Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Entgegennahme und Verbuchung - einschließlich der Anrechnung und Umbuchung - von Vorauszahlungen, die ohne besondere Einwirkung des Finanzamts auf den Steuerpflichtigen (wie Mahnung, Postnachnahme, Beitreibungsmaßnahmen) entrichtet werden, bedeutet keine "Vollziehung" im Sinne des § 69 FGO.

 

Normenkette

EStG § 47 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3 S. 4, §§ 130, 132

 

Tatbestand

Mit Schreiben vom 15. März 1966 beantragten die Steuerpflichtigen (Stpfl.) beim Finanzgericht (FG) gemäß, § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO die Aufhebung der Vollziehung der berichtigten Einkommensteuerbescheide 1960 und 1961, soweit das Finanzamt (FA) nicht die in ihnen festgesetzten Steuerbeträge gemäß § 131 AO erlassen habe. Sie begründeten ihren Antrag mit der "offensichtlichen Verfassungswidrigkeit" der Vorschrift des § 32 Abs. 2 Ziff. 4 Satz 2 EStG, derzufolge Ehegatten im Falle ihrer Zusammenveranlagung der Kinderfreibetrag für dasselbe Kind nur einmal zusteht.

Das FA führte demgegenüber aus, der Antrag gehe auf eine unmögliche Leistung. Die Stpfl. hätten ihre Vorauszahlungen auf die Einkommensteuern und Kirchensteuern 1960 und 1961 freiwillig und pünktlich entrichtet. Sie seien sodann nach Erklärung für die Streitjahre zunächst gemäß § 100 AO vorläufig veranlagt worden. Soweit die nach Durchführung einer Betriebsprüfung ergangenen Berichtigungsbescheide höhere Steuerfestsetzungen enthielten, seien die nachgeforderten Beträge gemäß § 131 AO erlassen worden. Die Zahlung der Beträge, hinsichtlich derer jetzt die Aufhebung der Vollziehung verlangt werde, sei im Wege der Vorauszahlung erfolgt und nicht auf Grund der Berichtigungsbescheide.

Das FG lehnte den Antrag durch Beschluß mit folgender Begründung ab:

Es sei zwar zutreffend, daß freiwillig geleistete Zahlungen einer Vollziehung im Sinne des § 69 FGO gleichzustellen seien. Die nachträgliche Aufhebung einer Vollziehung sei aber nur möglich, wenn der vollzogene Verwaltungsakt noch nicht unanfechtbar geworden sei. Das aber sei hier in Ansehung der vorläufigen Einkommensteuerbescheide 1960 und 1961 der Fall. Aber selbst wenn die geleisteten Beträge den Berichtigungsbescheiden zugeordnet würden, könne nichts anderes gelten. Denn die Zahlungen seien dessenungeachtet auf Grund früherer formell bestandskräftig gewordener Bescheide erfolgt. Danach komme es auf die Frage nach der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 32 Abs. 2 Ziff. 4 Satz 2 EStG für das vorliegende Aussetzungsverfahren nicht mehr an.

Hiergegen wenden sich die Stpfl. mit der Beschwerde, mit der sie einwenden, daß die Umbuchung der Vorauszahlungen auf das mit den Berichtigungsbescheiden festgesetzte Leistungssoll (als Leistungsgebot insoweit eine Vollziehung eben dieser Bescheide darstelle.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO kann das Prozeßgericht anordnen, daß die Vollziehung eines im Zeitpunkt seiner Entscheidung (d. h. in der Regel seiner Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung) bereits vollzogenen Verwaltungsakts aufzuheben, d. h. wieder rückgängig zu machen sei. Dem FG kann nicht zugestimmt werden, wenn es freiwillig, d. h. ohne Zwang oder unter dem Eindruck von Vollziehungsmaßnahmen (wie übersendung einer Mahnung, einer Nachnahme, Vornahme einer Pfändung) geleistete Steuerzahlungen unter den Begriff der Vollziehung im Sinne des § 69 FGO einordnet. Eine solche Auffassung läßt sich auch nicht aus § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung herleiten (vgl. Eyermann- Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. Anm. 43 ff. zu § 80). Wollte man dem FG hierin folgen, so wäre jede Vorauszahlung auf einen künftigen Steuerbescheid zu erstatten, wenn dieser mit Rechtsmitteln angefochten wird. Das ist aber nicht der Sinn des § 69 Abs. 3 FGO, der lediglich die zwangsweise Durchsetzung eines seinem Grund und / oder seiner Höhe nach bestrittenen Steueranspruchs verhindern will, vorausgesetzt, daß das Vorbringen des Stpfl. ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts begründet (siehe Ziemer-Birkholz, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, Tz. 26 ff. zu § 69).

Gemäß § 47 Abs. 1 EStG werden auf die Einkommensteuerschuld die für den Veranlagungszeitraum entrichteten Vorauszahlungen angerechnet. Die Anrechnung erfolgt kassentechnisch im Wege der Umbuchung. Im Streitfall steht fest, daß die Stpfl. die auf die Berichtigungsbescheide umgebuchten Vorauszahlungen, die zunächst zur Abdeckung des Leistungssolls nach den vorläufigen Einkommensteuerbescheiden für 1960 und 1961 verwendet worden waren, freiwillig, d. h. ohne Zwang, wenn auch auf Grund eines die Vorauszahlungen anordnenden Leistungsgebots, entrichtet haben. Das hat zur Folge, daß die Anrechnung dieser Beträge nach Fortfall der vorläufigen Bescheide zum Ausgleich des nunmehrigen Leistungssolls nach den Berichtigungsbescheiden keinen Akt der Vollziehung im Sinne des § 69 FGO darstellt.

Die Beschwerde konnte danach, wenn auch aus anderen Gründen als denen des Beschlusses des FG, keinen Erfolg haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412234

BStBl III 1966, 646

BFHE 1966, 723

BFHE 86, 723

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