Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensmängel; Fürsorgepflicht des Gerichts; Verletzung der Amtsermittlungspflicht

 

Leitsatz (NV)

  1. Zwar hat der Vorsitzende Richter nach § 76 Abs. 2 FGO im Rahmen seiner Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Aufgabe des Gerichts ist es indes ‐ zumal bei steuerlich beratenen und durch fachkundige Prozessbevollmächtigte vertretenen Beteiligten ‐ nicht, Rechtsrat und Rechtsauskunft zu geben und neue, weitergehende Prozessziele anzuregen.
  2. Wird die Verletzung der Amtsermittlungspflicht gerügt, so ist darzulegen, welche aufklärungsbedürftigen Tatsachen unaufgeklärt geblieben sind, welche Beweismittel das FG nicht erhoben hat, warum sich eine weitere Aufklärung bzw. Beweiserhebung dem Gericht nach dessen insoweit maßgebendem materiell-rechtlichen Rechtstandpunkt auch ohne Antrag als notwendig hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und schließlich, inwieweit das FG bei einer derartigen Aufklärung bzw. Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Bei so genannten verzichtbaren Verfahrensmängeln ist außerdem anzugeben, dass die Mängel rechtzeitig gerügt worden sind bzw. aus welchen Gründen der Beschwerdeführer an einer solchen Rüge gehindert gewesen ist.
  3. Mit der Rüge, das FG habe das angefochtene Urteil zu Unrecht auf die dem Beschwerdeführer obliegende Feststellungslast gestützt, wird kein Verfahrensmangel, sondern lediglich ein nicht zur Zulassung der Revision führender materiell-rechtlicher Fehler behauptet.
 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3; ZPO § 295

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Die Beschwerde bezeichnet die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Satz 3 FGO).

1. Die Rüge, der Vorsitzende des Senats beim Finanzgericht (FG) habe den ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. November 1999 vertretenen Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht darauf hingewiesen, die in der mündlichen Verhandlung erhobene Untätigkeitsklage materiell zu begründen und auch keine Frist gesetzt, die noch notwendigen Tatsachen darzulegen, enthält keine ordnungsgemäße Verfahrensrüge.

Zwar hat der Vorsitzende nach § 76 Abs. 2 FGO im Rahmen seiner rechtlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg der Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit eines Klägers, zumal in Formsachen, scheitern. Das Gericht ist deshalb gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten und einfachsten erreicht werden kann. Aufgabe des Gerichts ist es jedoch nicht, Rechtsrat und Rechtsauskunft zu geben und neue, weitergehende Prozessziele anzuregen. Bei der Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO geht es weniger um die eigene Aufklärung durch das Gericht als darum, Schutz- und Hilfestellung für die Beteiligten zu geben, deren Eigenverantwortlichkeit dadurch aber nicht eingeschränkt oder beseitigt wird. Liegt die rechtliche Bedeutung bestimmter Tatsachen und die daraus folgende Zweckmäßigkeit bestimmter Anträge oder eines bestimmten Vortrags zur Erreichung des Prozessziels auf der Hand, so stellt der unterlassene Hinweis deshalb jedenfalls dann keine gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßende Pflichtverletzung dar, wenn der Kläger ―wie im Streitfall― steuerlich beraten und durch einen fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992, 609).

Im Übrigen hat der Kläger auch nicht vorgetragen, was er denn konkret auf entsprechende Hinweise des Gerichts überhaupt dargelegt hätte und inwiefern das angefochtene Urteil auf dem vermeintlichen Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 21. März 1994 V B 114/93, BFH/NV 1995, 603, ständige Rechtsprechung).

2. a) Auch eine Verletzung der aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO folgenden Pflicht des FG zur Amtsermittlung ist nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden.

Wird eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO gerügt, so ist darzulegen, welche Tatsachen unaufgeklärt geblieben sind, obwohl sie aufklärungsbedürftig waren bzw. welche Beweismittel das FG nicht erhoben hat, warum der Beschwerdeführer nicht von sich aus Beweis angeboten hat, warum sich eine weitere Aufklärung bzw. Beweiserhebung dem FG nach dessen insoweit maßgebendem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt auch ohne Antrag als notwendig hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und schließlich inwieweit das FG bei einer solchen Aufklärung bzw. Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Dezember 1997 VIII B 18/97, BFH/NV 1998, 859, 860, m.w.N.; vom 11. April 1994 I B 195/93, BFH/NV 1995, 188).

b) Soweit der Kläger beanstandet, das FG hätte die Schadensersatzforderungen des Wohnungseigentümers Y klären müssen, ob nämlich der Kläger durch ein Zivilgericht zur Schadensersatzleistung in dieser Höhe auch verurteilt worden sei, genügt es für eine ordnungsgemäße Rüge eines Verfahrensmangels indessen nicht zu erklären, dem FG wäre eine Nachfrage beim Prozessbevollmächtigten des Herrn Y oder bei dem zuständigen Zivilgericht jederzeit möglich gewesen. Es fehlen vielmehr jegliche Angaben zu den voraussichtlichen Ergebnissen einer solchen Nachfrage. Ebenso wenig legt der Kläger dar, weshalb er bzw. seine fachkundigen Vertreter diese möglicherweise entscheidungserheblichen Sachverhalte nicht spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 3. November 1999 unter ordnungsgemäßem Beweisantritt vorgetragen haben.

c) Dasselbe gilt für die weitere Rüge, das FG hätte sich hinsichtlich der angenommenen Regressforderungen des Klägers gegen die von ihm beauftragten Handwerker die insoweit getroffenen Vereinbarungen und jeweiligen Abnahmeprotokolle vorlegen lassen und anhand von Gutachten prüfen müssen, ob die Mängel an dem Bauwerk auf eine fehlerhafte Sanierung oder die schlechte Bausubstanz des Gebäudes zurückzuführen seien. Auch insoweit legt die Beschwerde nicht die voraussichtlichen Ergebnisse derartiger Aufklärungsmaßnahmen des Gerichts dar. Insbesondere fehlen Ausführungen dazu, weshalb der beratene Kläger nicht von sich aus diese Sachverhalte, ggf. unter Beweisantritten, in der mündlichen Verhandlung dem FG unterbreitet hat.

d) Soweit der Kläger weiterhin beanstandet, das FG habe nicht berücksichtigt, dass er sich ―wie schriftsätzlich dargelegt― auch selbst an der Renovierung des Gebäudes aktiv beteiligt gehabt habe und insoweit keine Gewährleistungsansprüche des Klägers gegen Dritte denkbar seien, handelt es sich allenfalls um einen materiell-rechtlichen Fehler der angefochtenen Entscheidung, nicht hingegen um einen Verfahrensmangel.

Dies trifft schließlich in gleicher Weise zu, soweit der Kläger meint, das FG habe die angefochtene Entscheidung zu Unrecht auf die ihm obliegende objektive Feststellungslast gestützt (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 28. Juli 1994 IV S 2/93, BFH/NV 1995, 118, 119).

e) Schließlich handelt es sich insgesamt um sog. verzichtbare Verfahrensmängel i.S. von § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO. Deshalb hätte der Kläger angeben müssen, dass er die Mängel vor dem FG gerügt habe bzw. aus welchen Gründen er am Vorbringen einer solchen Rüge gehindert gewesen sei (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juli 1992 II B 66/92, BFH/NV 1993, 181, 182).

Im Streitfall war der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. November 1999 in der mündlichen Verhandlung vor dem FG durch zwei rechtskundige Personen vertreten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 22. September 1994 IV R 61/93, BFHE 176, 350, BStBl II 1995, 367, unter II. 3. der Gründe, m.w.N.).

Der Kläger selber hatte zudem bereits in der Klagebegründung vom 30. August 1999 vorgetragen, Ansprüche gegen die von ihm mit der Renovierung beauftragten Firmen seien nach Abnahme nicht durchsetzbar gewesen und gerichtliche Verfolgungen hätten kaum Aussicht auf Erfolg, ohne freilich dafür irgendwelche Nachweise anzubieten oder ordnungsgemäße Beweisantritte zu machen. Der Prozessvertreter war sich also, ohne dass es insoweit auf die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt) im Schriftsatz vom 21. Januar 2000 geltend gemachten zusätzlichen Umstände, aus denen sich für den Prozessvertreter ohne weiteres hätte ergeben müssen, dass eine Rückstellung wegen möglicher Kompensationen mit eigenen Regressansprüchen des Klägers ausschied, ankam, erkennbar bewusst, dass die Bildung der Rückstellung betragsmäßig von Gegenansprüchen des Klägers gegen seine Subunternehmer mit abhing.

Soweit der Kläger meint, eine gesteigerte Aufklärungspflicht des FG hätte sich allein aus dem Umstand ergeben, dass der Kläger auf Anraten des FG sein Klagebegehren auf eine Untätigkeitsklage umgestellt habe, hätte es eines weiteren substantiierten Vortrags bedurft, weshalb prozessrechtlich dieser Hinweis des FG eigenen substantiierten Sachverhaltsvortrag und ordnungsgemäße Beweisangebote entbehrlich hätte machen können.

Der Senat sieht nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von einer weiteren Begründung ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426310

BFH/NV 2000, 1349

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