Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachverhaltsaufklärung bei unversteuerten Fleischlieferungen aus Drittländern

 

Leitsatz (NV)

  1. Mit der rügelosen Verhandlung zur Sache verzichtet der Kläger im Beschwerdeverfahren, das Übergehen eines Beweisantrags als Verfahrensmangel geltend zu machen. Bei einer Weigerung des FG, einen Beweisantrag zu protokollieren, muss eine Protokollberichtigung oder eine Protokollergänzung beantragt werden.
  2. Das FG kann auf Grund der Feststellungen in einem strafgerichtlichen Urteil und eigener Beweiserhebung zu anderen umsatzsteuerrechtlichen Schlussfolgerungen als das Strafgericht kommen.
 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, §§ 94, 155; ZPO § 160 Abs. 4, § 164

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) machte aus Rechnungen des X mit dem Datum des 28. November 1996 über Fleischlieferungen in der Zeit vom 20. Oktober 1988 bis 15. Februar 1989 die darin ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge von insgesamt … DM als Vorsteuern bei der Steuerfestsetzung für 1996 geltend. Die Rechnungen waren als "berichtigte Rechnungen" bezeichnet und von X mit einer Anschrift in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) und "z.Zt." in Kanada ausgestellt worden.

Bei dem der Klägerin berechneten Fleisch handelt es sich um Ware, die aus der CSSR in der Zeit vom 26. August 1988 bis 17. Februar 1989 unter Umgehung der Zollvorschriften in insgesamt 57 Partien in der Bundesrepublik abgesetzt wurde. Nachdem die Zollfahndung den Schmuggel aufgedeckt hatte, wurde einer der daran Beteiligten, der Schlachter Z zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. X, der zuvor bereits in Strafverfahren verwickelt worden und über dessen Vermögen das Konkursverfahren im Januar 1987 eröffnet worden war, entzog sich dem Strafverfahren wegen der Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit den erwähnten Fleischgeschäften und flüchtete nach Kanada.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) versagte den für die erwähnten Fleischlieferungen begehrten Vorsteuerabzug. Soweit dafür Rechnungen von einer Firma A ausgestellt worden waren, wurde ermittelt, dass diese nicht existierte. Den Vorsteuerabzug aus den von Z ausgestellten Rechnungen ließ das FA nicht zu, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass Z das berechnete Fleisch geliefert habe.

Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Steuerfestsetzung für 1996 ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, es nehme an, dass X die Rechnungen ausgestellt habe. Es habe aber nicht die Überzeugung gewonnen, dass X das aus der CSSR geschmuggelte Fleisch auch geliefert habe. Dafür gebe es keine unmittelbar verwertbaren Dokumente. Dies ergebe sich auch nicht aus den Aussagen der an den Geschäften beteiligten Zeugen. Wegen des Konkursverfahrens habe X kein Interesse an einer Liefertätigkeit haben können. Vielmehr sei für eine Geschäftstätigkeit nach Konkurseröffnung die Z-GmbH gegründet worden, für die die Frau des X als Geschäftsführerin gehandelt habe. Außerdem sei Frau X geschäftlich auch unter einem Pseudonym (Firma K) aufgetreten.

Gegen die Vorentscheidung erhob die Klägerin Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Sie rügt mangelnde Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) und einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zuzulassen.

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe Verfahrensrecht verletzt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), weil es den Sachverhalt entgegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht von Amts wegen aufgeklärt habe, genügt nicht den Anforderungen, die § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Bezeichnung des Verfahrensmangels stellt.

Die Klägerin rügt, das FG habe den Spediteur K nicht als Zeugen darüber vernommen, dass ihn X seinerzeit mit den berechneten Rindfleischlieferungen beauftragt habe. Außerdem habe das FG es unterlassen, X als Zeugen darüber zu vernehmen, dass er die berechnete Ware geliefert habe.

Die Klägerin kann die Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG (§ 76 Abs. 1 FGO) jedoch nicht mehr wirksam rügen.

Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch rügelose Verhandlung zur Sache und damit das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ―ZPO―; vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 19. Januar 2000 VI B 234/99, BFH/NV 2000, 860; vom 10. Mai 2001 III B 115/00, BFH/NV 2001, 1423; vom 5. Februar 2002 IX B 175/01, BFH/NV 2002, 793).

Zu den verzichtbaren Mängeln gehört u.a. das Übergehen eines Beweisantrages (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66; BFH-Beschluss vom 5. Juni 1991 II B 180/90, BFH/NV 1992, 397).

Der insoweit maßgebenden Niederschrift (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO; z.B. BFH-Beschluss vom 5. September 2001 I B 178/00, BFH/NV 2002, 204) über die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2001 lässt sich nicht entnehmen, dass die Klägerin die unterlassenen Zeugeneinvernahmen gerügt hätte. Nach der Beweisaufnahme durch Vernehmung des Geschäftsführers der Klägerin und des Schlachters Z fand ausweislich des Protokolls eine eingehende Erörterung der Sach- und Rechtslage statt. Die Beteiligten "blieben bei ihren Anträgen". Als Anträge der Beteiligten sind am Anfang der Niederschrift der Klageantrag und der Klageabweisungsantrag festgehalten. Weitere Anträge sind der Niederschrift nicht zu entnehmen. Auch nach erneutem Aufruf der Sache nach dem Ende der Beratung weist das Protokoll keine Anträge auf Zeugenvernehmung aus.

Da sich somit aus dem Sitzungsprotokoll nichts ergibt, was den Beschwerdevortrag der Klägerin stützen könnte, hätte sie vortragen müssen, sie habe in der mündlichen Verhandlung eine Protokollierung der Rüge verlangt und ―im Fall einer Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen― eine Protokollberichtigung oder -ergänzung gemäß § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO beantragt (z.B. Beschluss vom 23. September 1998 I B 53/98, BFH/NV 1999, 458; BFH-Beschluss vom 9. November 1999 II B 14/99, BFH/NV 2000, 582, jeweils m.w.N.). Dies ist im Streitfall unterblieben.

b) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO), weil es das Strafurteil des Landgerichts vom 23. Juni 1992, das Aktenbestandteil gewesen sei, nicht so umfassend ausgewertet habe, dass es die für die Lieferanteneigenschaft des X sprechenden Tatsachen daraus entnommen habe, hat die Beschwerde gleichfalls keinen Erfolg.

Unter dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der gesamte Prozessstoff zu verstehen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 96 FGO Tz. 9). Zwar verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das Gericht, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 2000 III R 49/98, BFH/NV 2001, 911; vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673, 675, jeweils m.w.N.). Der Umfang des Entscheidungsprogramms des Gerichts wird indessen wesentlich durch die schriftlichen und mündlichen Behauptungen, Einlassungen und Stellungnahmen der Beteiligten bestimmt (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442). Demnach kann einem FG ein Verfahrensfehler nur dann zur Last gelegt werden, wenn es u.a. Tatsachen außer Acht lässt, die sich ihm nach Lage der Akten oder aufgrund des Vorbringens der Beteiligten aufdrängen mussten (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. April 2002 VI B 298/01, BFH/NV 2002, 1166; vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; vom 8. Februar 1995 II B 56/94, BFH/NV 1995, 900).

Das FG hat das erwähnte Strafurteil ausweislich des Tatbestands ausgewertet. Der vom FG festgestellte Sachverhalt stimmt mit den Feststellungen im Strafurteil weitgehend überein. Das FG hat allerdings andere Schlussfolgerungen aus den festgestellten Tatsachen gezogen. Das Strafgericht hatte keinen Anlass, die umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen aufzuklären. Deshalb hatte das FG seine für die Entscheidung im Streitfall maßgebende Überzeugungsbildung auf eine unmittelbare Beweisaufnahme durch Vernehmung des Schlachters Z gestützt, als Schlussfolgerungen aus den von der Klägerin zitierten im Strafurteil geschilderten Feststellungen zu ziehen.

c) Mit Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des FG kann die Klägerin im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gehört werden (BFH-Beschluss vom 18. Juli 2002 V B 107/01, BFH/NV 2003, 49), weil derartige Angriffe revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 22. März 1999 X B 142/98, BFH/NV 1999, 1236). Dass das FG falsche Beweisregeln angewendet hat, hat die Klägerin nicht behauptet.

2. Im Übrigen ergeht die Entscheidung ohne weitere Begründung (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

 

Fundstellen

BFH/NV 2003, 1203

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