Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung - Voraussetzungen für die Zurechnung des Verschuldens eines Boten

 

Leitsatz (NV)

1. Bei der Versäumung einer Rechtsmittelfrist geht das Verschulden eines Boten (hier: eines in der Absendestelle tätigen Bediensteten) nur dann nicht zu Lasten der beklagten Finanzbehörde, wenn der Bote auf die Eilbedürftigkeit der Übermittlung der Rechtsmittelschrift ausdrücklich und eindeutig hingewiesen worden ist oder wenn eine wirksame Ausgangskontrolle bestanden hat.

2. Zu den Anforderungen an die gebotenen Hinweise (1.) - hier: hinsichtlich der besonderen Art der Übermittlung - und an die Einrichtung der Ausgangskontrolle.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1, § 124

 

Tatbestand

Das Hauptzollamt (HZA) legte gegen das der Klage stattgebende, ihm am 2. Oktober 1987 zugestellte Urteil des Finanzgerichts - FG - mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1987, beim FG eingegangen am 3. November 1987 (Dienstag), Revision ein.

Mit Schriftsatz vom 6. November 1987 hat das HZA beantragt, wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es beruft sich wegen der Fristversäumnis auf ein Versehen eines in seiner Geschäftsstelle (Poststelle) eingesetzten Beamten - Zollobersekretär S - und führt aus, dieser habe die für das FG bestimmten Ausfertigungen des Schriftsatzes vom 27. Oktober 1987 entgegen eindeutiger Anweisung in dem Entwurf und darin enthaltenen Vermerks ,,Sofort! (Termin beim FG: 2. 1. 1987)" nicht direkt mit der Behördenpost dem FG zugeleitet, sondern sie versehentlich den für die Oberfinanzdirektion - OFD - bestimmten Mehrausfertigungen beigefügt. Bei der OFD, die am 27. Oktober 1987 wegen der Eilbedürftigkeit der Zustellung abweichend von der bestehenden Verfahrensanweisung ausdrücklich die Weisung erteilt habe, den Revisionsschriftsatz direkt dem FG zu übersenden, sei der Irrtum am 3. November 1987 bemerkt worden.

Im einzelnen bezieht sich das HZA auf den Entwurf vom 27. Oktober 1987 sowie auf eine Erklärung des ZOS S vom 4. November 1987.

Der Entwurf enthält den Vermerk ,,Sofort! . . .", ferner folgende Verfügungen:

,,1) Kzl. schreibe . . . x . . .:

FG . . .

In dem Rechtsstreit . . . lege ich . . . gegen . . . Revision ein . . .

Anlagen: 5 Mehrausfertigungen dieses Schriftsatzes.

2) Kzl. setze unter eine Mehrfertigung von 1):

OFD . . .

Mehrfertigung lege ich . . . vor . . .

Anlagen: . . .

1 Mehrfertigung3) Wv. bei . . ."

Auf dem Entwurf befindet sich der Abdruck eines Kanzleistempels mit (ausgefüllten) Vermerken über die Fertigung (,,gef. zu . . ./gel. zu . . .") und dem weiteren Vermerk ,,ab zu Nr. 1 und 2 am 28. 10. 87 durch S".

ZOS S hat erklärt, er habe den Vorgang mit der Maßgabe erhalten, einen Schriftsatz an das FG mit Anlagen und einen Bericht mit Anlagen an die OFD zu übersenden; er habe jedoch den Schriftsatz an das FG mit allen Anlagen dem Bericht an die OFD versehentlich beigefügt und anschließend im Postausgangsfach ,,OFD" abgelegt.

Das HZA führt ferner aus, wenn eine Absendung des Revisionsschreibens über die OFD beabsichtigt gewesen wäre, hätte der Beschleunigungsvermerk in einen besonderen Vorlagebericht übernommen werden müssen; insoweit sei der für die Absendung der Post zuständige Beamte schriftlich im Entwurf auf die von dem Normalfall der Absendung über die OFD abweichende Versendung ausdrücklich und deutlich hervorgehoben hingewiesen worden. Der Vorsteher des HZA und der zuständige Sachbearbeiter hätten auch eine Ausgangskontrolle vorgenommen, als ihnen der Vorgang als Sofortsache im Rücklauf am 29. Oktober 1987 zugeleitet worden sei. Bei dieser Kontrolle habe das Versehen jedoch nicht bemerkt werden können, weil ZOS S in dem Postausgangsvermerk die rechtzeitige Absendung des Revisionsschreibens ordnungsgemäß bescheinigt hätte.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 124, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden ist. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kann nicht gewährt werden, weil nicht dargetan ist, daß das HZA ohne Verschulden gehindert war, die Revisionsfrist einzuhalten.

Nicht zu Lasten des HZA geht das Verschulden eines ,,Boten", wobei als solcher auch ein in der Poststelle der Finanzbehörde für die Absendung tätiger Bediensteter - Beamter oder Angestellter - anzusehen ist (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Beschlüsse vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, 87, BStBl II 1969, 548, und vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, 223, BStBl II 1983, 229; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 56 Anm. 37). Voraussetzung für die Nichtberücksichtigung des Verschuldens einer solchen Person als eigenes Verschulden des Rechtsmittelführers ist aber, daß der Bote auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit der Bestellung ausdrücklich hingewiesen wird oder daß eine wirksame Ausgangskontrolle besteht (BFH, a.a.O.; vgl. auch Urteil vom 10. Juli 1974 I R 223/70, BFHE 113, 209, 217, BStBl II 1974, 736, und Beschluß vom 9. April 1987 V B 111/86, BFHE 149, 146, 149, BStBl II 1987, 441).

Nach diesen Grundsätzen kann aufgrund des hier erfolgten Ablaufs nicht davon ausgegangen werden, daß - wie für die beantragte Wiedereinsetzung erforderlich (§ 56 Abs. 1 FGO) - ein Verschulden des HZA an der Versäumung der Revisionsfrist nicht vorliegt. Der Senat vermag nach dem Vortrag des HZA nicht zu erkennen, daß ZOS S mit der erforderlichen Klarheit auf die gebotene, von der Regel abweichende Bestellung - Absendung der Revisionsschrift unmittelbar an das FG - hingewiesen worden ist. Zwar könnte der Erklärung des Beamten - für sich betrachtet - entnommen werden, daß eine entsprechende Weisung erteilt worden war. Die Erklärung ist jedoch im Zusammenhang mit dem Vorbringen des HZA zu werten, die Weisung an die Poststelle sei ,,in dem Entwurf" erteilt worden. Diesem läßt sich eine solche ausdrückliche und eindeutige Weisung nicht entnehmen.

Seinem Wortlaut nach enthält der Entwurf vom 27. Oktober 1987 nur eine an die Kanzlei gerichtete Verfügung. Dem Sinne nach liegt in ihm auch eine an die Poststelle gerichtete Weisung, die sich auf das Absenden bezieht, nicht aber - klar erkennbar - auf die Absendeart. Unter Berücksichtigung der sonst üblichen Versendung über die OFD vermag auch die Verfügung hinsichtlich der jeweils beizufügenden Anlagen, die gleichfalls in erster Linie an die Kanzlei gerichtet ist (vgl. § 25 Abs. 2, Anlage 5 Abschnitt C Absatz 4 Buchst. a der Geschäftsordnung für die Hauptzollämter und ihre Dienststellen - HGO -, Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung O 3020), keine letzte Klarheit darüber zu vermitteln, wie die Absendung geschehen sollte. Der Beschleunigungsvermerk (vgl. § 25 Abs. 2, Anlage 4 Abschnitt C Anm. 7 HGO) ließ die Eilbedürftigkeit der Sache erkennen, nicht aber - hinreichend eindeutig -, daß die Revisionsschrift unmittelbar an das FG gelangen sollte. Eine solche Deutung des Vermerks brauchte sich auch nicht geradezu aufdrängen, zumal noch mehrere (Arbeits-)Tage zwischen der Absendung und dem Ablauf der Frist lagen. Auch aus dem Fehlen eines in der Reinschrift des Vorlageberichts zu übernehmenden Sofort-Vermerks (Anlage 4 Abschnitt C Anm. 7 Satz 2, Anm. 12, Anlage 5 Abschnitt B Abs. 4 HGO) ließ sich noch nicht ohne weiteres schließen, daß die Rechtsmittelschrift unmittelbar an das FG gehen sollte. Ein solcher Schluß lag zwar nahe; er war indessen nicht zwingend, da das FG sich an demselben Ort befindet wie das HZA und ein schon bei der Absendung unmittelbar bevorstehender Fristablauf nicht zu besorgen war.

Es kann sich allerdings fragen, ob die fehlende Eindeutigkeit der Verfügung und ein darauf beruhendes Mißverständnis durch ZOS S für die falsche Versendung - unmittelbar - ursächlich waren. Nach der Erklärung des Beamten ist es auch möglich, daß dieser den Sinn der (nicht ganz klaren) Weisung erkannt hat, ohne sie freilich in diesem Sinne auszuführen. Auch in diesem Falle wäre jedoch von einem Verschulden auf seiten des HZA auszugehen. Denn unter diesen Umständen konnte bei der Ausgangskontrolle nicht bemerkt werden, daß die Rechtsmittelschrift nicht unmittelbar an das FG gesandt worden war. Das beruht nicht etwa darauf, daß im Absendevermerk etwas bescheinigt wäre (außer der Tatsache der Absendung auch die Versendung unmittelbar an das FG), was nicht geschehen war, sondern auf dem Zusammenhang zwischen dem Absendevermerk und der Weisung, die die gewollte Absendeart nicht mit letzter Deutlichkeit erkennen ließ. Bei diesem Geschehensablauf war die Ausgangskontrolle kein wirksames Mittel der Vergewisserung, daß die Schrift in der gewollten Weise abgesandt worden war. Das Versagen der Kontrolle war durch die nicht einwandfrei klare Absendebedingung bedingt. Der Mangel an Klarheit muß zu Lasten des HZA gehen, gleich, ob er unmittelbar zur Fehlversendung geführt hat oder ob er sich auf die Ausgangskontrolle auswirkte.

Da hiernach ein Verschulden auf seiten des HZA vorliegt, kommt es nicht auf die von den Klägerinnen bejahte Frage an, ob ein Verschulden eines Bediensteten der OFD anzunehmen ist, weil die dort spätestens am 29. Oktober 1987 eingegangene Revisionsschrift erst am 3. November 1987 durch Boten dem am gleichen Ort befindlichen FG zugeleitet worden ist, und ob ein solches Verschulden hier dem HZA zuzurechnen wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415820

BFH/NV 1989, 180

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