Leitsatz (amtlich)

1. Der Nachlaßverwalter kann, wenn ein Rechtsstreit über gegen den Erblasser ergangene Steuerbescheide zunächst vom Erben oder für diesen vom Prozeßbevollmächtigten des Erblassers betrieben worden ist, kraft seines Amtes den Rechtsstreit als Beteiligter mit Wirkung für und gegen den Nachlaß führen.

2. Im Verhältnis zwischen dem Erben und dem Nachlaßverwalter besteht keine notwendige Streitgenossenschaft.

 

Normenkette

StAnpG § 8 Abs. 1; FGO §§ 59, 73, 122, 155; BGB § 1922 Abs. 1, § 1967 Abs. 1, §§ 1975, 1984-1985, 1987, 2013; ZPO §§ 62, 87 Abs. 1, § 241 Abs. 3, §§ 246, 305, 780-781, 784

 

Tatbestand

Beim BFH sind folgende Revisionen des durch einen Rechtsanwalt vertretenen, am 30. Juli 1973 verstorbenen P N anhängig:

I R 60/73 wegen Gewerbesteuermeßbetrags 1960,

I R 61/73 wegen Einkommensteuer 1962,

I R 62/73 wegen Gewerbesteuermeßbetrags 1962,

I R 63/73 wegen Einkommensteuer 1963,

I R 64/73 wegen Gewerbesteuermeßbetrags 1963,

I R 65/73 wegen Einkommensteuer 1964,

I R 66/73 wegen Gewerbesteuermeßbetrags 1964,

I R 67/73 wegen Einkommensteuer 1966,

I R 68/73 wegen Gewerbesteuermeßbetrags 1966.

Die Revisionen sind in den Verfahren I R 60/73, I R 61/73, I R 63/73, I R 65/73, und I R 67/73 von dem verstorbenen Steuerpflichtigen, im Verfahren I R 62/73 von ihm und von dem beklagten FA und in den Verfahren I R 64/73, I R 66/73 und I R 68/73 vom FA eingelegt worden. Die Revisionsschriften sind sämtlich am 28. Februar 1973 beim FG eingegangen. Sie sind in gehöriger Form und Frist begründet worden.

Am 17. Januar 1975 teilte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers und Revisionsklägers (Revisionskläger) mit, er lege das Mandat für die Alleinerbin des verstorbenen Revisionsklägers, W N, nieder. Vor dieser Nachricht war dem Senat nicht bekannt, daß der Revisionskläger nach Einlegung der Revision verstorben war.

Infolge der Mandatsniederlegung ist die Zustellung der am 18. Dezember 1974 beschlossenen Vorbescheide (§§ 90 Abs. 3, 121 FGO) unterblieben. Schreiben an die Alleinerbin sind als unzustellbar zurückgekommen. Nachforschungen nach ihrer Anschrift sind erfolglos geblieben.

Mit Schreiben vom 16. Januar 1976 zeigte der Rechtsanwalt und Notar Z unter Vorlage einer Ablichtung der Bestallungsurkunde an, daß er zum Verwalter des Nachlasses des am 30. Juli 1973 verstorbenen P N bestellt worden sei. Die anhängigen Revisionen blieben aufrechterhalten. Auf die Aufforderung mitzuteilen, ob er die Revision in der Eigenschaft als Nachlaßverwalter oder als Prozeßbevollmächtigter der Erbin betreiben wolle, teilte Rechtsanwalt und Notar Z mit Schreiben vom 19. Juli 1976 mit, daß er die Revisionen als Nachlaßverwalter des verstorbenen P N aufnehme.

Die bezeichneten Revisionsverfahren werden insofern getrennt, als sie die Erbin W N des verstorbenen Revisionsklägers einerseits und den Verwalter über den Nachlaß des verstorbenen Revisionsklägers andererseits betreffen.

 

Entscheidungsgründe

I. Im Zeitpunkt des Todes des Revisionsklägers ist an dessen Stelle die Erbin - seine Ehefrau - als Revisionskläger getreten. Durch den Tod sind die Revisionsverfahren nicht unterbrochen worden.

1. Gemäß § 8 Abs. 1 StAnpG gehen bei Gesamtrechtsnachfolge (z. B. bei Erbfolge oder bei Verschmelzung von Gesellschaften) die Steuerschulden des Rechtsvorgängers auf den Rechtsnachfolger über. Diese Vorschrift ordnet den Übergang in der Person des Erblassers entstandener Steuerschulden entsprechend § 1967 Abs. 1 BGB an. Im übrigen gilt der durch die Vorschrift i. V. m. § 1922 Abs. 1 BGB ausgedrückte Rechtsgedanke, daß der Erbe in das Rechtsleben des Erblassers als Rechtsvorgänger einrückt. Die Gesamtrechtsnachfolge bewirkt auch, daß der Erbe im Besteuerungsverfahren, im Rechtsbehelfsverfahren und im Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit an die Stelle des Erblassers tritt (vgl. Urteil des RFH vom 5. April 1922 III A 194/21, StuW 1922 Nr. 600; BFH-Urteile vom 8. September 1960 IV 43/60, HFR 1961, 106; vom 28. Oktober 1970 I R 72/68, BFHE 100, 353, BStBl II 1971, 26, und vom 6. März 1975 IV R 213/71, BFHE 116, 254, BStBl II 1975, 739).

2. Die anhängigen Revisionsverfahren sind nicht wegen des nach Einlegung der Revision eingetretenen Todes des Erblassers unterbrochen worden (§ 155 FGO, § 246 ZPO); dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn der Prozeßbevollmächtigte das Mandat vor dem Tode des Vollmachtgebers niedergelegt hätte (vgl. Beschluß des BGH vom 5. Februar 1965 V ZB 12/64, BGHZ 43, 135). Sie sind auch nicht dadurch unterbrochen worden, daß der Prozeßbevollmächtigte das Mandat der Erbin niedergelegt hat. Die Folge der dem BFH und dem FA mitgeteilten Kündigung des Vollmachtvertrages war lediglich, daß die Erbin nicht mehr vertreten war; Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG gilt im Streitfall noch nicht, so daß § 87 Abs. 1, 2. Alternative ZPO i. V. m. § 155 FGO nicht maßgebend ist. Unabhängig davon, daß das Verfahren tatsächlich unterbrochen ist, weil die Erbin, deren Anschrift nicht bekannt ist, das Verfahren nicht betreibt (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 1. August 1963 IV 261/59, StRK, Reichsabgabenordnung, § 238, Rechtsspruch 11), ist eine Unterbrechung i. S. der §§ 239 ff. ZPO nicht eingetreten.

3. Die Revisionsverfahren sind auch nicht dadurch unterbrochen worden, daß (offensichtlich erst Ende des Jahres 1974) Nachlaßverwaltung angeordnet worden ist; der verstorbene Erblasser war durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten (§ 155 FGO, §§ 241 Abs. 3, 246 ZPO). Auf die Feststellung des genauen Zeitpunktes des Wirksamwerdens der Anordnung (§§ 16, 76 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Aus der vorgelegten Ablichtung der Bestallungsurkunde ergibt sich jedenfalls, daß die Nachlaßverwaltung erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1974 - also mehr als ein Jahr nach Eintritt des Erbfalles und vor der Mandatsniederlegung am 17. Januar 1975 "für die Alleinerbin"- angeordnet worden ist.

II. Mit dem Wirksamwerden der Anordnung der Nachlaßverwaltung wird der Nachlaßverwalter mögliches Prozeßsubjekt in einem Rechtsstreit, der sich auf gegen den Erblasser ergangene Steuerbescheide bezieht. Er kann, wenn der Rechtsstreit nach dem Tode des Erblassers zunächst vom Erben oder für diesen vom Prozeßbevollmächtigten des Erblassers betrieben worden ist, kraft seines Amtes den Rechtsstreit als Beteiligter mit Wirkung für und gegen den Nachlaß führen. Die Prozeßführungsbefugnis ist insoweit dem Erben entzogen. Dies schließt es nicht aus, dem Erben und dem Nachlaßverwalter je ein gesondertes Prozeßführungsrecht zuzuerkennen.

1. Die Nachlaßverwaltung hindert den Erben, der zunächst in die Stellung des Erblassers im Rechtsstreit eingetreten ist (vgl. oben I. 1.), nicht, die Aufhebung von gegen den Erblasser ergangenen Steuerbescheiden und Grundlagenbescheiden zu betreiben. Die Wirkungen seines Handelns sind jedoch auf sein eigenes - vom Nachlaß gesondertes - Vermögen beschränkt (§ 1984 BGB). Da Steuerbescheide und Grundlagenbescheide feststellende Bescheide sind (§§ 210 Abs. 1, 211 Abs. 1, 212 AO) und im Rechtsstreit über solche Bescheide nicht unmittelbar um die Höhe - z. B. nach Abzug von Vorauszahlungen und anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen (§ 47 EStG in der bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums 1974 und § 36 EStG in der danach geltenden Fassung, § 20 GewStG) - der noch zu leistenden oder ggf. zu erstattenden Steuer gestritten wird, kommt in diesem Verfahren der in §§ 305, 780 ZPO geregelte Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung nicht in Betracht. Dieser Vorbehalt ist vielmehr im Erhebungsverfahren oder im anschließenden Verwaltungszwangsverfahren nach Maßgabe der §§ 781 bis 784 ZPO geltend zu machen (BFH-Urteil IV 43/60 zur AO - vgl. für das neue Recht § 265 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Da im Verfahren über die Rechtmäßigkeit der gegen den Erblasser ergangenen Steuerbescheide und Gewerbesteuermeßbescheide - im Streitfall auch der gegen ihn ergangenen Rechtsbehelfsentscheidungen und Urteile des FG - nicht zu prüfen ist, ob die Erbin unbeschränkt, aber beschränkbar oder unbeschränkbar (§§ 1967 bis 2013 BGB) haftet, bleibt sie Beteiligter des Revisionsverfahrens ohne Rücksicht darauf, daß inzwischen Nachlaßverwaltung angeordnet worden ist. Zwar könnte hiergegen eingewandt werden, daß durch die Anordnung der Nachlaßverwaltung gemäß § 1975 BGB die Haftung des Erben für Nachlaßverbindlichkeiten auf den Nachlaß beschränkt werde. Demgegenüber ist zu bemerken, daß diese Haftungsbeschränkung nicht eintritt, wenn oder soweit der Erbe das Beschränkungsrecht verwirkt hat (§ 2013 BGB).

2. Die besondere Stellung, die das Gesetz dem Nachlaßverwalter übertragen hat, und die Befugnisse und Pflichten, mit denen sein Amt ausgestattet ist, rechtfertigen es, den Nachlaßverwalter als möglichen Prozeßbeteiligten in einem vom Erblasser angestrengten gerichtlichen Verfahren gegen an diesen gerichtete Steuerbescheide oder Grundlagenbescheide anzuerkennen. Das Bürgerliche Gesetzbuch entzieht dem Erben durch die Anordnung der Nachlaßverwaltung die Regelung vermögensrechtlicher Angelegenheiten, die auf den Nachlaß bezogen sind. Es überträgt dem Nachlaßverwalter die Verwaltung des Nachlasses im Interesse der Nachlaßgläubiger (§ 1975 BGB), zu denen auch die öffentliche Hand gehören kann. Dem Nachlaßverwalter sind entsprechende Pflichten auferlegt, deren Verletzung Haftungsfolgen auslösen kann. Andererseits wäre - bezogen auf den Streitfall - zur Geltendmachung eines eventuellen Erstattungsanspruchs, der sich aufgrund einer Verminderung der festgesetzten Steuer nach Durchführung der vorliegenden Verfahren ergeben könnte, nur der Nachlaßverwalter, nicht aber die Erbin legitimiert (vgl. auch BFH-Urteil vom 28. November 1962 V ZR 9/61, BGHZ 38, 281, mit Anmerkung Nirk in NJW 1963, 297, zur Ermächtigung des Erben zur Prozeßführung im eigenen Namen durch den Nachlaßverwalter). Dies setzt aber voraus, daß die den vorliegenden Rechtsstreit abschließenden Entscheidungen auch für den Nachlaßverwalter wirken.

Für die Frage, ob der Nachlaßverwalter möglicher Beteiligter im Revisionsverfahren und als solcher befugt ist, das Verfahren kraft eigenen Rechts zu betreiben, kommt es auf den Meinungsstreit, ob der Nachlaßverwalter Partei kraft Amtes oder gesetzlicher Vertreter (zum Streitstand vgl. Lehmann in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., § 1975 Rdnr. 7) ist, nicht an. Für den Streitfall genügt es, daß das Gesetz dem Nachlaßverwalter das Amt (§ 1987 BGB) auferlegt hat, den Nachlaß zu verwalten und die Nachlaßverbindlichkeiten aus dem Nachlaß zu berichtigen (§ 1985 Abs. 1 BGB) und daß er für die Erfüllung dieser Verpflichtung nicht nur den Erben (§§ 1975, 1915, 1833 BGB), sondern auch den Nachlaßgläubigern (§ 1985 Abs. 2 BGB) verantwortlich ist. § 106 AO begründet hinsichtlich bestimmter Steuerschulden entsprechende Pflichten für den Nachlaßverwalter und bedroht die schuldhafte Verletzung solcher Pflichten mit Haftungsfolgen (§ 109 AO).

Mit der Anordnung der Nachlaßverwaltung, der grundsätzlich der gesamte Nachlaß (vgl. BGH-Urteil vom 30. März 1967 II ZR 102/65, BGHZ 47, 293) unterworfen ist und die zur Absonderung dieses Nachlaßvermögens vom Eigenvermögen des Erben führt, verliert der Erbe gemäß § 1984 Abs. 1 BGB die Befugnis, den Nachlaß zu verwalten und über ihn zu verfügen; dieser Vorschrift gemäß verliert er auch die Befugnis, zum Nachlaß gehörende Ansprüche gerichtlich zu verfolgen. § 1984 Abs. 1 Satz 3 BGB gebietet, gegen den Nachlaß gerichtete Ansprüche nur gegen den Nachlaßverwalter geltend zu machen.

III. Ist es somit möglich, daß der Nachlaßverwalter neben dem Erben Beteiligter im Verfahren über die Revision (§ 122 Abs. 1 FGO; § 8 Abs. 1 StAnpG, § 1922 Abs. 1 BGB) sein kann, so ist der Nachlaßverwalter aufgrund seiner Erklärung vom 19. Juli 1976, daß er die Revision als Nachlaßverwalter aufnehme, Prozeßbeteiligter geworden. Einer Fortsetzung des Verfahrens gegen die Erbin und den Nachlaßverwalter zugleich steht jedoch der Umstand entgegen, daß die dem Namen nach bekannte Erbin unauffindbar und Abwesenheitspflegschaft (§ 1911 BGB) nicht angeordnet ist.

Dem Senat erscheint es daher zweckmäßig, vom vorliegenden Revisionsverfahren das Verfahren abzutrennen, das die Erbin betrifft. Auf diese Weise wird es dem Nachlaßverwalter ermöglicht, seine Amtspflichten zu erfüllen; das Gericht kann im Verhältnis zum Nachlaßverwalter eine Rechtsverweigerung vermeiden.

Eine notwendige Streitgenossenschaft (§ 59 FGO, § 62 ZPO), die der Verfahrenstrennung entgegenstünde, besteht im Verhältnis zwischen dem Nachlaßverwalter und der Erbin nicht. Die Entscheidung über die umstrittenen Steuerbescheide und Gewerbesteuermeßbescheide muß im Verhältnis zwischen den beiden Beteiligten ebensowenig einheitlich ergehen, wie dies im Verhältnis zwischen Ehegatten (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287) erforderlich ist. Eine notwendige Streitgenossenschaft, weil die Sachbefugnis dem Nachlaßverwalter und der Erbin nur gemeinschaftlich zustehe, sie also nur gemeinschaftlich auftreten könnten, scheidet offensichtlich aus. Es ist auch nicht notwendig, über die Rechtmäßigkeit der umstrittenen Verwaltungsakte sachlich einheitlich zu entscheiden, weil die Rechtskraft eines gegen den Nachlaßverwalter ergehenden Urteils (vom Nachlaß abgesehen) für und gegen die Erbin - oder umgekehrt - wirken würde; eine Rechtsnorm, die dies vorschreibt, gibt es nicht. Auch Identität des Streitgegenstandes, die eine sachlich einheitliche Entscheidung gebieten würde, liegt nicht vor. Eine notwendige Streitgenossenschaft darüber hinaus für Fälle anzuerkennen, in denen aus Gründen der Logik eine einheitliche Entscheidung notwendig oder wünschenswert erscheint, hat die Rechtsprechung abgelehnt (BGH-Urteile vom 15. Juni 1959 II ZR 44/58, BGHZ 30, 195 [199], und vom 29. November 1961 V ZR 181/60, BGHZ 36, 187 [190]).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413361

BStBl II 1977, 428

BFHE 1977, 381

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