Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Revision wegen nicht mit Gründen versehener Entscheidung

 

Leitsatz (NV)

1. Nicht mit Gründen versehen ist die Entscheidung auch bei Übergehen eines selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittels.

2. Zum Vorliegen selbständiger Angriffs- und Verteidigungsmittel bei Beurteilung der Frage, ob ein Bescheid wegen gerügter Adressierungs- und Bekanntgabemängel nichtig ist.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Mit Prüfungsansordnung vom 20. November 1979, gerichtet an die ,,Fa. N. N und Partner, B-Straße, Z-Stadt", ordnete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) eine Lohnsteuer- Außenprüfung an. Aus den FA-Akten ist nicht ersichtlich, ob und wann diese Verfügung bekanntgegeben worden ist; eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält die Verfügung nicht.

Mit Schriftsatz vom 30. Mai 1981, beim FA eingegangen am 1. Juni 1981, legte die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) N, O und P, die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), Beschwerde gegen die Prüfungsanordnung ein. Die Oberfinanzdirektion (OFD) verwarf die Beschwerde als unzulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben worden sei.

Mit der Klage trugen die beiden verbliebenen Gesellschafter N und O vor, die Prüfungsanordnung sei am 7. Februar 1980 in der Betriebsstätte des XY-Arbeitnehmer-Lohnsteuerhilfevereins, A-Straße, früher B-Straße, eingegangen. Sie hätten durch einen Mitarbeiter dieses Vereins Kenntnis von der Prüfungsanordnung erhalten. Der Bevollmächtigte, der dem FA am 28. Februar 1980 eine diesbezügliche Vollmacht vorgelegt habe, sei von der Prüfungsanordnung erst am 16. Oktober 1980 in Kenntnis gesetzt worden. Wegen des weiteren Vortrags nahm das Finanzgericht (FG) auf die zwischen dem 15. Oktober 1982 und dem 23. Februar 1986 gefertigten bei den Akten befindlichen Schriftsätze der Klägerin Bezug, nicht jedoch auf weitere Schriftsätze, die zwischen der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 1986 und der Zustellung des nicht verkündeten Urteils an die Beteiligten am 12. bzw. 14. April 1986 eingegangen sind. Dem Antrag, die Prüfungsanordnung aufzuheben, trat das FA entgegen.

Das FG wies die Klage mit folgender Begründung ab: Der Gesellschafter N habe dem FA seit Mai 1979 Lohnsteueranmeldungen mit der Absender- bzw. Betriebsstättenanschrift ,,N. N und Partner, B-Straße, Z-Stadt" abgegeben. Daher liege kein Adressierungsmangel vor, wenn sich das FA dieser Anschrift und Adressierungsbezeichnung bedient habe. Die Identität der Steuerpflichtigen sei durch die Angabe des geschäftsüblichen Namens ausreichend gekennzeichnet gewesen. Die falsche Straßenbezeichnung sei unschädlich, da die Gesellschafter die Prüfungsanordnung am 7. Februar 1980 unter der früher richtigen Anschrift tatsächlich erhalten hätten, was sich aus dem Eingangsstempel ,,07. Feb. 1980" und der Tatsache ergebe, daß der Gesellschafter N Vorstandsmitglied des genannten Lohnsteuerhilfesvereins gewesen sei. Da die Prüfungsanordnung keine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe, habe vom 7. Februar 1980 an gerechnet binnen eines Jahres Beschwerde eingelegt werden müssen. Die am 1. Juni 1981 eingegangene Beschwerde sei deshalb verspätet gewesen. Die Prüfungsanordnung habe auch nicht dem Prozeßbevollmächtigten bekanntgegeben werden müssen, da er erst ab dem 28. Februar 1980 dem FA gegenüber bevollmächtigt worden sei. Eine etwaige dem FA L eingereichte Zustellungsvollmacht habe dem FA gegenüber keine Wirkung gehabt. Weil die Beschwerde nicht rechtzeitig eingelegt worden sei, brauche auf das übrige Vorbringen in den Schriftsätzen vom 12. und 23. Februar 1986 nicht eingegangen zu werden. Eine örtliche Unzuständigkeit berühre die Wirksamkeit des Verwaltungsakts nicht.

Gegen das finanzgerichtliche Urteil hat die Klägerin Revision, über die im vorliegenden Verfahren zu befinden ist, und Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt (Az. VI B 70/86).

Die Klägerin trägt vor, das angefochtene Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), da es sich zu verschiedenen, schriftsätzlich vorgetragenen Fragen nicht geäußert habe. Beispielsweise habe es sich nicht auseinandergesetzt mit der Frage der Nichtigkeit der Prüfungsanordnung (zutreffende Bezeichnung des Adressaten, Schriftsätze vom 16. Januar, 22. und 25. März 1986) mit der Frage, ob ein Verwaltungsakt rechtswirksam bekanntgegeben werde, wenn er an die Anschrift eines fremden Dritten, hier des XY e. V., adressiert werde (Schriftsatz vom 12. Februar 1986) und mit der Frage, ob von einer örtlich nicht zuständigen Behörde eine Lohnsteuer-Außenprüfung angeordnet werden könne (Schriftsatz vom 23. Februar 1986). Zur weiteren Begründung werde auf die - in Fotokopie beigefügten - benannten Schriftsätze verwiesen. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Klägerin hierzu und zu weiteren, ihrer Meinung nach übergangenen, Fragen nähere Ausführungen gemacht.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es hält die Revision für unzulässig. Sie wäre nur statthaft, wenn Entscheidungsgründe entweder überhaupt fehlten oder offensichtlich mangelhaft wären. Würden dagegen - wie im Streitfall - nur fehlerhafte Rechtsanwendung oder unzureichende Beweiswürdigung gerügt, liege kein Fall des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht zulässig, da die Klägerin nur fehlende Auseinandersetzung mit einzelnen rechtlichen Erwägungen, nicht aber das völlige Übergehen selbständiger Angriffs- oder Verteidigungsmittel rügt.

Sofern die Revision nicht zugelassen wird, ist sie nur statthaft, wenn ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird. Der erkennende Senat hat die Revision mit Beschluß vom 20. Mai 1988 VI B 70/86 nicht zugelassen. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, die angefochtene Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO), liegt nicht vor.

1. Nach ständiger Rechtsprechung ist dieser Mangel des Verfahrens nur gegeben, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat. Das ist der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundeliegt bzw. auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417; Beschluß vom 13. August 1986 VI R 152/85, BFH/NV 1987, 50). Dagegen fällt eine lückenhafte Begründung des finanzgerichtlichen Urteils nicht unter § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO (BFH-Beschluß vom 2. Juli 1986 IX R 166/85, BFH/NV 1987, 39). Das FG braucht sich nicht mit jeder rechtlichen Erwägung auseinanderzusetzen, die ein Beteiligter vorbringt, um den Einwand zu vermeiden, die Entscheidung sei nicht im Sinne des Gesetzes mit Gründen versehen (BFH-Beschluß vom 2. Februar 1987 III R 131/86, BFH/NV 1987, 311). Auch bei einer ggf. unvollständigen, unzureichenden oder sonst fehlerhaften Begründung liegt keine ,,nicht mit Gründen versehene Entscheidung" i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor (BFH-Beschlüsse vom 22. April 1986 III R 176/85, BFH/NV 1987, 95, und vom 26. März 1987 V R 8/87, BFH/NV 1987, 789).

Nimmt das FG Ausführungen eines Verfahrensbeteiligten erkennbar überhaupt nicht zur Kenntnis oder zieht es diese bei der Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung - wobei nicht jedes Vorbringen ausdrücklich verbeschieden werden muß -, kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) vorliegen (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 1. Februar 1978 1 BvR 426/77, BVerfGE 47, 182, und vom 22. November 1983 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293; BFH-Urteil vom 7. Mai 1987 IV R 125/86, BFHE 150, 22, BStBl II 1987, 530). Ein derartiger Mangel ist mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 3 FGO) zu rügen und führt nicht gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zur zulassungsfreien Revision (BFH-Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187).

2. Das angefochtene Urteil ist i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO mit Gründen versehen.

Das FG hat sich mit der Frage, ob im angefochtenen Bescheid der Adressat hinreichend bestimmt und ob der Bescheid wirksam bekanntgegeben worden ist, tatsächlich auseinandergesetzt. Das FG hat nämlich unter Berufung auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 30. April 1982 IV A 7 - S 0284 - 10/82, betreffend die Bekanntgabe von schriftlichen Verwaltungsakten (Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst 1982, 162 ff., 166) die Auffassung vertreten, die von der GbR selbst genutzte Adressatenbezeichnung zur Kennzeichnung aus und für die Bekanntgabe genüge es, daß der Gesellschafter N den Bescheid unter der von ihm benannten Betriebsstättenanschrift tatsächlich erhalten habe. Die Ansicht des FG, der angefochtene Bescheid sei ordnungsgemäß adressiert und bekanntgegeben worden, schloß die Wertung ein, daß er nicht wegen Adressierungs- oder Bekanntgabemängeln nichtig sei. Wie auch die Klägerin einräumt, hat das FG eine etwaige örtliche Unzuständigkeit des FA im Hinblick auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts für unschädlich gehalten. Daß sich das FG nicht mit jedem Argument der Klägerin, insbesondere nicht mit der von ihr zitierten Rechtsprechung im einzelnen auseinandergesetzt hat, führt nicht dazu, daß seine Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415818

BFH/NV 1989, 179

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