Entscheidungsstichwort (Thema)

Zolltarifsache; Widerruf des Verzichts auf mündliche Verhandlung

 

Leitsatz (NV)

  1. Eine Zolltarifsache i.S. von § 116 Abs. 2 FGO liegt nicht vor, wenn nur die rechtliche Beschaffenheit der Ware, die Zulässigkeit des Widerrufs der vorgelegten Ursprungsnachweise bzw. die daraus resultierende Nacherhebung des Zolls streitig ist.
  2. Der konkludente Antrag eines Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung führt zwar dazu, dass das FG nach § 94a FGO nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (vgl. Urteil vom 22. September 1999 XI R 24/99, BFHE 190, 17, BStBl II 2000, 32); ein solcher Antrag reicht aber nicht aus, um einen wirksam erklärten Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu widerrufen.
 

Normenkette

FGO § 90 Abs. 1 S. 1, §§ 94a, 116 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte im Juli 1995 in zwei Sendungen T-Shirts aus Bangladesch in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Zollstelle fertigte die Waren jeweils antragsgemäß unter Einreihung in die Unterpos. 6109 10 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zollfrei ab, weil die Klägerin für die T-Shirts entsprechende Ursprungszeugnisse vorgelegt hatte.

Mit Steueränderungsbescheiden vom 20. November 1997 erhob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hautzollamt ―HZA―) Zoll in Höhe von insgesamt … DM mit der Begründung nach, die in Bangladesch zuständige Behörde habe die Präferenznachweise widerrufen; der Klägerin sei der Präferenzzollsatz daher zu Unrecht gewährt worden. Gründe für ein Absehen von der Nacherhebung lägen nicht vor.

Die Klägerin erhob nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage gegen das HZA. Im Klageverfahren erklärten die Beteiligten ―auf die Anfrage des Finanzgerichts (FG)― ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Mit Schreiben vom 28. Januar 2000 wies das FG die Klägerin darauf hin, dass der erforderliche Nachweis der Direktbeförderung der Waren nicht erbracht sein dürfte und bereits aus diesem Grund die Präferenzen zu Unrecht gewährt worden seien. Mit Schreiben vom 9. Februar 2000 teilte die Klägerin dem FG mit, dass die Ware in Singapur umgeladen werden musste, weil in Bangladesch kein als Seehafen tauglicher Hafen existiere. Regelmäßig würden bei Lieferungen via Singapur keine zollamtlichen Nichtmanipulationsbescheinigungen ausgestellt und auch von der Zollbehörde nicht verlangt. Für diesen Vortrag bot die Klägerin Zeugenbeweis an.

Das FG entschied daraufhin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, dass das HZA zu Recht Zoll in der fraglichen Höhe nacherhoben habe, da die von der Klägerin vorgelegten Ursprungszeugnisse von der in Bangladesch zuständigen Behörde widerrufen worden seien, ferner der Nachweis der Direktbeförderung nicht erbracht worden sei und Gründe für ein Absehen von der Nacherhebung nicht vorlägen.

Mit der gegen das Urteil des FG eingelegten Revision macht die Klägerin einen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend, weil das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, obwohl aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 9. Februar 2000 zu entnehmen gewesen sei, dass sie ihren am 7. Mai 1999 erklärten Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung widerrufen habe. Außerdem bedürfe die Revision keiner Zulassung, weil es sich um eine Zolltarifsache handele. Streitig sei nämlich, ob das HZA den Zoll zu Recht mit den angefochtenen Steueränderungsbescheiden nacherhoben habe. Damit liege eine zulassungsfreie Zolltarifsache vor, weil es um die Auslegung und Anwendung des Zolltarifs gehe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unzulässig (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Revision ist weder als Zolltarifsache nach § 116 Abs. 2 FGO noch als Verfahrensrevision nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zulassungsfrei statthaft, weil eine Zolltarifsache nicht vorliegt und wesentliche Mängel des Verfahrens nicht schlüssig gerügt worden sind.

1. Ein Fall der nach § 116 Abs. 2 FGO zulassungsfreien Revision ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gegeben. Die erstinstanzliche Entscheidung ist kein Urteil in einer Zolltarifsache. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt eine Zolltarifsache nur dann vor, wenn das FG in seiner Entscheidung über eine zolltarifliche Frage erkannt hat und das Urteil auf der zolltariflichen Entscheidung beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5, BStBl II 1991, 526, m.w.N.).

Insbesondere handelt es sich nicht allein deshalb um eine Zolltarifsache, weil es im Streitfall um die Gewährung einer Zollpräferenz geht. Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gewährung von präferenzrechtlichen Zollbegünstigungen stellen nur dann Zolltarifsachen dar, wenn die Tarifierung der eingeführten Ware oder die Auslegung und Anwendung von mit der Einordnung der Ware nicht unmittelbar zusammenhängenden Vorschriften des Zolltarifs streitig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 1997 VII R 92/96, BFH/NV 1998, 320). Vorliegend besteht kein Streit darüber, wie die von der Klägerin eingeführten T-Shirts zu tarifieren sind. Unterschiedliche Auffassungen bestehen nur darüber, ob die vorgelegten Ursprungszeugnisse anzuerkennen sind und ob ggf. der Zoll nacherhoben werden darf. Sollte es sich bei der von der Klägerin eingeführten Ware tatsächlich um präferenzbegünstigte T-Shirts gehandelt haben, wäre die Zuweisung zur Unterpos. 6109 10 00 KN unzweifelhaft. Gegenstand des Rechtsstreits ist somit die Beschaffenheit der eingeführten Ware (hier: deren rechtliche Beschaffenheit) und die Zulässigkeit des Widerrufs der vorgelegten Ursprungsnachweise bzw. der daraus resultierenden Nacherhebung des Zolls. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, liegt jedoch dann keine Zolltarifsache vor, wenn nicht die zolltarifliche Einordnung, sondern die Beschaffenheit der Ware den Gegenstand des Rechtsstreits bildet (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juli 1992 VII R 13/91, BFH/NV 1993, 284, m.w.N.).

2. Der Vortrag der Klägerin ergibt nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten, wenn das FG unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet (z.B. Urteil vom 2. Dezember 1992 II R 112/91, BFHE 169, 311, BStBl II 1993, 194, unter II. 1., m.w.N.). Die von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen indes diese Rüge nicht.

Im Streitfall durfte das FG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil ein wirksamer Verzicht der Klägerin auf mündliche Verhandlung vorlag und dieser nicht widerrufen worden ist.

Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 FGO). Die Klägerin hatte ―ebenso wie das HZA― mitgeteilt, dass keine Einwände gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehen und damit das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Dieser Verzicht auf mündliche Verhandlung kann im Interesse einer eindeutigen und klaren prozessrechtlichen Lage grundsätzlich nicht frei widerrufen werden (zuletzt BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, m.w.N.). Der Senat braucht vorliegend nicht zu entscheiden, ob der Verzicht ausnahmsweise bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerrufen werden kann (verneinend: BFH-Urteile vom 4. April 1974 V R 161/72, BFHE 112, 316, BStBl II 1974, 532; vom 30. April 1985 VIII R 29/84, BFH/NV 1986, 33; bejahend: vom 21. September 1989 V R 55/84, BFH/NV 1990, 353, unter 4.); denn im Streitfall hat die Klägerin eine solche Widerrufserklärung nicht abgegeben.

Die Anforderungen an eine wirksame Widerrufserklärung ergeben sich aus ihrem Wesen als einseitig verfahrensgestaltende Prozesshandlung. Ebenso wie der Verzicht auf mündliche Verhandlung im Interesse der Rechtssicherheit klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden muss (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 1994 IV R 9/94, BFH/NV 1995, 129), ist auch ein Widerruf der Verzichtserklärung an derartige Voraussetzungen gebunden; ein "Widerruf" durch schlüssiges Verhalten genügt demnach nicht (BFH-Urteil vom 6. April 1990 III R 62/89, BFHE 160, 405, BStBl II 1990, 744, unter 2. b bb).

Die Klägerin kann sich für ihre Auffassung, ein Widerruf einer Verzichtserklärung könne sich auch konkludent aus schriftlichen Äußerungen der Beteiligten ergeben ―hier: aus ihrem Schreiben vom 9. Februar 2000― auch nicht auf die BFH-Entscheidung vom 22. September 1999 XI R 24/99 (BFHE 190, 17, BStBl II 2000, 32) berufen. Diese Entscheidung befasst sich nicht damit, wann ein wirksamer Widerruf des Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorliegt, sondern ausschließlich mit der Frage, wann das FG nach § 94a FGO verfahren kann. Nach § 94a FGO kann das Gericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert bei einer Klage, die eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1 000 DM nicht übersteigt. Diese Bestimmung erlaubt insbesondere, das Verfahren auch dann ohne mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn sich die Beteiligten hiermit nicht ausdrücklich einverstanden erklärt haben. Insoweit hält es der BFH für ausreichend, dass sich der Antrag des Beteiligten auch konkludent aus seinen schriftlichen Äußerungen ergibt. Sowohl in der Absichtserklärung eines Klägers, den Steuerbetrag noch in einer mündlichen Verhandlung bestimmen zu wollen, als auch in der Äußerung, es sei beabsichtigt, in der mündlichen Verhandlung näher bezeichnete Anträge zu stellen, sieht der BFH einen konkludenten Antrag auf mündliche Verhandlung. Das FG kann unter diesen Umständen nicht davon ausgehen, dass der Kläger auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat. Wenn der Beteiligte allerdings eindeutig einen Verzicht erklärt hat, ist er hieran zumindest solange gebunden ―wenn man davon ausgeht, dass der Verzicht überhaupt widerrufen werden kann―, bis der Widerruf der Verzichtserklärung eindeutig erfolgt ist. Schriftsätze der Beteiligten, die lediglich Zweifel daran wecken, ob an dem früher erklärten Verzicht weiterhin festgehalten werden soll, stehen einer Entscheidung des FG ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen.

Für die vorliegende Streitsache trifft letzteres zu, weil die Klägerin zunächst eindeutig auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hatte und hiervon später nicht unmissverständlich abgerückt ist. Das Schreiben der Klägerin, mit dem sie darauf verweist, dass eine Direktbeförderung der Waren wegen der örtlichen Verhältnisse in Bangladesch nicht möglich gewesen sei, lässt zwar Zweifel an ihrem Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erkennen, insbesondere weil sie ihren Vortrag auch unter Beweis stellt. Daraus könnte man schliessen, dass sie nicht mehr an ihrem Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung festhalten möchte. Demgegenüber spricht einiges dafür, die Erklärung der Klägerin als bloße Anregung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung (ungeachtet des für die Klägerin bindenden Verzichts) zu verstehen. Im Ergebnis kann jedoch offen bleiben, wie die Erklärung auszulegen ist, weil allenfalls eine eindeutige Widerrufserklärung rechtlich von Bedeutung wäre. Das FG hat folglich nicht unter Verstoß gegen § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden.

3. Liegt hiernach kein Grund für eine zulassungsfreie Revision vor, so ist die nicht zugelassene Revision der Klägerin unzulässig (Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

 

Fundstellen

Haufe-Index 510351

BFH/NV 2001, 462

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