Entscheidungsstichwort (Thema)

AdV unter Widerrufsvorbehalt keine teilweise Ablehnung des AdV-Antrags

 

Leitsatz (amtlich)

Darin, dass das FA die AdV nur unter dem Vorbehalt des Widerrufs gewährt hat, liegt keine teilweise Ablehnung des AdV-Antrags i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster (EFG 1998, 1478; LEXinform-Nr. 0146941)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob darin, dass das Finanzamt (der Antragsgegner und Beschwerdegegner ―Antragsgegner―) die der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) gewährte Aussetzung der Vollziehung (AdV) unter den Vorbehalt des Widerrufs gestellt hat, eine teilweise Ablehnung des Antrags auf AdV i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu sehen ist.

1. Die Antragstellerin betreibt einen Verlag und erstellt Zeitschriften. Deren Verbreitung erfolgt durch Zeitschriftenverteiler, die die Antragstellerin als freie Mitarbeiter ansah. Bei einer im Jahre 1996 für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis 31. Mai 1996 durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung gelangte der Prüfer dagegen zu der Auffassung, bei den Zeitschriftenverteilern handle es sich um Arbeitnehmer; die an sie geleisteten Zahlungen seien nach § 40 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal zu versteuern. Der Antragsgegner erließ dementsprechend einen Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer und Solidaritätszuschlag. Dagegen hat die Antragstellerin nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat. Auf ihren Antrag, die Vollziehung des angefochtenen Nachforderungsbescheides für die Dauer des Klageverfahrens auszusetzen, gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 27. Januar 1998 die AdV, behielt sich aber vor, diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu widerrufen.

2. Daraufhin stellte die Antragstellerin einen Antrag auf AdV beim FG. Sie vertrat die Auffassung, darin, dass der Antragsgegner die AdV unter Widerrufsvorbehalt gestellt habe, sei eine teilweise Ablehnung des Aussetzungsantrags zu sehen.

3. Das FG hat den Antrag auf AdV mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1478 veröffentlichten Gründen abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei nicht zulässig, weil die in § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO geregelten Zugangsvoraussetzungen nicht vorlägen. Zwar habe der Antragsgegner dem Antrag auf AdV nicht in vollem Umfange entsprochen, da die Antragstellerin eine AdV ohne eine Nebenbestimmung i.S. des § 120 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) beantragt habe. Nach Sinn und Zweck des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, die Gerichte von Verfahren wegen AdV zu entlasten und unter Berücksichtigung des Interesses der Antragstellerin an effektivem Rechtsschutz (Rechtsschutzinteresse) beinhalte jedoch die Hinzufügung eines Widerrufsvorbehalts keine "teilweise Ablehnung" i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO. Das FG könnte die vom Antragsgegner gewährte AdV in einem stattgebenden Beschluss nur wiederholen. Es könne jedoch nicht Sinn des Nebeneinanders von behördlichem und gerichtlichem Aussetzungsverfahren sein, dass das Gericht bei Einigkeit der Beteiligten in der Sache ―Gewährung von AdV ohne Sicherheitsleistung― sich in einer streitigen Entscheidung mit der Frage eines zusätzlich in der behördlichen AdV-Entscheidung aufgenommenen Widerrufsvorbehalts befassen müsse (Hinweis auf Beschluss des FG Bremen vom 21. Oktober 1997 297018V 2, EFG 1998, 127). Erst wenn das FA tatsächlich von seinem Widerrufsvorbehalt Gebrauch mache, liege eine "teilweise Ablehnung" eines AdV-Antrags i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO vor.

4. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer ―vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen― Beschwerde.

a) Zu deren Begründung verweist die Antragstellerin auf die Eigenständigkeit des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens. Gegenstand dieses Verfahrens sei nicht die Aussetzungsverfügung des FA, sondern ausschließlich die Überprüfung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren. Stelle das FA die Aussetzungsverfügung unter dem Vorbehalt des Widerrufs, werde im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nicht überprüft, ob die Beifügung dieser Nebenbestimmung rechtmäßig gewesen sei. Ebenso wenig überprüfe das FG, ob das FA bei der Ausübung des in der Aussetzungsverfügung vorbehaltenen Widerrufsrechts sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe. Die in dem angefochtenen Beschluss vertretene Rechtsauffassung, dass in der AdV unter Widerrufsvorbehalt keine teilweise Ablehnung i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zu sehen sei, hätte zur Folge, dass die Beifügung eines Widerrufsvorbehalts in einer Aussetzungsverfügung gänzlich der gerichtlichen Kontrolle entzogen wäre. Eine solche Betrachtungsweise sei jedoch mit dem grundgesetzlich verankerten Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) nicht zu vereinbaren. Die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO sei deshalb bereits dann zu bejahen, wenn das FA die AdV unter Widerrufsvorbehalt gestellt habe. Das FG müsse in einem solchen Fall stets die Aussetzung ohne Widerrufsvorbehalt anordnen, da das Gesetz in § 69 Abs. 3 FGO i.V.m. § 69 Abs. 2 FGO nur die Sicherheitsleistung als Nebenbestimmung vorsehe.

b) Für die Beifügung eines Widerrufsvorbehalts in der Aussetzungsverfügung, wie sie der Anwendungserlass zur AO 1977 unter Nr. 9.1 als Regelfall vorsehe (Erlass des Bundesministeriums der Finanzen ―BMF― vom 30. Dezember 1996 IV A 4 -S 0062- 14/96 und IV A 5 -S 0062- 6/96, BStBl I 1996, 1468), fehle es zudem an einer Rechtsgrundlage. Bei einer reinen Ermessensvorschrift könnte zwar die Aufnahme eines Widerrufsvorbehalts als Nebenbestimmung i.S. des § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 zulässig sein. Bei der Entscheidung über die AdV nach § 69 Abs. 2 FGO handle es sich jedoch im Falle der Ermessensreduzierung auf Null um eine gebundene Entscheidung, die einen Anspruch auf Erlass der begehrten AdV begründe (Hinweis auf Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67, BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199).

c) Werde die AdV unter Widerrufsvorbehalt gestellt, bestehe auch ein frühzeitiges Rechtsschutzbedürfnis dahingehend, dass das FG die AdV ohne Widerrufsvorbehalt gewähre. Das FA könne eine unter den Widerrufsvorbehalt gestellte AdV nach pflichtgemäßen Ermessen jederzeit ändern. Ohne die Beifügung eines Widerrufsvorbehalts bestünde dagegen nach § 131 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 die Möglichkeit einer behördlichen Rücknahme der außergerichtlich gewährten AdV nur dann, wenn nachträglich Tatsachen eingetreten seien, aufgrund derer die Vollziehung ursprünglich nicht hätte ausgesetzt werden dürfen und ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre.

Die Antragstellerin beantragt, unter Abänderung des Beschlusses des FG Münster vom 4. Juni 1998 die Vollziehung des Lohnsteuernachforderungsbescheids vom 17. September 1996 für die Dauer des Klageverfahrens ohne den Vorbehalt des Widerrufs auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es verweist auf Nr. 9.1 des Anwendungserlasses zur AO 1977 vom 30. Dezember 1996, wonach der Verwaltungsakt über die AdV grundsätzlich mit einem Widerrufsvorbehalt zu versehen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zutreffend den Antrag auf AdV als unzulässig erachtet.

1. Ob darin, dass das FA die AdV nur unter dem Vorbehalt des Widerrufs gewährt hat, eine teilweise Ablehnung des Antrags auf AdV i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zu sehen ist (verneinend Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 361 Rz. 41; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Tz. 71, 85; FG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Januar 1979 VIII 385/78 A, EFG 1979, 144; bejahend Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler ―HHSp―, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz. 1107), ist in der Rechtsprechung des BFH noch nicht geklärt. Der BFH hat diese Frage im Beschluss vom 12. Juni 1986 IX B 64/83 (BFH/NV 1986, 682, 683 rechte Spalte am Ende) ausdrücklich offen gelassen. Die mit der Beschwerde aufgeworfene Streitfrage ist dahin zu entscheiden, dass die Hinzufügung eines Widerrufsvorbehalts in einer die beantragte AdV ansonsten in vollem Umfange gewährenden Verfügung des FA keine "teilweise Ablehnung" i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO darstellt.

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen umfassenden und effektiven Rechtsschutz; dazu gehört auch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 19. Juni 1973 1 BvL 39/69 und 14/72, BVerfGE 35, 263, 274; Beschluss des Zweiten Senats des BVerfG vom 19. Oktober 1977 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166, 178). Deshalb muss der Betroffene die sofortige Vollziehbarkeit von Verwaltungsakten auch im Bereich des Abgabenrechts beseitigen können (vgl. Beschluss des Ersten Senats des BVerfG vom 13. Juni 1979 1 BvR 699/77, BVerfGE 51, 268, 285). Der Betroffene wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes unter bestimmten Voraussetzungen im Ergebnis rechtlich so gestellt, als hätte sein Rechtsbehelf (Rechtsmittel) aufschiebende Wirkung (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 69 Anm. 2; Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 30).

3. Durch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Steuerbescheid (§ 69 Abs. 1 FGO) will der Gesetzgeber verhindern, dass jeder durch einen Rechtsbehelf und sei er auch aussichtslos, stundungsgleiche Wirkung erreichen kann. Der Steuerpflichtige soll sich seiner Verpflichtung zur alsbaldigen Zahlung nicht durch mutwilliges Prozessieren entziehen können. Andererseits soll aber demjenigen, der mit Erfolgsaussicht einen Rechtsbehelf einlegt, kein (auch kein vorübergehender) Nachteil entstehen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Tz. 7).

4. Das gerichtliche Aussetzungsverfahren ist kein Rechtsbehelfs- und kein Rechtsmittelverfahren, es hat nicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der (Teil-)Ablehnung der AdV zum Gegenstand, sondern die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts im Hinblick auf das Antragsbegehren, einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Vollziehung zu gewähren (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 711, 1074). Die materielle Entscheidung durch das FG ist gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz FGO, der auf Abs. 2 Satz 2 Bezug nimmt, nach den gleichen Voraussetzungen wie im behördlichen Aussetzungsverfahren zu treffen (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 714). Wie sich auch aus § 69 Abs. 7 FGO ergibt, überprüft das FG nicht die im finanzbehördlichen Aussetzungsverfahren getroffene Entscheidung, sondern hat nach Maßgabe des § 69 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz, Abs. 2 Satz 2 FGO eine eigenständige Entscheidung zu treffen (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 790 zur Anordnung der Sicherheitsleistung durch das FG).

5. Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei der Vorschrift des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, wonach eine Antragstellung bei Gericht nur zulässig ist, wenn die Behörde einen AdV-Antrag ganz oder zum Teil abgelehnt hat, um eine Zugangsvoraussetzung (vgl. BFH-Beschluss vom 31. August 1994 II S 12/94, BFH/NV 1995, 413; ständige Rechtsprechung bereits zuvor zu Art. 3 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit ―VGFGEntlG―, vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Oktober 1979 IV B 61/79, BFHE 129, 8, BStBl II 1980, 49; vom 28. Mai 1990 V B 13/90, BFH/NV 1991, 698). Die Vorschrift des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, die die Zielsetzung des Art 3 § 7 Abs. 1 VGFGEntlG übernommen hat (BTDrucks 12/1061, S. 15) dient der Entlastung der FG und schränkt dazu den vorläufigen Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO ein. Eine weitere Einschränkung erfährt der vorläufige Rechtsschutz durch § 69 Abs. 7 FGO. Lehnt das FA die AdV ab, kann das Gericht nur nach § 69 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 3 FGO angerufen werden. Gegen die Ablehnung der Vollziehung durch die Finanzbehörde kann zwar das Einspruchsverfahren beschritten werden, gegen die Einspruchsentscheidung ist jedoch keine Klage statthaft (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 1075).

6. Die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen, dem das FA die AdV unter dem Vorbehalt des Widerrufs gewährt hat, ist ungünstiger als die desjenigen Steuerpflichtigen, dem die AdV ohne eine solche Nebenbestimmung gewährt worden ist. Gleichwohl liegt darin, dass das FA die AdV unter Widerrufsvorbehalt gestellt hat, keine teilweise Ablehnung i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO. Diese ist erst dann gegeben, wenn das FA von seinem vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch macht (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 9. Juli 1997 VIII B 40/97, BFH/NV 1998, 23). Es würde dem vom Gesetzgeber mit § 69 Abs. 4 und Abs. 7 FGO verfolgten Zweck, die Finanzgerichte zu entlasten, widersprechen, bereits in der bloßen Beifügung eines Widerrufsvorbehalts eine teilweise Ablehnung i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO zu sehen. Dies würde den Steuerpflichtigen dazu berechtigen, einen Antrag auf AdV an das FG zu richten, obwohl das FA die AdV gewährt hat und nicht vorherzusehen ist, ob das FA jemals von seinem Widerrufsvorbehalt Gebrauch machen wird.

7. Der Steuerpflichtige ist, auch wenn die vom FA gewährte AdV unter Widerrufsvorbehalt steht, rechtlich so gestellt, als hätte seine Klage aufschiebende Wirkung. Allein die bloße Möglichkeit, dass das FA die AdV ―ohne die vorherige Befassung des FG― widerrufen könnte, schmälert diese Rechtsstellung des Steuerpflichtigen so lange nicht, wie das FA von der Möglichkeit des Widerrufs keinen Gebrauch macht. Dem Anspruch des Steuerpflichtigen auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), der darauf gerichtet ist, dass der Betroffene im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis rechtlich so gestellt wird, als hätte sein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung, ist bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass das FA die AdV ―wenn auch unter Widerrufsvorbehalt― gewährt hat.

8. Dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass damit die Beifügung eines Widerrufsvorbehalts in einer Aussetzungsverfügung des FA der finanzgerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Macht das FA in einem solchen Falle vom Widerrufsvorbehalt Gebrauch, kann das FG weder die gemäß § 120 Abs. 1, 2 Nr. 3 und Abs. 3 AO 1977 erfolgte Beifügung des Widerrufsvorbehalts auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, noch die in der Ausübung des Widerrufsvorbehalts liegende Ermessensentscheidung. Dies ist die Folge der durch § 69 Abs. 7 FGO bewirkten eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeit des Steuerpflichtigen auf dem Gebiete des vorläufigen Rechtsschutzes. Dagegen bestehen im Hinblick auf den durch Art 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Für einen den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden wirksamen vorläufigen Rechtsschutz reicht es aus, dass ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen angefochtenen belastenden Verwaltungsakt (wieder)herstellen kann (BVerfGE 51, 268, 284; Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 30). Dem entspricht es, dass der Steuerpflichtige nach § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO einen Antrag auf AdV an das FG richten kann, sobald das FA von dem in der Aussetzungsverfügung vorbehaltenen Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat.

9. Zwar liegt für den Steuerpflichtigen darin, dass die vom FA gewährte AdV unter Widerrufsvorbehalt gestellt worden ist, eine Beschwer, weil seinem weitergehenden Begehren auf AdV ohne Beifügung einer Nebenbestimmung nicht entsprochen worden ist. Aufgrund dieser Beschwer ist der Steuerpflichtige auch berechtigt, gegen die Beifügung der Nebenbestimmung Einspruch einzulegen. Diese Beschwer begründet jedoch keine teilweise Ablehnung der AdV i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO. Ein Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen für einen an das FG gerichteten Antrag auf AdV ist nicht allein deshalb zu bejahen, weil aufgrund der Beifügung des Widerrufsvorbehalts die Möglichkeit besteht, dass die Finanzbehörde die gewährte AdV widerrufen könnte. Diese Beschwer muss der Steuerpflichtige aufgrund des durch § 69 Abs. 4 und 7 FGO verfolgten Zwecks, die FG von Verfahren der AdV zu entlasten, hinnehmen. Für einen wirksamen Rechtsschutz reicht es, wie bereits ausgeführt, aus, dass das FG die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen angefochtenen Steuerbescheid herstellen kann. Dieser Fall tritt bei einer vom FA gewährten AdV, die unter Widerrufsvorbehalt steht, jedoch erst dann ein, wenn das FA von dem Widerrufsvorbehalt Gebrauch gemacht hat. Dem entspricht es, dass bei einer mit einer Befristung versehenen AdV ebenfalls keine teilweise Ablehnung i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO angenommen wird, weil das FG nach dem mit § 69 Abs. 4 FGO verfolgten Entlastungszweck nicht schon während des Einspruchsverfahrens mit dem Aussetzungsfall befasst werden soll (BFH-Beschlüsse vom 22. Dezember 1994 VI B 138/94, BFH/NV 1995, 701; vom 12. Mai 1992 I B 17/92, BFH/NV 1993, 259, 260; Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz. 1106).

10. Dass die Gewährung der AdV unter Widerrufsvorbehalt keine teilweise Ablehnung der beantragten AdV i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO beinhaltet, steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH, wonach in der Gewährung der AdV gegen Sicherheitsleistung eine teilweise Ablehnung des AdV-Antrags zu sehen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Oktober 1981 I B 69/80, BFHE 134, 239, BStBl II 1982, 135, zu Art. 3 § 7 VGFGEntlG). Bei der Nebenbestimmung der Sicherheitsleistung handelt es sich, wie sich aus § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO ergibt, um eine aufschiebende Bedingung (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juni 1979 IV B 20/79, BFHE 128, 306, BStBl II 1979, 666). Weil die Wirkungen der AdV nur und erst dann eintreten, wenn der Steuerpflichtige die Sicherheit leistet, liegt in der Beifügung der Nebenbestimmung "Sicherheitsleistung" bereits eine teilweise Ablehnung der AdV i.S. des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO. Der Steuerpflichtige wird durch die Gewährung der AdV gegen Sicherheitsleistung nicht so gestellt, als hätte sein Rechtsbehelf (Einspruch, Klage) aufschiebende Wirkung. Demgegenüber steht der Steuerpflichtige, dem AdV unter Widerrufsvorbehalt gewährt wird, so da, als hätte sein Rechtsbehelf (Einspruch, Klage) aufschiebende Wirkung. Dies ändert sich erst dann, wenn das FA von seinem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat.

11. Auch zur Rechtsprechung des BFH, wonach das gerichtliche AdV-Verfahren dann nicht in der Hauptsache erledigt ist, wenn das FA während des gerichtlichen Verfahrens die AdV unter Widerrufsvorbehalt verfügt hat (so BFH-Beschlüsse vom 10. März 1970 II S 39/68, BFHE 98, 330, BStBl II 1970, 385; in BFH/NV 1986, 682; vom 7. Oktober 1991 XI B 37, 40-43/91, BFH/NV 1992, 192; vom 13. Dezember 1990 VIII B 89/89, BFH/NV 1992, 314) besteht kein Widerspruch. Ergeht eine gerichtliche Anordnung, durch die die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids ausgesetzt wird, so bindet diese Anordnung die betroffene Verwaltungsbehörde; nur das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO die von ihm nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO getroffene Aussetzungsanordnung ändern oder aufheben. Eine von der Finanzbehörde ―während des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens― gewährte, unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gestellte AdV, erledigt deshalb nicht das ―an das FG herangetragene― Anliegen des Steuerpflichtigen, vor einer Vollziehung unabhängig von dem Standpunkt der Verwaltungsbehörde geschützt zu sein. Aus der vorgenannten Rechtsprechung des BFH zur mangelnden Erledigung des AdV-Verfahrens in der Hauptsache lässt sich deshalb für die Frage, wann die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, die teilweise Ablehnung des AdV-Antrags, vorliegt, nichts ableiten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426302

BFH/NV 2000, 1411

BStBl II 2000, 536

BFHE 192, 1

BFHE 2001, 1

BB 2000, 1930

DB 2001, 366

DStR 2000, 1600

DStRE 2000, 1175

DStZ 2000, 794

HFR 2000, 819

StE 2000, 591

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