Entscheidungsstichwort (Thema)

Organisationsverschulden der OFD

 

Leitsatz (NV)

Auch bei einem seit Jahren praktizierten Postaustausch durch Boten zwischen der OFD und dem FG muß bei fristgebundenen Schriftsätzen eine individuelle Ausgangskontrolle bei der OFD gewährleistet sein. Wird dies zur Begründung eines Antrags der OFD auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist nicht ausreichend dargelegt und durch Vorlage präsenter Beweismittel glaubhaft gemacht, ist von einem die Wiedereinsetzung ausschließenden Organisationsverschulden auszugehen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Beklagte und Revisionsklägerin (Oberfinanzdirektion -- OFD --) unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen dazu verurteilt, eine bestimmte verbindliche Zolltarifauskunft zu erlassen.

Das Urteil des FG ist der OFD am 16. Juli 1997 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 13. August 1997, eingegangen beim FG am 19. August 1997, hat die OFD Revision gegen dieses Urteil eingelegt. Auf telefonische Nachfrage der OFD bestätigte die Senatsgeschäftsstelle dieser am 29. August 1997 das Eingangsdatum der Revision. Daraufhin beantragte die OFD mit Schriftsatz vom 4. September 1997, beim Bundesfinanzhof (BFH) am selben Tag eingegangen, ihr nach §56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist zu gewähren.

Zur Begründung bringt die OFD vor, sie sei ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen, da die Revisionsschrift unter Beachtung der üblichen Postlaufzeiten im Postaustausch durch Boten zwischen dem FG und der OFD rechtzeitig in den Postausgang gegeben worden sei. Nachdem eine Sachbearbeiterin der OFD nach Einholen einer fachlichen Stellungnahme bei der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt den Entwurf der Revisionsschrift am 12. August 1997 erstellt habe, sei die auf der Grundlage des Entwurfs am 13. August 1997 gefertigte Reinschrift von der Kanzlei der unterschriftsberechtigten Referentin zur Unterschrift vorgelegt und am selben Tag der Postausgangsstelle im Hause zugeleitet worden. Dies werde durch einen Abfertigungsvermerk vom 13. August 1997 auf dem zur Sachbearbeiterin zurückgeleiteten Entwurf bestätigt. Diese habe sowohl durch Vermerk auf dem Entwurf als auch mündlich die Kanzlei auf den Termin hingewiesen.

Der Schriftsatz sei über den seit Jahren praktizierten Postaustausch zwischen der OFD und dem FG als Brief dem FG zugegangen. Eine nochmalige Nachfrage in der Postausgangsstelle habe bestätigt, daß die entsprechenden Boten der Poststelle des FG dort täglich und nahezu immer vormittags zwischen 9 und 10 Uhr die für das FG bestimmte Post abholen und abliefern. Die Sachbearbeiterin habe deshalb im Hinblick auf das erfahrene Personal in der Kanzlei und der Postausgangsstelle und der üblichen Postlaufzeiten zum FG davon ausgehen dürfen, daß der Schriftsatz über den Postaustausch noch am Donnerstag, dem 14. August 1997, dem FG zugehe. Selbst im Falle einer unvorhersehbaren Verzögerung (z. B. Ausfall eines Boten) habe die Sachbearbeiterin davon ausgehen dürfen, daß der Schriftsatz spätestens am Montag, dem 18. August 1997, und damit noch fristgerecht, dem FG zugehe. Nach Überwachung der Frist durch Rücklauf des Entwurfs mit dem Abfertigungsvermerk vom 13. August 1997 seien etwaige Zweifel an der Einhaltung der Frist ausgeräumt gewesen. Es sei bei der OFD nicht nachvollziehbar, daß der Schriftsatz erst am 19. August 1997 beim FG eingegangen sei.

In der beim BFH fristgerecht eingegangenen Revisionsbegründungsschrift beantragt die OFD sinngemäß, unter Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der OFD ist unzulässig und deshalb gemäß §124 Abs. 1, §126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.

1. Nach §120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Das FG-Urteil ist der OFD am 16. Juli 1997 zugestellt worden. Die einmonatige Revisionsfrist endete danach am 18. August 1997, weil der 16. August auf einen Sonnabend und der 17. August auf einen Sonntag fiel (§54 Abs. 2 FGO i. V. m. §222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung und §188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Die am 19. August 1997 beim FG eingegangene Revision war daher verspätet.

2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §56 FGO wegen der Versäumung der Revisionsfrist kann der OFD nicht gewährt werden.

Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, daß innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (vgl. §56 Abs. 2 FGO; ständige Rechtsprechung, s. z. B. BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586; BFH-Beschluß vom 9. März 1993 VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616, m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die Grundsätze der FGO über Fristversäumnis und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Finanzbehörden in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. Senatsurteil vom 12. Mai 1992 VII R 38/91, BFH/NV 1993, 6, m. w. N.). Hiernach schließt jedes Verschulden -- also auch eine einfache Fahrlässigkeit -- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.

Das Vorbringen der OFD ist nicht geeignet, ein Verschulden der für die Bearbeitung der Revision zuständigen Bediensteten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen, selbst wenn davon ausgegangen wird, daß sich die OFD das Verschulden eines Boten, der mit der Beförderung des Schriftstücks beauftragt wird, grundsätzlich nicht als eigenes Verschulden zurechnen lassen muß (vgl. zum Versehen von Angestellten in der Poststelle als Boten: BFH- Urteil vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548). Wie der Prozeßbevollmächtigte (Rechtsanwalt, Steuerberater) eines Steuerpflichtigen, so ist auch der Leiter der Finanzbehörde bzw. der zuständige Abteilungsleiter, Gruppenleiter, Referent, Sachgebietsleiter oder Sachbearbeiter verpflichtet, ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender oder vergleichbare Einrichtung) zu führen, mit dem die Erledigung fristwahrender Schriftsätze bis zu ihrer Absendung überwacht werden kann. Zur Organisationspflicht gehört es, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, daß fristwahrende Schriftsätze nicht über den Fristablauf hinaus im Büro bzw. in der Behörde liegenbleiben. Die Erledigung des Schriftsatzes muß daher bis zu seiner Absendung überwacht werden (Ausgangskontrolle).

Daraus ergibt sich, daß Schriftsätze nicht nur rechtzeitig gefertigt und abgesandt werden müssen, sondern die Absendung auch in einem besonderen Vorgang kontrolliert werden muß. Die mit der Versendung der Post beauftragte Poststelle (Boten) kann die Kontrolle regelmäßig nicht selbst -- z. B. durch Vermerk in einem Postausgangsbuch -- vornehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein zur Versendung bestimmtes Schriftstück sie gar nicht erreicht. Die Kontrolle muß daher durch jemand erfolgen, der den gesamten Vorgang überwacht, z. B. durch denjenigen, der den Fristenkalender führt, oder zumindest durch jemand, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war (BFH-Entscheidungen vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229, 230; vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, 268; vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818, 821, m. w. N.).

Die OFD hat nicht vorgetragen, daß eine Ausgangskontrolle im vorstehenden Sinne, mit der im Regelfall die Versäumung gesetzlicher Fristen verhindert wird, bei ihr gewährleistet ist. Ein Organisationsverschulden kann daher nicht ausgeschlossen werden. Die OFD hat lediglich die rechtzeitige Erstellung und Zuleitung des Revisionsschriftsatzes an ihre Poststelle vorgetragen sowie auf die allgemeine Organisation des Postablaufs innerhalb der Behörde und den üblichen Ablauf des Postaustauschs mit dem FG hingewiesen. Bei fristgebundenen Schriftstücken muß aber -- wie ausgeführt -- die individuelle Ausgangskontrolle gewährleistet sein. Hierzu reicht weder der besondere Hinweis auf die Frist durch die Sachbearbeiterin gegenüber der Kanzlei (auf dem Entwurf des zu fertigenden Schriftstücks und/oder noch einmal mündlich) noch der spätere "Abfertigungsvermerk" durch die Kanzlei auf dem Entwurf des Schriftstücks aus. Denn all dies sagt nichts darüber aus, wie im Streitfall überwacht und kontrolliert worden ist, daß die Revisionsschrift auch rechtzeitig von der Kanzlei an die Postausgangsstelle und von dort im Postaustauschverfahren an das FG gelangt ist. Bezeichnend ist insoweit die Einlassung der OFD, es sei dort nicht nachvollziehbar, daß der Schriftsatz erst am 19. August 1997 beim FG eingegangen sei. Des weiteren liegt auch kein Hinweis darauf vor, daß der Leiter der Poststelle -- wenn schon kein Fristenkontrollbuch geführt worden ist -- ausdrücklich auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks hingewiesen worden ist (vgl. hierzu BFH in BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548, 549, und BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, 268).

Da somit schon nach dem Vorbringen der OFD ein Organisationsverschulden hinsichtlich der erforderlichen Ausgangskontrolle nicht ausgeschlossen werden kann, kam es nicht mehr darauf an, daß es die OFD auch versäumt hat, die vorgetragenen Angaben durch Vorlage präsenter Beweismittel, etwa durch dienstliche Erklärungen oder eidesstattliche Versicherungen der mit der Fristenüberwachung beauftragten Bediensteten oder durch Vorlage einer Kopie der betreffenden Seite des Fristenüberwachungsbuchs glaubhaft zu machen. Auch insoweit sind an eine Finanzbehörde jedenfalls grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie an einen Steuerpflichtigen zu stellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66754

BFH/NV 1998, 709

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