Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiordnung eines "Notanwalts"

 

Leitsatz (NV)

1. Der beim FG eingereichte Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts für ein Verfahren vor dem BFH kann formlos vom FG an den BFH abgegeben werden. Mit dem Eingang des Antrags beim BFH wird das Verfahren beim Prozeßgericht anhängig.

2. Wieviele zur Vertretung vor dem BFH befugte Personen der Antragsteller vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht haben muß, ist nach den Umständen jedes Einzelfalls zu entscheiden. Ob ausnahmsweise die Absagen von lediglich zwei zur Vertretung befugten Personen ausreichend sein können, kann offen bleiben, wenn die besonderen Umstände der Andienung der beiden Mandate erkennen lassen, daß der Antragsteller sich nicht ernsthaft und nicht ohne Vorbedingungen um die Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten bemüht hat.

 

Normenkette

FGO § 155; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; ZPO § 78b

 

Tatbestand

Der Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Antragsteller) wendet sich vor dem Finanzgericht (FG) gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --), mit der das FA wegen Steuerschulden und Schulden aus steuerlichen Nebenleistungen des Antragstellers alle diesem gegenwärtig und künftig zustehenden Ansprüche aus seiner Geschäftsbeziehung zu der Kreissparkasse W gepfändet und sich zur Einziehung überwiesen hatte. Im Laufe des Rechtsstreits hat das FG durch Beschluß angeordnet, daß der Antragsteller binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe oder einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten zu bestellen habe (§ 62 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Gegen diese Anordnung des FG hat der Antragsteller innerhalb der Rechtsmittelfrist von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses persönlich Beschwerde beim FG eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat. Mit einem weiteren, beim FG am letzten Tag der Rechtsmittelfrist eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller beantragt, ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen, der bereit sei, für ihn gegen den angefochtenen Beschluß Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) einzulegen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts i. S. des § 78 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) für die beabsichtigte Beschwerde ist zwar statthaft, kann aber in der Sache keinen Erfolg haben.

1. Gemäß § 78 b Abs. 1 ZPO hat das Prozeßgericht einer Partei auf ihren Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, die Partei einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Diese Vorschrift ist seit Einführung des Vertretungszwangs vor dem BFH durch das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) gemäß § 155 FGO sinngemäß anzuwenden (BFH-Beschluß vom 18. November 1977 III S 6/77, BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57). Da sich der Antragsteller gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG vor dem BFH bei der Einlegung der Beschwerde durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen muß, kommen -- weitergehend als im zivilprozessualen Anwaltsprozeß -- außer Rechtsanwälten auch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer für die beantragte Beiordnung in Betracht.

Der BFH ist auch das zuständige Prozeßgericht nach § 78 b ZPO, da bei ihm das Verfahren anhängig gemacht werden soll, für das der Vertretungszwang besteht (BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57; s. auch BFH- Beschluß vom 19. April 1995 VI S 8/95, BFH/NV 1995, 913). Im Streitfall bleibt es insoweit ohne Auswirkung, daß der Antragsteller seinen Antrag auf Beiordnung eines "Notanwalts" beim FG eingereicht hat. Entscheidend ist nämlich, daß das FG diesen Antrag nicht als unzulässig abgewiesen (vgl. zu dieser Möglichkeit BFH-Beschluß vom 19. April 1995 VI B 19/95, BFH/NV 1995, 912), sondern ihn an den BFH als das zuständige Prozeßgericht weitergeleitet hat. Mit dem Eingang des Antrags beim BFH ist die Sache beim BFH anhängig geworden. Da der Antrag im Zusammenhang mit der funktionellen Zuständigkeit des BFH als Rechtsmittelgericht zur Entscheidung über die beabsichtigte Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluß des FG (§ 36 Nr. 2 FGO) zu sehen ist, es sich also um ein mit dieser Hauptsache zusammenhängendes Nebenverfahren handelt, reichte die form lose Abgabe der Sache durch das FG an den BFH aus (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 36 Rz. 1 und 3, § 70 Rz. 5 und Vor §§ 35--39 Rz. 2); einer ausdrücklichen Verweisung, die nur nach Anhörung der Beteiligten möglich gewesen wäre (§ 70 FGO i. V. m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes), bedurfte es nicht.

Der Antrag ist auch im übrigen zulässig, obwohl der Antragsteller bei der Antragstellung nicht von einem Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten wurde. Der Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG gilt nämlich nicht für Erklärungen, die -- wie der Antrag nach § 155 FGO i. V. m. § 78 b ZPO -- zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgegeben werden können (BFH-Beschlüsse vom 16. Januar 1984 GrS 5/82, BFHE 140, 408, 411, BStBl II 1984, 439, und vom 26. Juli 1994 I B 44/94, BFH/NV 1995, 424).

2. In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg.

Zur Begründetheit eines Antrags nach § 155 FGO i. V. m. § 78 b Abs. 1 ZPO gehört insbesondere, daß der Antragsteller darlegt und glaubhaft macht, daß er zumindest eine gewisse Anzahl von zur Vertretung vor dem BFH befugten Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht hat (Senatsbeschluß vom 1. Juni 1995 VII S 6/95, BFH/NV 1995, 1080, m. w. N.). Wieviele er ersucht haben muß, hatte der BFH bislang zwar nicht zu entscheiden. Sowohl die Wortwahl "gewisse Anzahl" als auch die bisherige Entscheidungspraxis des BFH (BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57: erfolglose Anfragen bei der Steuerberaterkammer und bei fünf namentlich benannten Rechtsanwälten; BFH-Beschluß vom 27. November 1989 IX S 15/89, BFH/NV 1990, 503: sieben vertretungsberechtigte Personen; BFH/NV 1995, 913: ein bisher für den Antragsteller tätiger Rechtsanwalt sowie weitere, namentlich benannte Rechtsanwälte) deuten aber darauf hin, daß zwei Absagen nicht als ausreichend angesehen werden können.

Über das nach § 155 FGO i. V. m. § 78 b Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche Tatbestandsmerkmal, daß ein Beteiligter einen zu seiner Vertretung bereiten vertretungsbefugten Prozeßbevollmächtigten nicht findet, ist allerdings nach den Umständen jedes Einzelfalls zu entscheiden, wobei die Anforderungen zur wirksamen Gewährleistung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht überspannt werden dürfen (vgl. Zöller/Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl. 1995, § 78 b Rn. 4). Ob danach im Einzelfall, wenn sich der Beteiligte ernsthaft und ohne Vorbedingungen um die Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten bemüht hat und wenn die zur Verfügung stehende Rechtsmittelfrist, innerhalb derer der Antrag beim BFH gestellt sein muß, sehr knapp bemessen ist (im Streitfall z. B. nur zwei Wochen), ausnahmsweise auch die Absagen von lediglich zwei zur Vertretung befugten Personen ausreichen, weil vom Antragsteller nur gefordert wird, daß er innerhalb der Beschwerdefrist alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um vor dem BFH vertretungsbefugte Prozeßbevollmächtigte zur Übernahme des Mandats zu bewegen und ggf. Hindernisse, die einer Übernahme des Mandats entgegenstehen, zu beseitigen (BFH-Beschluß vom 26. Juli 1995 XI S 14/95, BFH/NV 1996, 157; s. auch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 27. April 1995 III ZB 4/95, Neue Juristische Wochenschrift -- Rechtsprechungs-Report 1995, 1016), bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Die besonderen Umstände der Andienung des Mandats lassen erkennen, daß der Antragsteller sich nicht ernsthaft und nicht ohne Vorbedingungen um die Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten bemüht hat. In beiden vorgetragenen Fällen hat er den Kanzleien zur Auflage gemacht, ein von ihm selbst verfaßtes Beschwerdeschreiben entweder als solches oder als Anlage zu einer von dem jeweiligen Bevollmächtigten verfaßten Beschwerde zu verwenden. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des Vertretungszwangs, denn dem Vertretungszwang wird nicht allein dadurch Genüge getan, daß eine postulationsfähige Person einen von dem Beteiligten selbst verfaßten Schriftsatz lediglich unterschreibt und an das Gericht weiterleitet; sie muß vielmehr auch für den Inhalt die volle Verantwortung übernehmen (für die Revisionsbegründung s. BFH-Beschluß vom 14. Mai 1982 VI R 197/81, BFHE 136, 52, BStBl II 1982, 607; als allgemeinen Grundsatz vgl. Gräber/Koch/von Groll, a.a.O., § 62 Rz. 91). Hinzu kommt, daß der Antragsteller bei der Andienung des Mandats an die Steuerberatungsgesellschaft dieser Mitverschulden an der eingetretenen Situation vorgeworfen und angebliche Versäumnisse vorgehalten hat. Bei diesem Verhalten konnte der Antragsteller nicht erwarten, daß die beiden angeschriebenen Kanzleien das angetragene Mandat auch übernehmen würden.

3. Angesichts dieser Sachlage kann es dahinstehen, ob der Antrag des Antragstellers auch deshalb abzulehnen wäre, weil seine Rechtsverfolgung, d. h. die von einer vor dem BFH vertretungsbefugten Person nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist noch einzulegende Beschwerde gegen die Anordnung des FG, einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen, mutwillig oder in der Sache aussichtslos erscheint. Die vom Antragsteller bereits persönlich eingelegte Beschwerde wird im übrigen, sollte sie nicht zurückgenommen werden, wegen Nichteinhaltung des Vertretungszwanges gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG als unzulässig zu verwerfen sein.

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Bei dem Verfahren zur Beiordnung eines Notanwalts handelt es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren, für das Gerichtsgebühren nicht entstanden sind (BFH/NV 1996, 157).

 

Fundstellen

Haufe-Index 421340

BFH/NV 1996, 627

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge