Leitsatz (amtlich)

In Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides eines Mitunternehmers darf ein Sachverhalt, über dessen rechtliche Auswirkungen im Gewinnfeststellungsverfahren zu entscheiden ist, auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn der Mitunternehmer im Feststellungsverfahren die Anerkennung eines Verlustes erstrebt.

 

Normenkette

FGO § 69; AO § 242

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige ist Kaufmann und an zahlreichen Unternehmen beteiligt. Er ist u. a. Kommanditist der D-KG.

Bei den Veranlagungen des Steuerpflichtigen zur Einkommensteuer 1962 bis 1966 durch das Wohnsitz-Finanzamt wurden nach Durchführung einer Betriebsprüfung Beträge von insgesamt … DM festgesetzt. Die dagegen eingelegten Einsprüche waren erfolglos. Über die von dem Steuerpflichtigen erhobenen Klagen ist noch nicht entschieden.

Der Steuerpflichtige beantragte, nach § 69 Abs. 3 FGO die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1962 bis 1966 auszusetzen. Er führte zur Begründung an: Er habe nachträglich zur Bilanz der D-KG Ergänzungsbilanzen eingereicht, die Verluste auswiesen. Das für die D-KG zuständige FA habe allerdings die Vollziehung der vom Steuerpflichtigen angefochtenen Feststellungsbescheide hinsichtlich seiner Gewinnanteile wegen der Verluste aus den Ergänzungsbilanzen ausgesetzt, aber nur, soweit die positiven Gewinnanteile die Verluste deckten. Die nach den aufgestellten Ergänzungsbilanzen entstandenen, über seine Gewinnanteile hinausgehenden Verluste (Überhangverluste) habe das Betriebs-FA im Verfahren der Aussetzung der Feststellungsbescheide nicht berücksichtigen können. Diese Überhangverluste seien nunmehr im Verfahren der Aussetzung der Einkommensteuerbescheide zu berücksichtigen.

Das FG lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1962 bis 1966 ab und führte zur Begründung aus: Die Folgeaussetzung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO könne nur erfolgen, soweit der Grundlagenbescheid ausgesetzt sei. Wenn gegenüber dem Grundlagenbescheid nicht mehr als dessen Aussetzung erreicht werden könne, sich Verluste also nicht auswirkten, könne dies nicht dazu führen, daß die Überhangverluste im Aussetzungsverfahren gegen die Folgebescheide geltend gemacht werden könnten. Im Aussetzungsverfahren könne nicht über ein „Mehr” entschieden werden als im Rechtsbehelfsverfahren selbst. Im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide könne nicht über die im Gewinnfeststellungsverfahren geltend gemachten Verluste entschieden werden. Eine über eine etwaige Folgeaussetzung hinausgehende Aussetzung der Vollziehung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Folgebescheid nach § 232 Abs. 2 AO, § 42 Abs. 2 FGO insoweit nicht anfechtbar wäre. Die Anfechtung sei aber Voraussetzung für eine über eine Folgeaussetzung hinausgehende Aussetzung der Vollziehung.

Zur Begründung der Beschwerde wird vorgetragen: Die Rechtsauffassung des FG führe zu dem Ergebnis, daß dem Steuerpflichtigen vorläufiger Rechtsschutz über eine Aussetzung der Vollziehung zum Teil versagt werde. § 69 FGO wolle den vorläufigen Rechtsschutz in vollem Umfange gewährleisten. Nach Sinn und Zweck des § 69 FGO könne nur eine Auslegung richtig sein, die den vorläufigen Rechtsschutz ohne Einschränkung sichere. Die Auslegung des FG werde auch nicht durch den Hinweis auf das Institut der Stundung vertretbar, denn auf eine Aussetzung der Vollziehung habe der Steuerpflichtige einen Rechtsanspruch, während eine Stundung im Ermessen der Finanzverwaltung liege. Die Auslegung des § 69 FGO folge auch nicht zwingend aus dem Wortlaut der Vorschrift. Nach dem Wortlaut sei eine über die Aussetzung des Grundlagenbescheides hinausgehende Aussetzung des Folgebescheides nicht ausgeschlossen. Wenn ein einheitlicher Gewinnfeststellungsbescheid zwar negative Einkünfte feststellen, aber nur ausgesetzt werden könne, soweit er positive Gewinnanteile feststelle, so müsse dem bei der Aussetzung des Folgebescheides Rechnung getragen werden. Dem könne das FG nicht entgegenhalten, daß dann nicht die Aussetzung der Vollziehung, sondern die Vollziehung eines noch nicht erlassenen Feststellungsbescheides begehrt werde, denn jede Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides bedeute die Vollziehung eines erstrebten Steuerbescheides.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das FG hat mit Recht die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide wegen der Überhangverluste, deren Anerkennung der Steuerpflichtige im Gewinnfeststellungsverfahren erstrebt, abgelehnt.

Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes wird nach § 69 Abs. 1 FGO durch Erhebung der Klage (nach § 242 Abs. 1 AO durch Einlegung des Rechtsbehelfs) nicht gehemmt, insbesondere wird die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Damit ist festgelegt, daß die Einlegung des Rechtsmittels keinen Suspensiveffekt auslöst.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 und 2 FGO in Verbindung mit § 69 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO kann jedoch das Gericht (nach § 242 Abs. 2 AO die Behörde) die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Bei Vorliegen ernstlicher Zweifel kann somit im Wege der Aussetzung die Wirkung erzielt werden, die ein durch § 69 Abs. 1 FGO (§ 242 Abs. 1 AO) ausgeschlossener Suspensiveffekt haben würde. Damit wird deutlich, daß eine Aussetzung nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO bzw. nach § 242 Abs. 2 AO nie mehr erreichen kann als die Hemmung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch Einlegung des Rechtsmittels, nämlich ausnahmsweise die Anerkennung des Suspensiveffektes.

Die Verwaltungsakte, deren Aussetzung der Steuerpflichtige in dem vorliegenden Verfahren erstrebt, nämlich die Einkommensteuerbescheide, müssen also nicht nur angefochten sein. Das Rechtsmittel, seinen Erfolg unterstellt, muß auch den erstrebten Suspensiveffekt decken, d. h. es muß mit dem Rechtsmittel das erreicht werden können, was durch die Aussetzung vorweggenommen werden soll. Das ist hier aber nicht der Fall.

Nach § 42 Abs. 2 FGO und § 232 Abs. 2 AO können Entscheidungen in einem Feststellungsbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheides, nicht auch durch Anfechtung des Steuerbescheides, dessen Grundlage sie sind, nämlich des Folgebescheides, angegriffen werden. Die im Gewinnfeststellungsverfahren getroffenen Feststellungen sind für das Veranlagungsverfahren als Folgeverfahren bindend. Mit Recht sieht es demnach das FG als ausgeschlossen an, daß im Aussetzungsverfahren über ein „Mehr” entschieden wird als im Rechtsbehelfsverfahren selbst.

Der Einwand des Steuerpflichtigen, der vorläufige Rechtsschutz des § 69 FGO sei auf diese Weise nicht in vollem Umfang gewährleistet, ist nach Auffassung des Senats für das vorliegende Verfahren nicht berechtigt. Die Aussetzung eines Einkommensteuerbescheides kann nur soweit führen, wie auch das Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid selbst Erfolg haben könnte. Die Auswirkungen einer Aussetzung im Gewinnfeststellungsverfahren legen § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO und § 242 Abs. 2 Satz 3 AO fest, die den Besonderheiten des Gewinnfeststellungsverfahrens gegenüber dem Veranlagungsverfahren Rechnung tragen sollen, indem sie bei Aussetzung angefochtener Feststellungsbescheide auch die Aussetzung der Vollziehung „eines auf Grund dieser Bescheide etwa ergangenen Bescheides” anordnen. Damit sollen etwaige Benachteiligungen der Steuerpflichtigen, die sich aus der gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen beim Gewinnfeststellungsverfahren gemäß § 213 Abs. 2 AO gegenüber der mit Rechtsbehelfen nicht selbständig anfechtbaren Feststellung der Besteuerungsgrundlagen im normalen Veranlagungsverfahren nach § 213 Abs. 1 AO für das Aussetzungsverfahren ergeben könnten, ausgeschaltet werden, indem die Bindung des Folgeverfahrens an die Ergebnisse des Grundlagenverfahrens auch auf den Bereich der Aussetzung der Vollziehung erstreckt wird. Wenn der Steuerpflichtige, der die Anerkennung der Überhangverluste im Gewinnfeststellungsverfahren erstrebt und ihre Berücksichtigung bei der Aussetzung der Folgebescheide erreichen möchte, meint, im Aussetzungsverfahren über den Einkommensteuerbescheid müsse dem Rechnung getragen werden, so übersieht er die Bedeutung des § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO (§ 242 Abs. 2 Satz 3 AO). Nicht im Aussetzungsverfahren über den Einkommensteuerbescheid nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 FGO könnte eine von dem Steuerpflichtigen behauptete Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes liegen, sondern nur im Aussetzungsverfahren über den Feststellungsbescheid, da nur dort mit Bindung für das Folgeverfahren über die Höhe der Aussetzung des Feststellungsbescheides entschieden werden kann.

In dem vorliegenden Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides ist dem Senat verwehrt zu prüfen, ob im Aussetzungsverfahren über den Feststellungsbescheid der vorläufige Rechtsschutz nicht voll gewährleistet sei, inwieweit eine etwa vorhandene „Lücke im System des vorläufigen Rechtsschutzes” zu schließen sei, und ob nicht, wie das FA meint, auch die Überhangverluste in das Aussetzungsverfahren über den Feststellungsbescheid einzubeziehen seien. Ebensowenig ist in diesem Verfahren zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Stundung gegeben sind oder die Ablehnung eines Stundungsgesuches zu Recht erfolgt wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557434

BStBl II 1970, 461

BFHE 1970, 458

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