Entscheidungsstichwort (Thema)

Rüge unzureichender Zuziehung von Akten; Divergenzrüge; behauptete unzureichende Überprüfung eines Schätzungsbescheides

 

Leitsatz (NV)

1. Wird die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts durch das FG gerügt, weil es nicht alle Akten, deren Zuziehung beantragt war, zugezogen habe, so ist darzulegen, dass auf deren Zuziehung nicht verzichtet worden ist und was den Akten konkret hätte entnommen werden können.

2. Zur Zulässigkeit einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer dartun, dass das vorinstanzliche Gericht dem angefochtenen Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem ‐ ebenfalls tragenden ‐ abstrakten Rechtssatz einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs abweicht.

3. Auch grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides, anders verhält es sich, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 116 Abs. 3; AO 1977 §§ 125, 162

 

Verfahrensgang

FG Köln (Urteil vom 17.12.2001; Aktenzeichen 11 K 4906/98)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragen die Zulassung der Revision, weil die Klageabweisung auf Verfahrensfehlern des Finanzgerichts (FG) beruhe und das FG von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen sei. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) habe, nachdem die Kläger keine Steuererklärung abgegeben hätten, eine "Schätzung ins Blaue hinein" vorgenommen und das FG habe es unterlassen, die Schätzungsbefugnis und die Durchführung der Schätzung zu überprüfen und damit seine Sachaufklärungspflicht verletzt. Dies liege u.a. daran, dass das FG die Zuziehung von Akten unterlassen und Akteneinsicht nicht gewährt habe.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.

Nach § 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) müssen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des Urteils dargelegt werden.

1. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Verfahrensmängel gestützt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), so bedarf es nach ständiger Rechtsprechung hierfür des Vortrags der Tatsachen, die den gerügten Verfahrensmangel schlüssig ergeben (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 116 Rz. 48 ff., m.w.N.). Außerdem muss dargelegt werden, dass die angefochtene Entscheidung --vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG ausgehend-- auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (BFH-Beschluss vom 9. Oktober 2003 V B 12/02, BFH/NV 2004, 97). Soweit der gerügte Verfahrensmangel zu den verzichtbaren Mängeln gehört, kann er nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte auf dessen Beachtung verzichtet hat (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Das Rügerecht geht bei solchen Verfahrensmängeln nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 15. Mai 1996 X R 252-253/93, BFH/NV 1996, 906; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 100 ff. und § 116 Rz. 49, jeweils m.w.N.).

a) Soweit die Kläger rügen, das FG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, indem es nicht alle Akten, deren Zuziehung beantragt war, zugezogen habe, haben sie den gerügten Verfahrensmangel nicht schlüssig dargetan. Die Kläger hätten hierzu darlegen müssen, dass sie auf deren Zuziehung nicht verzichtet haben (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 69 f., m.w.N.). Außerdem hätten sie schlüssig vortragen müssen, warum den Akten zu entnehmen sein sollte, dass negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und nicht positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt worden seien, obwohl sie nach den Feststellungen des FG bereits seit mehreren Jahren keine Steuererklärungen abgegeben hatten und die Besteuerungsgrundlagen in den Vorjahren ebenso wie im Streitjahre geschätzt wurden. Entsprechendes gilt für den Antrag auf Akteneinsicht.

b) Soweit die Kläger weiter vortragen, das FA habe eine "Schätzung ins Blaue hinein" vorgenommen und das FG, dem aus einem anderen Verfahren die Fehlerhaftigkeit bekannt gewesen sei, habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es unterlassen habe, die Schätzungsbefugnis und die Durchführung der Schätzung zu überprüfen, fehlt es schon an der Bezeichnung derjenigen Umstände, die das FG hätte aufklären sollen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 4. Juni 1998 VII B 67/98, BFH/NV 1999, 54; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 69 f., m.w.N.), nachdem die fachkundig vertretenen Kläger offensichtlich weiterhin keine Steuererklärung abgegeben hatten (zur prozessualen Mitwirkungspflicht vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 76 Rz. 28, m.w.N.).

2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.

Zur Zulässigkeit einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer dartun, dass das vorinstanzliche Gericht dem angefochtenen Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem --ebenfalls tragenden-- abstrakten Rechtssatz einer Entscheidung des BFH abweicht. Das setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die betreffenden Rechtssätze der Vorentscheidung und des BFH so genau bezeichnet, dass die behauptete Abweichung erkennbar wird (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 48 ff. und § 116 Rz. 42 f.). Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Kläger nicht. Eine Divergenz ist weder ausreichend dargelegt worden noch tatsächlich gegeben.

a) Das FG ist nicht vom BFH-Urteil vom 30. Juli 1980 I R 148/79 (BFHE 131, 270, BStBl II 1981, 3) abgewichen. Diese Entscheidung betrifft zudem einen vom Streitfall abweichenden Sachverhalt; streitig war dort, ob nach Versäumen der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 der Abgabenordnung --AO 1977--) zu gewähren sei und in diesem Zusammenhang, ob das FA zur Begründung in den Erläuterungen des Steuerbescheids auf eine telefonische Rücksprache mit dem Steuerberater Bezug nehmen durfte. Im Streitfall hat das FA demgegenüber keine derartige Begründung vorgenommen.

b) Aus den Darlegungen der Kläger ergibt sich auch nicht, dass das FG von den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 20. Dezember 2000 I R 50/00 (BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381) abgewichen sei. Danach führen auch grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides. Anders verhält es sich allerdings, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt. Soweit sich die Beschwerde darauf richtet, das FG habe zu Unrecht das Vorliegen grober Schätzungsfehler und die Nichtigkeit der Schätzung verneint, wendet es sich gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG, die revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen eines Verfahrensmangels entzogen sind. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen (BFH-Beschlüsse vom 18. August 2003 X S 5/03 (PKH), BFH/NV 2004, 66; vom 17. Januar 2002 V B 88/01, BFH/NV 2002, 748, und vom 10. Juli 2001 XI B 73/99, BFH/NV 2002, 17).

3. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird abgesehen gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1207633

BFH/NV 2004, 1418

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