Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verfahrensfehler bei Nichtvorlage des FG an den EuGH, Ausgleichsbetrag Währung

 

Leitsatz (NV)

1. Das FG ist als Instanzgericht auch dann nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, wenn es die Revision nicht zuläßt. Ergeben die Ausführungen in der Nichtzulassungsbeschwerde, daß eine das Gemeinschaftsrecht betreffende Rechtsfrage im Revisionsverfahren erheblich sein wird und daß das Revisionsgericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Vorlagepflicht diese Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen haben wird, so ist das ein Grund für das Beschwerdegericht, die Revision zuzulassen.

2. Den maßgebenden Gemeinschaftsvorschriften lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß Art. 23 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 262/79 einen Einfluß auf die Höhe des zu erhebenden WAB hätte.

 

Normenkette

EGVtr Art. 177 Abs. 2-3; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3; EWGV 974/71; EWGV 262/79 Art. 23 Abs. 2, Art. 24

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) verkaufte im Jahre 1985 Butterfett zu herabgesetzten Preisen aus Interventionsbeständen an die Firma U mit der Zweckbindung, daraus feine Backwaren der Formel A und C innerhalb der sich aus den Verordnungen (EWG) Nr. 262/79 (VO Nr. 262/79) der Kommission vom 12. Februar 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 41/1) und Nr. 2661/85 (VO Nr. 2661/85) der Kommission vom 20. September 1985 (ABlEG Nr. L 252/13) ergebenden Verarbeitungsfrist herzustellen. Sie beantragte die Abfertigung dieses Butterfetts zum freien Verkehr. Gleichzeitig beantragte U, die zum freien Verkehr abgefertigte Ware zwecks Verarbeitung nach Art. 6 VO Nr. 262/79 (i. d. F. der Verordnung -- EWG -- Nr. 2072/85 vom 25. Juli 1985 -- ABlEG Nr. L 196/22 --) unter Überwachung zu stellen. Die Ware wurde antragsgemäß zum freien Verkehr abgefertigt, unter amtliche Kontrolle gestellt und zum Zweck der fristgerechten Verwendung überlassen. Das Zollamt erhob gemäß Art. 24 VO Nr. 262/79 nur den ermäßigten Währungsausgleichsbetrag (WAB).

Nachdem die überwachende Zollstelle mitgeteilt hatte, daß ein Teil des in dem in Belgien ausgestellten Kontrollexemplar aufgeführten Butterfetts nicht fristgerecht verwendet worden sei, forderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt) von der Klägerin die Differenz zwischen dem ermäßigten und dem normalen WAB in Höhe von ... DM nach. Einspruch und Klage der Klägerin blieben erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) führte im einzelnen aus, daß die Differenz zu Recht nacherhoben worden sei, weil die eingeführten Waren nicht fristgerecht verarbeitet worden seien. Dabei setzte es sich ausführlich mit der Auslegung der in Betracht kommenden Gemeinschaftsvorschriften (VO Nr. 262/79 und VO Nr. 2661/85), den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 28. Juni 1979 Rs. 217/78 (EuGHE 1979, 2287) und vom 1. Oktober 1985 Rs. 125/83 (Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern -- ZfZ -- 1986, 213) sowie dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. November 1984 VII R 21/81 (BFHE 142, 340) auseinander und kam zu dem Ergebnis, daß sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen könne, daß die für die Erhebung der ermäßigten WAB maßgebende Verarbeitungsfrist durch Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 262/79 verlängert werde. Es sei vielmehr zwischen den Maßnahmen zur Förderung der Zuteilung und des Absatzes der Lagerbutter einerseits und der Anwendung der WAB andererseits zu unterscheiden. Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 262/79 sei nach seinem Wortlaut nur für die Regelung des Verfalls der Kaution im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Förderung der Zuteilung und des Absatzes der Lagerbutter einschlägig. Diese Regelung könne nicht auf das System der WAB übertragen werden. Da die einschlägigen Vorschriften der Europäischen Gemeinschaft eindeutig seien und keiner weiteren Interpretation bedürften, habe davon abgesehen werden können, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil macht die Klägerin geltend, daß das FG bei dem Urteil seine Vorlagepflicht gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) verletzt habe und daß das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen könne (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge allein von der Rechtsfrage ab, ob Butterfett gemäß Art. 5 Abs. 1 und 2 VO Nr. 262/79 als im Sinne von Art. 24 "im Rahmen dieser Verordnung verkauft" angesehen werden könne, wenn es zwar nicht innerhalb der in Art. 8 (ggf. i. V. m. Art. 3 VO Nr. 2661/85) bestimmten Frist, wohl aber innerhalb der 60-Tage-Frist des Art. 23 Abs. 2 zweckentsprechend verarbeitet worden sei. Das FG habe, weil es die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen habe, als letztinstanzliches Gericht entschieden und sei deshalb grundsätzlich zur Vorlage nach Art. 177 Abs. 3 EGV verpflichtet gewesen. Das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen es ausnahmsweise nicht zur Vorlage der Sache an den EuGH verpflichtet gewesen sei (EuGH- Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415), habe es nicht festgestellt. Aus den Ausführungen des FG ergebe sich nicht, daß es die Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, die besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft berücksichtigt habe. Der Hinweis auf das Urteil des BFH in BFHE 142, 340, und das Urteil des EuGH in EuGHE 1979, 2287 reiche nicht aus. Das Urteil des EuGH sei günstigstenfalls geeignet, die Rechtsprechung der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten zu den Vorgängerverordnungen, nicht aber zu der VO Nr. 262/79 zu prägen. Im übrigen habe das EuGH-Urteil nur Bindungswirkung für das damals anfragende FG. Die genannten Urteile könnten auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Die Doppelspurigkeit (zwischen den Regelungen für den Verkauf von Butter zu herabgesetzten Preisen und die Erhebung des ermäßigten WAB) dürfe nicht überstrapaziert werden. Da nicht offenkundig sei, wie der EuGH die Rechtsfrage dieses Falles entscheiden werde, könne die Entscheidung des FG auf dem o. a. Verfahrensfehler beruhen.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Klägerin damit einen Verfahrensfehler geltend macht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Sie hat einen solchen Verfahrensfehler nicht in der nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise bezeichnet.

Die Nichtvorlage einer Rechtsfrage an den EuGH durch das FG ist kein Verfahrensmangel. Das FG war als Instanzgericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. BFH-Beschluß vom 3. Februar 1987 VII B 129/86, BFHE 148, 489, bestätigt durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 3. Oktober 1989 2 BvR 440/87, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1990, 446; BFH-Beschluß vom 25. Juni 1991 VII B 33/91, BFH/NV 1992, 286). Wenn die im Klageverfahren vor dem FG unterlegene Klägerin die Auslegung des hier maßgebenden Gemeinschaftsrechts für zweifelhaft hält, so bleibt ihr die Möglichkeit, eine auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben. Auf eine nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte Revision wäre erst der BFH als letztinstanzliches Gericht verpflichtet, eine etwaige Zweifelsfrage hinsichtlich der Auslegung von Gemeinschaftsrecht dem EuGH vorzulegen (Art. 177 Abs. 3 EGV). Das FG ist als Instanzgericht, auch wenn es die Revision nicht zulassen will, zu einem solchen Vorgehen nicht verpflichtet (vgl. Art. 177 Abs. 2 EGV).

Durch diese Regelung wird die in Art. 177 EGV vorgeschriebene alleinige Zuständigkeit des EuGH für die Auslegung von Gemeinschaftsrecht -- entgegen der Auffassung der Klägerin -- nicht beeinträchtigt. Die von § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderte Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bietet im Falle einer gemeinschaftsrechtlichen Zweifelsfrage die Möglichkeit, darzulegen, daß sich in einem künftigen Revisionsverfahren voraussichtlich die Notwendigkeit ergeben wird, die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 27. September 1993 2 BvR 829/91, HFR 1994, 348; vom 22. Dezember 1992 2 BvR 557/88, HFR 1993, 203, und vom 31. Mai 1990 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159, 196; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 22. Juli 1986 BVerwGE 3 B 104.85, Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1986, 914). Ergeben die Ausführungen des Beschwerdeführers, daß eine das Gemeinschaftsrecht betreffende Rechtsfrage im Revisionsverfahren erheblich sein wird und daß das Gericht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Vorlagepflicht (EuGH-Urteil in EuGHE 1982, 3415) diese Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen haben wird, so ist das ein Grund, die Revision zuzulassen und nach Einlegung der Revision die Rechtsfrage dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Damit ist, selbst wenn das erstinstanzliche Gericht kein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet und die Revision nicht zugelassen hat, gewährleistet, daß gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfragen vom EuGH entschieden werden.

Der Senat hat in seinem Beschluß vom 15. Februar 1995 VII B 100/94 (ZfZ 1995, 211) keine weitergehenden Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Gemeinschaftsrechtsfrage gestellt. In diesem Fall scheiterte die Zulassung der Revision bereits daran, daß die damalige Klägerin nicht einmal eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage dargelegt hatte.

Der Senat hält die Auslegung der Art. 177 Abs. 1 und 2 EGV insoweit nicht für zweifelhaft und sieht daher unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zur Vorlagepflicht (EuGH-Urteil in EuGHE 1982, 3415) die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH in diesem Zusammenhang nicht als erforderlich an.

2. Im Streitfall kommt der von der Klägerin formulierten Gemeinschaftsrechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zu; die Nichtzulassungsbeschwerde ist daher insoweit unbegründet.

Die Klägerin hat zwar die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage ausdrücklich (hilfsweise) erst in ihrem nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO) am ... , beim BFH am ... eingegangenen Schriftsatz vom ... , geltend gemacht. Daraus ist aber nicht zu folgern, daß die Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit un zulässig ist. Denn der innerhalb der Beschwerdefrist eingegangenen Beschwerdeschrift kann auch die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der bereits in diesem Schriftsatz formulierten Rechtsfrage entnommen werden. Aus der Beschwerdeschrift ergibt sich jedenfalls, daß die Rechtsfrage entscheidungserheblich ist und die Klägerin sie nach eingehender Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil für vorlagebedürftig hält. Es wäre unter diesen Umständen eine überflüssige Förmelei, wenn auch ein ausdrücklicher Bezug auf die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO verlangt würde.

Gleichwohl kann die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben, weil der Rechtsfrage die grundsätzliche Bedeutung fehlt. In einem Revisionsverfahren würde es nämlich voraussichtlich nicht zu einer Vorlage der streitigen Gemeinschaftsrechtsfrage an den EuGH kommen. Der Senat schließt sich den erschöpfenden Ausführungen der Vorinstanz an, wonach die einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts eindeutig sind und somit keiner weiteren Auslegung bedürfen. Die Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts und die besonderen Schwierigkeiten bei seiner Auslegung sind dabei ebenso berücksichtigt worden wie die Gefahr voneinander abweichender Entscheidungen nationaler Gerichte (vgl. EuGH in EuGHE 1982, 3415). Es lassen sich aus den maßgebenden Gemeinschaftsvorschriften keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß Art. 23 Abs. 2 VO Nr. 262/79 über seinen Wortlaut hinaus auch auf die Höhe des zu erhebenden WAB Einfluß hätte. Der EuGH hat in seinem Urteil in EuGHE 1979, 2287 Rdnr. 11 vielmehr für die den hier in Betracht kommenden Art. 23 Abs. 2 und Art. 24 VO Nr. 262/79 entsprechenden Vorgängervorschriften ausdrücklich entschieden, daß die Regelung über den niedrigeren Satz für den WAB unter die allgemeinen Regeln der Verordnung (EWG) Nr. 974/71 des Rates vom 12. Mai 1971 (ABlEG Nr. L 106/1) fällt und nicht zu den Maßnahmen zur Förderung der Zuteilung und des Absatzes von Lagerbutter rechnet, die sonst in der Verordnung geregelt sind. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die Regelung über den nicht vollständigen Verfall der Kaution bei der Überschreitung der Verarbeitungsfrist um eine bestimmte Dauer. Dem genannten Urteil des EuGH ist daher zu entnehmen, daß diese Regelung auf den Satz des zu erhebenden WAB keinen Einfluß haben kann. Bei dieser eindeutigen Rechtslage ist es unwahrscheinlich, daß Gerichte anderer Mitgliedstaaten zu einer anderen Auslegung kommen. Die Klägerin hat im übrigen weder vorgetragen, daß die Vorschriften von Verwaltungen anderer Mitgliedstaaten anders verstanden werden, noch hat sie dargelegt, daß die Frage bereits in einem anderen Mitgliedstaat rechtshängig oder gar anderweitig entschieden worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421219

BFH/NV 1996, 652

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