können die Kläger nicht einwenden, das Gericht habe seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt, mit dem sie nicht zu rechnen brauchten.

Rz. 5

4. Der behauptete Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO liegt ebenfalls nicht vor. Die Regelung gebietet es nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Im Streitfall ist davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt erwogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat.

Rz. 6

5. Auch die behauptete Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) durch Übergehen eines Beweisantrages oder durch Unterlassen einer Amtsermittlung ist nicht gegeben. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde der Sach- und Streitstand mit den Beteiligten erörtert, ohne dass ein Beweisantrag gestellt oder seitens der Kläger auf ihn oder andere Aufklärungsmaßnahmen hingewirkt wurde, obwohl spätestens aufgrund der Ladung erkennbar war, dass das FG eine mögliche Beweiserhebung (etwa durch Vernehmung von Zeugen) oder weitere Aufklärungsmaßnahmen nicht durchzuführen beabsichtigte. Gleichwohl haben die --in der eineinhalbstündigen mündlichen Verhandlung vor dem FG fachkundig vertretenen-- Kläger rügelos zur Sache verhandelt und damit ihr Rügerecht verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung).

Rz. 7

6. Ein Verfahrensmangel liegt entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht darin, dass nicht alle der an dem angefochtenen Urteil mitwirkenden Richter in der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2010 zur Senatsbesetzung gehört und an ihr teilgenommen haben. Zwar kann nach § 103 FGO das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben. Ein unzulässiger Wechsel in der Besetzung des Gerichts liegt indes nicht vor, wenn die Beteiligten auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet haben (BFH-Urteil vom 20. Juni 1967 II 73/63, BFHE 90, 82, BStBl III 1967, 794). Vor diesem Hintergrund ist auch der damit im Zusammenhang stehende Einwand, das FG habe ihnen den Schriftsatz des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) nicht zur Kenntnis gebracht und deswegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, nicht schlüssig vorgebracht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 90, 82, BStBl III 1967, 794, unter II.1. a.E. der Entscheidungsgründe).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2709595

BFH/NV 2011, 1391

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