Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Aussetzung des Verfahrens bei Vorläufigkeitserklärung

 

Leitsatz (NV)

Die rechtswidrige Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung des Verfahrens verstößt gegen die Grundordnung des Verfahrens. Dies führt als Verfahrensfehler i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf entsprechende Beschwerde zur Zulassung der Revision.

Haben die Kläger die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrags und die beschränkte Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen vor dem FG nicht streitig gemacht und geht der Streit nur um die Höhe des Gewinns aus selbständiger Arbeit, so ist eine Aussetzung des Verfahrens jedenfalls dann nicht geboten, wenn das Finanzamt den angefochtenen Bescheid hinsichtlich Grundfreibetrag und Vorsorgeaufwendungen für vorläufig erklärt hat.

 

Normenkette

FGO §§ 74, 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1987 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie reichten ihre Einkommensteuererklärung 1987 während des Klageverfahrens gegen den auf Schätzung beruhenden Einkommensteuerbescheid 1987 ein. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) änderte den Einkommensteuerbescheid 1987 mehrfach. Streitig blieb der Gewinn des Klägers aus selbständiger Arbeit.

Nachdem die Kläger beantragt hatten, wegen Verfassungswidrigkeit des Grundfreibetrags und der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen das Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen, erklärte das FA in der mündlichen Verhandlung vom 20. August 1992, daß es den angefochtenen Steuerbescheid nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für vorläufig erkläre, und zwar in dem Umfang, wie er sich aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 10. Juli 1992 (Der Steuer- Eildienst -- StE -- 1992, 411, 413) ergebe. Der Klägervertreter widersprach dem Ausspruch der Vorläufigkeit durch das FA. Seinen Antrag, das Verfahren auszusetzen, lehnte das Finanzgericht (FG) ab. Dem Anliegen der Kläger, durch Fortgang des Verfahrens keine Nachteile zu erleiden, sei durch die Vorläufigkeitserklärung des FA hinreichend Rechnung getragen. In der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 1993 beantragte der Klägervertreter erneut, das Verfahren auszusetzen. Das FG wies diesen Antrag durch mündlich verkündeten Beschluß aus den Gründen des Beschlusses vom 20. August 1992 zurück. Der Klägervertreter legte gegen diesen Beschluß zu Protokoll Beschwerde ein. Er beantragte, die Einkommensteuer 1987 gemäß den Zahlen der eingereichten Steuererklärung festzusetzen. Das FG hat die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses an der Aufrechterhaltung der Klage als unzulässig abgewiesen. Die Kläger hätten den weiteren Änderungsbescheid vom 20. August 1992 weder mit dem Einspruch angefochten noch zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Damit sei der Streitgegenstand der vorliegenden Klage weggefallen.

Der Beschwerde gegen die Ablehnung des Aussetzungsantrags hat das FG nicht abgeholfen.

Das FA hat sich zur Beschwerde der Kläger nicht geäußert.

Der Klägervertreter erklärte mit Schriftsatz vom 29. März 1994, daß er das Mandat mit sofortiger Wirkung niedergelegt habe. Auf den Hinweis auf § 155 FGO i. V. m. § 87 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) teilte er mit, daß der Kläger nach Auskunft der Rechtsanwaltskammer selbst zugelassener Rechtsanwalt sei.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Die Beschwerde ist nach § 128 Abs. 2 FGO statthaft; denn das FG hat über die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens durch einen besonderen Beschluß entschieden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. September 1993 X B 14/93, BFH/NV 1994, 253).

b) Die Kläger haben die Beschwerde wirksam i. S. des § 129 Abs. 1 FGO dadurch erhoben, daß ihre Rechtsmittelerklärung in der mündlichen Verhandlung in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurde (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 129 Rdnr. 2).

c) Der Beschwerde fehlt nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil das FG bereits zur Hauptsache entschieden hat. Das Rechtsschutzinteresse für die Beschwerde besteht weiter fort; eine rechtswidrige Ablehnung des Aussetzungsantrags verstößt gegen die Grundordnung des Verfahrens. Dies führt als Verfahrensfehler i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf entsprechende Beschwerde zur Zulassung der Revision. Für diese Nichtzulassungsbeschwerde ist gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (BFH-Beschluß vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797).

d) Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil es -- nach Auffassung des FG -- wegen Bestandskraft des Änderungsbescheids vom 20. August 1992 nicht mehr zu einer Sachprüfung kommen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177). Für Bescheide, die vor dem 1. Januar 1993 ergingen, war der Antrag nach § 68 FGO nicht fristgebunden (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 1990 IX R 321/87, BFHE 160, 415, BStBl II 1990, 865). Im Falle einer Aufhebung des Urteils des FG wegen Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens würde der Änderungsbescheid noch zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden können.

e) Es ist nicht schädlich, daß die Beschwerde nicht begründet wurde. Begründungszwang besteht nur für die Nichtzulassungsbeschwerde (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die Beschwerde muß allerdings -- wie jedes Rechtsmittel -- das Begehren des Rechtsmittelführers erkennen lassen. (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Februar 1989 V B 98/88, BFH/NV 1989, 649). Unter Zugrundelegung der Aussetzungsanträge vor dem FG kann im Streitfall davon ausgegangen werden, daß die Kläger Aussetzung des Verfahrens wegen Verfassungswidrigkeit des Grundfreibetrags und der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen begehren.

f) Die Zulässigkeit der Beschwerde ist nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger das Mandat niedergelegt hat. Gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG), § 155 FGO i. V. m. § 87 Abs. 1 ZPO erlangt die Kündigung des Vollmachtsvertrags erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozeßbevollmächtigten, der nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG postulationsfähig ist, Wirksamkeit (BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 87/76, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238; Beschluß vom 20. Dezember 1985 VI B 53/85, BFH/NV 1986, 689). Zur Bestellung eines anderen Prozeßbevollmächtigten war der Prozeßvertreter der Kläger nicht mehr befugt. Sein Hinweis, daß der Kläger selbst postulationsfähig sei, entbindet ihn deshalb dem Gericht gegenüber nicht von seiner Bevollmächtigung.

2. Die Beschwerde ist unbegründet.

Im vorliegenden Fall haben die Kläger die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrags und die beschränkte Abziehbarkeit der Vorsorgeaufwendungen vor dem FG nicht streitig gemacht. Der Streit ging ausweislich der entsprechenden Anträge vor dem FG nur -- noch -- um die Höhe des Gewinns aus selbständiger Arbeit des Klägers. Es kann offenbleiben, ob in Fällen der vorliegenden Art, in denen die Verfassungsmäßigkeit steuerrechtlicher Vorschriften in Frage gestellt wird, ohne daß sich dies im Klageantrag niederschlägt, überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aussetzung des Verfahrens anzuerkennen ist, wenn das FA im Klageverfahren in den Punkten, in denen die Verfassungsmäßigkeit bezweifelt wird, den angefochtenen Bescheid für vorläufig erklärt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123, und vom 10. Februar 1995 III B 73/94, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415). Jedenfalls verdichtet sich aber das nach § 74 FGO dem FG eingeräumte Ermessen nicht zu einer Aussetzungspflicht (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797), wenn bei ihm die Verfassungsmäßigkeit bestimmter Normen nicht durch entsprechende Anträge streitig gemacht ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420893

BFH/NV 1996, 158

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