Leitsatz (amtlich)

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die inländische Betriebsstätte eines Unternehmens, das in Großbritannien seinen Sitz hat, als in der Bundesrepublik Deutschland ansässiger Arbeitgeber i. S. der 183-Tage-Klauseln verschiedener Doppelbesteuerungsabkommen angesehen werden kann.

 

Normenkette

DBA-Großbritannien Art. XI Abs. 3 Buchst. b; DBA FRA Art. 13 Abs. 4 Nr. 2; DBA AUT Art. 9 Abs. 2 Nr. 2; DBA SWE Art. 14 Abs. 3 Nr. 2; DBA NOR Art. 9 Abs. 2 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist die Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemannes. Die Eheleute hatten im Streitjahr 1979 noch ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Der Ehemann der Antragstellerin war Angestellter der E, die ihren Sitz in Großbritannien hat und in der Bundesrepublik eine Zweigniederlassung unterhält. Der Ehemann übte seine Tätigkeit für die Gesellschaft im Streitjahr nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in anderen Staaten aus. Er war an 18 Tagen in England, an 3 Tagen in Frankreich, an 3 Tagen in Österreich, an einem Tag in Norwegen und an 2 Tagen in Schweden beschäftigt. In ihrer Einkommensteuererklärung beantragten die Antragstellerin und ihr Ehemann, den auf die oben angeführten 27 Auslandstage entfallenden Teil des Gesamtgehalts von der deutschen Einkommensteuer freizustellen. Sie begründeten diesen Antrag damit, daß die Vergütung für die in England, Frankreich, Österreich, Norwegen und Schweden ausgeübten Tätigkeiten "für einen in England ansässigen Arbeitgeber" gezahlt worden sei. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) versagte die Steuerbefreiung mit dem Hinweis, nach § 38 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei als Arbeitgeber die inländische Zweigniederlassung anzusehen. Hiergegen haben die Eheleute nach erfolglosem Einspruch Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist.

Nachdem das FA einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt hatte, begehrten die Eheleute beim FG, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1979 in Höhe von DM ... auszusetzen.

Das FG gab mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 416 veröffentlichten Entscheidung dem Antrag statt. Der Bundesrepublik stehe das Besteuerungsrecht für die Vergütungen, die der Ehemann für die Zeit seiner verschiedenen kurzfristigen Aufenthalte im Ausland erhalten habe, nach den maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nicht zu, weil der Arbeitgeber nicht in der Bundesrepublik ansässig sei. Arbeitgeber sei die E mit Sitz in Großbritannien und nicht deren Betriebsstätte in der Bundesrepublik.

Das FG hat in seinem Beschluß die Beschwerde zugelassen.

In seiner Beschwerde rügt das FA unrichtige Anwendung der hier anzuwendenden DBA.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist nicht begründet.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Abs. 2 Satz 2 dieser Vorschrift soll das Gericht auf Antrag des Steuerpflichtigen die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechts- und Tatfragen bewirken. Die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Bedenken brauchen nicht zu überwiegen. So hat der Bundesfinanzhof (BFH) u. a. dann eine Aussetzung der Vollziehung für angebracht gehalten, wenn die Gesetzeslage unklar war, wenn die streitige Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden worden war oder wenn im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung erhoben worden waren (Urteil vom 28. November 1974 V B 52/73, BFHE 114, 169, BStBl II 1975, 239; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 69 Anm. 10; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 69 FGO, Rdnr. 5, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen).

Es ist unstreitig, daß die Eheleute im Jahr 1979 unbeschränkt steuerpflichtig waren (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Umfang ihrer Steuerpflicht erstreckt sich auf die in § 2 EStG angeführten Einkünfte. Die hier in Rede stehenden Vergütungen, die der Ehemann der Antragstellerin von der inländischen Niederlassung der E bezogen hat, unterliegen der Besteuerung nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Geht eine im Inland ansässige natürliche Person ihrer Arbeit im Ausland nach, hängt es von dem Steuerrecht des anderen Staates ab, ob die Bezüge für die im Ausland ausgeübte Tätigkeit dort ebenfalls der Besteuerung unterliegen. Dem dabei auftretenden Fall der doppelten Besteuerung ist in den DBA der Bundesrepublik in der Regel in der Weise Rechnung getragen, daß das Besteuerungsrecht von Arbeitseinkünften grundsätzlich dem Staat zugewiesen ist, in dem die unselbständige Arbeit ausgeübt wird. Eine Ausnahme gilt für die vorübergehende Arbeitstätigkeit im Ausland: Der Bundesrepublik verbleibt das Besteuerungsrecht, wenn sich der Arbeitnehmer in dem anderen Staat nicht länger als 183 Tage im Verlauf eines Kalenderjahres aufgehalten hat (183-Tage-Klausel).

Die Anwendung der 183-Tage-Klausel ist aber nicht allein an den kurzfristigen Aufenthalt des Arbeitnehmers in den anderen Staaten geknüpft. Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik ist bei einem ausländischen Aufenthalt des Arbeitnehmers von nicht mehr als 183 Tagen nur gegeben, wenn der Arbeitgeber, von dem der Arbeitnehmer seine Vergütungen erhält, bestimmte eigene Voraussetzungen hinsichtlich seiner Ansässigkeit erfüllt. Nach den im Streitfall anzuwendenden DBA steht danach der Bundesrepublik das Besteuerungsrecht nur zu, wenn

a) die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht in dem anderen Gebiet (Großbritannien) ansässig ist (Art. XI Abs. 3 Buchst. b DBA-Großbritannien),

b) der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit während der 183 Tage von einem Arbeitgeber entlohnt wird, der in der Bundesrepublik ansässig ist (Art. 13 Abs. 4 Nr. 2 DBA-Frankreich),

c) der Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber entlohnt wird, der seinen Wohnsitz in dem gleichen Staat wie der Arbeitnehmer hat (Art. 9 Abs. 2 Nr. 2 DBA-Österreich),

d) die während der 183 Tage im Ausland ausgeübte Tätigkeit von einem Arbeitgeber entlohnt wird, der in dem gleichen Staate wie der Arbeitnehmer ansässig ist (Art. 14 Abs. 3 Nr. 2 DBA-Schweden),

e) der Arbeitnehmer für seine während der 183 Tage ausgeübte Tätigkeit von einem Arbeitgeber entlohnt wird, der in der Bundesrepublik ansässig ist (Art. 9 Abs. 2 Nr. 2 DBA-Norwegen).

Im Streitfall hängt somit das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik nach der 183-Tage-Klausel wesentlich davon ab, wo der Arbeitgeber des Ehemanns der Antragstellerin ansässig war. Das FG sieht als Arbeitgeber des Ehemanns i. S. der 183-Tage-Klauseln der genannten DBA die E an, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in Großbritannien hat, also dort ansässig ist; das FA hält allein deren inländische Betriebsstätte für den Arbeitgeber des Ehemanns, da die E den Gewinn ihrer in der Bundesrepublik gelegenen Betriebsstätte im Inland zu versteuern hat.

Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist der Begriff des Arbeitgebers in keinem der angeführten DBA erläutert. Auch im deutschen Einkommensteuerrecht fehlt eine allgemeine Definition. Die Begriffsbestimmungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG, unter einem inländischen Arbeitgeber sei im Hinblick auf die Besteuerung der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer jemand zu verstehen, der im Inland einen Wohnsitz, einen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter hat, dienen in erster Linie dazu, denjenigen zu bezeichnen, der den Steuerabzug vom Arbeitslohn vorzunehmen hat. Es ist daher fraglich, ob die Begriffsbestimmung des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Auslegung des Arbeitgeberbegriffs i. S. der 183-Tage-Klauseln der DBA angewendet werden kann (dafür neuerdings der Erlaß des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5. Juli 1982, Betriebs-Berater -- BB -- 1982, 1285, möglicherweise in Abweichung von dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen -- BMF -- vom 25. April 1977, BStBl I 1977, 236). In der Regel wird der Begriff des Arbeitgebers aus der Umkehrung des Begriffs des Arbeitnehmers entnommen. Arbeitgeber ist derjenige, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird oder dessen Anweisungen er zu folgen hat; dabei ist es in Grenzfällen nicht entscheidend, wer bürgerlich-rechtlich Vertragspartei ist, auch nicht, wer den Lohn auszahlt, weil Arbeitgeber und Iohnauszahlende Stelle verschieden sein können (Hartz/Meeßen, ABC-Führer Lohnsteuer, 4. Aufl., Stichwort "Arbeitgeber").

Die 183-Tage-Klauseln der DBA knüpfen weiterhin an die Ansässigkeit des Arbeitgebers an. Unter einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person wird üblicherweise eine Person verstanden, die nach dem Recht des betreffenden Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres Aufenthalts, des Orts ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen Merkmals steuerpflichtig ist.

Gerade aus der zuletzt genannten Voraussetzung der Ansässigkeit des Arbeitgebers wird in der Literatur für die Anwendung der 183-Tage-Klauseln die Auffassung vertreten, daß die deutsche Zweigniederlassung (Betriebsstätte) eines ausländischen Unternehmens nicht als in Deutschland ansässiger Arbeitgeber angesehen werden könne; eine Betriebsstätte könne nicht "ansässig" sein, dieses Merkmal könnten nur natürliche und juristische Personen sowie Personenzusammenschlüsse erfüllen (Horst Vogel, BB 1978, 1021, 1024; Runge, BB 1977, 182, 185; Kempermann, Deutsche Steuer-Zeitung -- DStZ -- 1982, 143). Diese Auffassung sieht sich noch bestätigt in einer weiteren Voraussetzung für die Anwendung der 183-Tage-Klauseln, daß nämlich die Vergütung nicht zu Lasten einer "Betriebsstätte" gehen darf, die der Arbeitgeber in dem anderen Staat hat, in dem die kurzfristige Tätigkeit des Arbeitnehmers ausgeübt wird. Wenn die eine Voraussetzung vom ansässigen Arbeitgeber und die andere von der im anderen Staat gelegenen Betriebsstätte des Arbeitgebers spreche, könne unter Betriebsstätte und Arbeitgeber nicht das gleiche gemeint sein.

Der vorgenannten Auffassung hat sich das FG angeschlossen. Demgegenüber sieht das FA den Begriff des in einem der Vertragsstaaten ansässigen Arbeitgebers mehr wirtschaftlich. Es kann sich dabei auf Formulierungen in Abschn. 92 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien 1977 und auf die oben genannten Verwaltungsverlautbarungen stützen, wonach ein im Inland ansässiger Arbeitgeber eine Betriebsstätte oder der inländische Vertreter eines ausländischen Arbeitgebers sein könne, der unbeschadet des formalen Vertragsverhältnisses des Arbeitnehmers zu einem ausländischen Arbeitgeber die wesentlichen Rechte und Pflichten eines Arbeitgebers tatsächlich wahrnehme.

Entscheidungen des BFH zu der Auslegung des Begriffs des Arbeitgebers i. S. der 183-Tage-Klauseln der DBA liegen noch nicht vor. Ob die Auffassung des FA, die es in dem angefochtenen Steuerbescheid vertritt, vertretbar ist, kann in einem Verfahren, das auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtet ist, nicht abschließend geklärt werden. Das ist schon deshalb unzulässig, weil das mit der Aussetzung der Vollziehung befaßte Gericht sonst der Entscheidung in der Hauptsache vorgreifen würde (vgl. BFH-Urteil vom 22. September 1967 VI B 59/67, BFHE 90, 253, BStBl II 1968, 37). Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen Bedenken gegen den angefochtenen Beschluß insofern, als sich das FG entschieden einer in der Literatur vertretenen Auffassung angeschlossen hat. Es konnte aber ohne Rechtsverstoß annehmen, daß gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids wegen der Unentschiedenheit einer Rechtsfrage ernstliche Zweifel bestehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74406

BStBl II 1983, 71

BFHE 1983, 416

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