Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung des Steuer- bzw. Haftungsbescheids und Zahlungsverjährung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie aufgrund der Systematik des Gesetzes und die Entscheidung der Rechtsfrage vorbereitender Rechtsprechung des BFH offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat.

2. Das zugunsten der Finanzbehörde ergangene Sachurteil im Anfechtungsprozeß gegen einen Steuer- bzw. Haftungsbescheid entscheidet zugleich darüber, daß Zahlungsverjährung bezüglich des Steuer- oder Haftungsanspruchs bis zum Tag der Entscheidung des Gerichts nicht eingetreten ist.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 32, 232; FGO § 110 Abs. 1 Nr. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Mit Kostenfestsetzungsbeschluß sind die dem Beklagten und Beschwerdeführer (Beklagter) vom Kläger und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) zu erstattenden Kosten aus dem zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Verfahren wegen Umsatzsteuerhaftung auf 19 095 DM festgesetzt worden. Nachdem der Beklagte gemäß § 152 Abs. 1 i. V. m. § 151 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Finanzgericht (FG) beantragt hatte, aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß die Vollstreckung zu verfügen, erhob das FA seinerseits Vollstrekungsabwehrklage (§ 151 Abs. 1 FGO i. V. m. § 767 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß für unzulässig erklären zu lassen. In der Klageschrift erklärte das FA gegen den Kosten erstattungsanspruch des Beklagten die Aufrechnung mit den ihm zustehenden Umsatzsteuerhaftungsansprüchen in Höhe von 357 929,50 DM.

Das FG gab der Klage statt und erklärte die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß für unzulässig, da das FA gegen den Kostenerstattungsanspruch wirksam mit fälligen Steuern aufgerechnet habe. Dabei führte das FG insbesondere aus, die Haftungsforderung sei noch nicht zahlungsverjährt. Für den Zeitraum bis zum Erlaß des finanzgerichtlichen Urteils im Anfechtungsprozeß gegen den Haftungsbescheid stehe dies schon wegen der Rechtskraft wirkung des Urteils fest, denn die Zahlungsverjährung führe zum Erlöschen des Haftungsanspruchs und sei deshalb bei der Entscheidung über die Klage von Amts wegen zu prüfen gewesen. Auch in der Folgezeit sei Zahlungsverjährung nicht eingetreten.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Beklagte die Zulassung der Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Rechtsfrage, ob das Sachurteil eines Anfechtungsprozesses, wie das FG meine, zugleich über die Zahlungsverjährung des Steuer- bzw. Haftungsanspruchs entscheide, obwohl Streitgegenstand des Anfechtungsprozesses nicht die Frage der Zahlungsverjährung, sondern lediglich die Rechtsfolgenbehauptung des Anfechtungsklägers sei, die Haftung sei zu Unrecht festgesetzt worden. Treffe diese Auffassung zu, nehme die Frage der Zahlungsverjährung nicht an der Rechtskraftwirkung des Urteils im Anfechtungsprozeß teil, so daß sich das FG einer Entscheidung darüber nicht entziehen dürfe.

Weder der BFH noch ein FG habe bisher über diese Frage entschieden; in der Literatur sei die Frage nicht behandelt, obschon diese Situation in sehr vielen Verfahren auftrete. Durch die lange Dauer der Finanzgerichtsprozesse träten nämlich häufig solche Fälle auf, in denen während des Rechtsstreits die Zahlungsverjährung eintrete, weil weder gezahlt noch die Zahlungsverjährung durch Aussetzung der Vollziehung unterbrochen werde.

 

Entscheidungsgründe

Es kann dahinstehen, ob der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ausreichend i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt hat, denn der aufgeworfenen Rechtsfrage kommt jedenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu, so daß die Nichtzulassungsbeschwerde zumindest deshalb keinen Erfolg haben kann.

Die Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie aufgrund der Systematik des Gesetzes und die Entscheidung der Rechtsfrage vorbereitender Rechtsprechung des BFH offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (vgl. zu diesem Kriterium die BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 1988 III B 15/88, BFHE 155, 386, BStBl II 1989, 409, und vom 15. Dezember 1989 VI B 78/88, BFHE 159, 196, BStBl II 1990, 344).

Kommt das FG im Anfechtungsprozeß des Steuer- bzw. Haftungsschuldners gegen den Steuer- bzw. Haftungsbescheid der Finanzbehörde zu dem Ergebnis, daß der Steuer- bzw. Haftungsbescheid rechtmäßig oder teilweise rechtmäßig ist, und weist es infolgedessen die Klage durch Sachurteil im ganzen oder zum Teil ab, und wird diese Entscheidung rechtskräftig, so steht zwischen den Beteiligten nicht nur fest, daß die Festsetzung des staatlichen Steuer- oder Haftungsanspruchs im Umfang der Klageabweisung rechtmäßig war, sondern daß auch der sich aus der rechtmäßigen Festsetzung ergebende Zahlungsanspruch der Finanzbehörde besteht und bis zum Tag der Entscheidung des FG nicht durch Zahlungsverjährung erloschen ist.

Anders als im Zivilrecht führt im Steuerrecht der Eintritt der Zahlungsverjährung zum Erlöschen des fälligen Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47, § 232 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Da der Zahlungsanspruch des FA gegen den Steuer- bzw. Haftungsschuldner auch während eines Rechtsstreits über die Steuerfestsetzung verjähren und damit erlöschen kann, sofern das FA in dieser Zeit keine taugliche Unterbrechungshandlung vornimmt (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1990 V R 90/87, BFHE 160, 348, BStBl II 1990, 802), muß das FG die Frage der Zahlungsverjährung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen prüfen und beachten (BFH-Urteil vom 26. April 1988 VII R 97/87, BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865). Kommt das FG zu dem Ergebnis, daß Zahlungsverjährung eingetreten ist, so ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Durch den Eintritt der Zahlungsverjährung wird zwar nicht die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung berührt, um die der Rechtsstreit geführt wird -- insofern ist die Auffassung des Beklagten zutreffend --; die im Streit befindlichen Sachfragen sind jedoch im Ergebnis gegenstandslos, weil der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, um dessen rechtmäßige Festsetzung gestritten worden ist, erloschen ist (vgl. BFH in BFHE 160, 348, BStBl II 1990, 802; BFH-Beschluß vom 25. März 1993 V B 73/92, BFH/NV 1994, 437; vgl. auch Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 232 AO 1977 Rz. 5). Nach Erledigung der Hauptsache kann dem Sachantrag des Anfechtungsklägers nicht mehr stattgegeben werden; ein Sachurteil kann nicht mehr ergehen (BFH/NV 1994, 437).

Da das FG im Streitfall durch Sachurteil entschieden hatte, steht fest, daß nach der Rechtsauffassung des FG Zahlungsverjährung bis zu dem Tag, an dem das Urteil ergangen ist, nicht eingetreten war. Mithin entscheidet das Sachurteil im Anfechtungsprozeß, das zugunsten der Finanzbehörde ergeht, zugleich darüber, daß Zahlungsverjährung bezüglich des Steuer- oder Haftungsanspruchs nicht eingetreten ist. Auch diese Entscheidung nimmt an der Rechtskraftwirkung des § 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO teil. Dem FG ist es verwehrt, in einem späteren Rechtsstreit der Beteiligten die Frage, ob nicht doch Zahlungsverjährung im früheren Verfahren eingetreten war, erneut zu prüfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421697

BFH/NV 1997, 95

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