Entscheidungsstichwort (Thema)

BFH als Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO; Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG i.V.m. § 70 FGO

 

Leitsatz (NV)

  1. Ist der BFH für das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheides für den Veranlagungszeitraum X Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO, dann ist er auch für das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des nicht angefochtenen Gewerbesteuermessbescheides für den dem Veranlagungszeitraum X entsprechenden Erhebungszeitraum Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO.
  2. Die Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG i.V.m. § 70 FGO steht einer Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht nicht entgegen, wenn der Beschluss des Finanzgerichts, soweit er die instanzielle Zuständigkeit des Finanzgerichts verneint hat, offensichtlich auf einem Irrtum beruht und zu einem mit Art. 101 des Grundgesetzes nicht zu vereinbarenden Ausschluss des gesetzlichen Richters führen würde.
 

Normenkette

FGO § 70; GVG § 17a Abs. 2 S. 3; GG Art. 101; GewStG § 35b; FGO § 69 Abs. 3 S. 1

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin ―eine GmbH― führte als Klägerin beim Finanzgericht (FG) Münster einen Rechtsstreit gegen den Antragsgegner (Finanzamt ―FA―) wegen Körperschaftsteuer 1989 bis 1991. Streitig waren u.a. Hinzuschätzungen zum Gewinn. Das FG hat die Klage durch Urteil vom 8. November 1999 abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Der von der Antragstellerin wegen Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde hat das FG nicht abgeholfen.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 9. Februar 2000 hat die Antragstellerin beim FG sinngemäß beantragt, die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1989, 1990, 1991, 1996 und 1997, der Umsatzsteuerbescheide 1989 bis 1991 und der Gewerbesteuermessbescheide 1989 bis 1992 auszusetzen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Das FA habe die Vollziehung der genannten Bescheide für die Dauer des Klageverfahrens ausgesetzt. Aufgrund der Nichtzulassungsbeschwerde sei beim FA eine weitere Aussetzung der Vollziehung der Bescheide beantragt worden. Das habe das FA mit Verwaltungsakt vom 23. Januar 2000 abgelehnt. Gegen den Verwaltungsakt habe die Antragstellerin fristgerecht Einspruch eingelegt, den das FA am 7. Februar 2000 zurückgewiesen habe. Die Rechtmäßigkeit der Bescheide sei ernstlich zweifelhaft.

Das FA beantragt, den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.

Das FG war der Auffassung, für das Verfahren sei gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Bundesfinanzhof (BFH) als Gericht der Hauptsache zuständig. Es hat deshalb in sinngemäßer Anwendung des § 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) das Verfahren an den BFH verwiesen (Beschluss vom 14. Februar 2000).

Das FA hat auf Anfrage mitgeteilt, die Antragstellerin habe wegen Körperschaftsteuer 1996 und 1997, Umsatzsteuer 1989 bis 1991 und Gewerbesteuermessbetrag 1992 Einsprüche eingelegt, über die das FA noch nicht entschieden habe. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat auf Anfrage erklärt, diese Einsprüche seien eingelegt worden, da sich die streitigen Hinzuschätzungen auch auf die Höhe der Umsatzsteuer und die Verlustvorträge ausgewirkt hätten.

Durch Beschluss vom heutigen Tag hat der beschließende Senat die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide und der Gewerbesteuermessbescheide für 1989 bis 1991 wird abgelehnt.

a) Der beschließende Senat ist für das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1989 bis 1991 Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO, da das FG der Nichtzulassungsbeschwerde ―die die Körperschaftsteuer 1989 bis 1991 betraf― nicht abgeholfen hat (s. BFH-Beschluss vom 23. Februar 1989 V S 3/88, BFHE 155, 501, BStBl II 1989, 424; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 69 FGO Rz. 724; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 35 FGO Rz. 16; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 69 Rz. 125). Der beschließende Senat ist auch für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der ―nach Angabe der Beteiligten nicht angefochtenen― Gewerbesteuermessbescheide 1989 bis 1991 Gericht der Hauptsache. Denn gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 FGO und § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) war er im Fall einer Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1989 bis 1991 auch instanziell zuständig (zur instanziellen Zuständigkeit s. Steinhauff, a.a.O., Vor §§ 35 bis 39 FGO Rz. 18, 19, § 35 FGO Rz. 11, 12) für die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 1989 bis 1991.

b) Die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide für 1989 bis 1991 ist nicht auszusetzen, da die Bescheide nicht mehr ―was gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO grundsätzlich Voraussetzung einer Aussetzung der Vollziehung ist― angefochten sind. Der beschließende Senat hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Das Klage abweisende FG-Urteil vom 8. November 1999 ist somit rechtskräftig (§ 115 Abs. 5 Satz 3 FGO) und die Körperschaftsteuerbescheide sind daher nicht mehr angefochten, sondern bestandskräftig und unanfechtbar (s. Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz. 22, 91; Birkenfeld, a.a.O., § 69 FGO Rz. 194, 958, m.w.N.).

c) Da die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide für 1989 bis 1991 nicht auszusetzen ist, kommt auch eine Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide 1989 bis 1991 gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 FGO und § 35b GewStG nicht in Betracht (s. Birkenfeld, a.a.O., § 69 FGO Rz. 494; Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 35b GewStG Rz. 13, m.w.N.).

2. Soweit die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1996 und 1997, der Umsatzsteuerbescheide 1989 bis 1991 und des Gewerbesteuermessbescheids 1992 beantragt, ist das Verfahren an das FG Münster zurückzuverweisen. Insoweit war der BFH entgegen der Auffassung des FG bisher zu keinem Zeitpunkt Gericht der Hauptsache i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO.

Die Nichtzulassungsbeschwerde betraf nur die Körperschaftsteuer für die Veranlagungszeiträume 1989 bis 1991. Daher war der beschließende Senat weder instanziell zuständig für die Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1996 und 1997 und der Umsatzsteuerbescheide 1989 bis 1991 noch war er instanziell dafür zuständig, als Folge einer etwaigen Aussetzung der Vollziehung der Körpeschaftsteuerbescheide 1989 bis 1991 gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 FGO und § 35b GewStG den Gewerbesteuermessbescheid 1992 auszusetzen.

Die Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG i.V.m. § 70 FGO (s. dazu Steinhauff, a.a.O., § 35 FGO Rz. 19, m.w.N.) steht der Zurückverweisung nicht entgegen, da der Beschluss des FG vom 14. Februar 2000, soweit er die instanzielle Zuständigkeit des FG für die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1996 und 1997, der Umsatzsteuerbescheide 1989 bis 1991 und des Gewerbesteuermessbescheids 1992 verneint, auf einem offensichtlichen Irrtum beruht und zu einem mit Art. 101 des Grundgesetzes nicht zu vereinbarenden Ausschluss des gesetzlichen Richters führen würde (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 1993 I S 4/93, BFH/NV 1993, 676; Gräber/Koch, a.a.O., § 70 Rz. 11).

 

Fundstellen

Haufe-Index 426518

BFH/NV 2000, 1350

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