Leitsatz (amtlich)

Über eine unbegründete Beschwerde kann ohne Entscheidung über ihre Zulässigkeit zur Sache selbst entschieden werden, wenn die Beschwerdeentscheidung nicht in materielle Rechtskraft erwächst.

 

Normenkette

FGO § 132

 

Tatbestand

Das FG hat die Beiordnung eines Armenanwalts für das bei ihm anhängige Klageverfahren nach § 142 Abs. 1 Satz 2 FGO abgelehnt, weil beim gegenwärtigen Stand des Klageverfahrens die Durchführung eines Erörterungstermins eine bessere Aufklärung der streitigen Sachfragen verspreche. Dieser nach Inkrafttreten des BFH-EntlastG ergangene Beschluß ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, die für das Beschwerdeverfahren vor dem BFH Hinweise zur Vertretung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und darauf enthält, daß man sich durch einen Steuerbevollmächtigten vertreten lassen kann, den nach dem Entlastungsgesetz insoweit eingeführten Vertretungszwang jedoch nicht vollständig umschreibt. Die vom Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) zunächst selbst eingelegte Beschwerde hat der Senat mit Beschluß vom 11. März 1976 VIII B 8/76 verworien, weil der Antragsteller nicht ordnungsmäßig vertreten war. Diesen Beschluß hat der BFH dem Antragsteller durch am 12. April 1976 zur Post gegebenen Brief zugesandt. Die vorliegende Beschwerde ist beim BFH am 12. Mai 1976 eingegangen. Ihr hat das FG nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Senat läßt unentschieden, ob die Beschwerde zulässig ist. Die Beschwerdefrist hätte mit der Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 31. Dezember 1975 begonnen, wenn der Beschluß mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen wäre (§ 55 FGO). In diesem Fall wäre die Beschwerde verspätet eingelegt worden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wäre verspätet, weil die Unkenntnis des Antragstellers über den Vertretungszwang und damit seine Verhinderung i. S. des § 56 Abs. 1 FGO durch den Beschluß des Senats VIII B 8/76 beseitigt worden ist und davon auszugehen ist, daß dem Antragsteller dieser Beschluß früher als zwei Wochen vor dem Eingang der Beschwerdeschrift beim BFH zugegangen ist. Ferner käme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht, weil die Beschwerdefrist versäumt wäre. Denn an der rechtzeitigen Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist wäre der Antragsteller infolge seiner Rechtsauffassung gehindert gewesen, die Rechtsmittelbelehrung zu dem Beschluß des FG sei so mangelhaft gewesen, daß die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Das Risiko der Richtigkeit dieser rechtlichen Einschätzung durch den Antragsteller oder seine Prozeßvertreter müßte sich der Antragsteller zurechnen lassen.

Ob jedoch die Rechtsmittelbelehrung den Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) vollständig hätte beschreiben müssen, um den Erfordernissen des § 55 FGO zu genügen, ist nach der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 25. August 1955 IV RJ 21/54, NJW 1956, 159) zu § 66 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes, dessen Wortlaut § 55 Abs. 1 FGO entspricht, ist zur Bezeichnung des Rechtsbehelfs auch erforderlich, daß die Beteiligten über die für sie wesentlichen und zwingenden Einzelheiten des Rechtsmittels, also auch den Vertretungszwang, unterrichtet werden. Die vorliegende Rechtsmittelbelehrung wäre hiernach unvollständig, so daß die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen begonnen hätte. Im Gegensatz hierzu hat das BVerwG entschieden, daß nur die ausdrücklich in § 58 der VwGO vorgeschriebenen und § 55 FGO entsprechenden Hinweise erforderlich sind, um die Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen (BVerwG-Beschluß vom 14. Oktober 1960 I B 127.60, Verwaltungs-Rechtssprechung 13, 376 Nr. 112, und Deutsches Verwaltungsblatt 1960 S. 897).

Welcher dieser beiden Ansichten der erkennende Senat auch folgen würde, er würde von der Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes abweichen und die Sache nach § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vorlegen müssen.

Diese Vorlage erübrigt sich, weil der Senat unentschieden lassen kann, ob die vorliegende Beschwerde zulässig ist. Dieses Vorgehen ist bei Entscheidungen zulässig, die nicht in materielle Rechtskraft erwachsen. In solchen Fällen sind die Rechtswirkungen einer Prozeßentscheidung und die Rechtswirkungen einer Sachentscheidung identisch. Nach diesem Grundsatz hat der BFH bereits über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in der Sache selbst entschieden, ohne zuvor die Zulässigkeit des Aussetzungsantrags festzustellen, weil Beschlüsse über Aussetzungsanträge jederzeit geändert oder aufgehoben werden können, also nicht in materielle Rechtskraft erwachsen (vgl. Beschluß vom 26. September 1973 II S 6/72 - nv -). Auch Beschlüsse und Beschwerden über die Beiordnung eines Armenanwalts nach § 142 FGO sind der materiellen Rechtskraft nicht fähig. Für diese Verfahren gilt sinngemäß § 48 Abs. 2 BRAO mit der Möglichkeit einer Aufhebung der Beiordnung (vgl. auch § 121 ZPO). Zwar gibt diese Vorschrift nur die Änderungsbefugnis für den Fall, daß dem Beiordnungsantrag stattgegeben worden war, während § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO dem Wortlaut nach die Änderung in jedem Fall ermöglicht. Tatsächlich kommt die Anwendung auch dieser Vorschrift jedoch nur in Betracht, wenn die Aussetzung der Vollziehung verfügt worden ist, weil andernfalls ein erneuter Aussetzungsantrag ohne weiteres möglich ist. Unerheblich ist auch, daß die Änderung nach § 48 Abs. 2 BRAO beantragt werden muß, die Änderung im Fall des § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO dem Wortlaut des Gesetzes nach auch von Amts wegen möglich ist. Denn auch im Fall des § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO wird das FG den Aussetzungsbeschluß kaum von Amts wegen ändern, sondern dazu erst durch Antrag veranlaßt werden. Daß schließlich der Senat im Beschwerdeverfahren und nicht im Antragsverfahren zu entscheiden hat, ändert ebenfalls nichts; die Beschwerde ist kein ausschließlich auf Kassation gerichtetes Rechtsmittel, sondern führt grundsätzlich zur Entscheidung in der Sache selbst, wenngleich im vorliegenden Fall unter Beachtung der Ermessenskompetenz des FG.

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das FG im Hinblick darauf, daß es im gegenwärtigen Stand des Klageverfahrens vornehmlich um die Aufklärung des Sachverhalts geht, zu welcher ein Rechtsanwalt oder ein Steuerberater nicht ohne weiteres bessere Beiträge leisten kann als der Antragsteller selbst, die Vertretung durch eine solche Person nicht für erforderlich gehalten und damit die Beiordnung abgelehnt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72049

BStBl II 1977, 313

BFHE 1977, 174

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