Leitsatz (amtlich)

1. Eine Aussetzung der Vollziehung ist auch dann geboten, wenn nach einem Urteil des erkennenden Senats die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts zweifelhaft ist und der Zweifel nach einem damit in Widerspruch stehenden Urteil des erkennenden Senats nicht besteht.

2. Zum Verhältnis von § 6 StAnpG (§ 42 AO 1977) zur unbeschränkten Steuerpflicht einer ausländischen Körperschaft.

 

Orientierungssatz

Widersprüchliche Entscheidungen des I. Senats zur Frage, ob Einkünfte einer im Inland ansässigen Person oder einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland zuzurechnen sind.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2 S. 2; StAnpG § 6; AO 1977 § 42; FGO § 69 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.05.1985; Aktenzeichen III 409-411/81)

 

Tatbestand

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach liechtensteinischem Recht. Sie schloß im Jahre 1967 mit Herrn S einen Kommissionsvertrag, in dem sie S mit dem Verkauf der von ihr gekauften Geräte beauftragte.

Aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts stellte sich der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) auf den Standpunkt, die Antragstellerin sei als Körperschaft unbeschränkt steuerpflichtig, da sie im Inland gewerbliche Einkünfte erziele und ein gewerbliches Betriebsvermögen habe. Die Antragstellerin unterhalte auf dem Gelände des S in C ein Warenlager, wo gebrauchte Geräte instand gesetzt würden und zu besichtigen seien.

Das von dem Fahndungsprüfer ermittelte inländische Einkommen für die Jahre 1968 bis 1979 legte das FA dem Körperschaftsteuerbescheid zugrunde, der am 21.Mai 1981 erging.

Am 22.Mai 1981 ergingen Einheitswertbescheide zum 1.Januar 1969 bis 1.Januar 1980 und Vermögensteuerbescheide für die Jahre 1969 bis 1980.

Entsprechend der Einkommensermittlung und der festgestellten Einheitswerte ermittelte das FA auch die Gewerbesteuermeßbeträge für die Jahre 1968 bis 1979.

Die Antragstellerin hat gegen die Bescheide --mit Ausnahme der Einheitswertbescheide-- Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide beantragt. Das FA hat die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt.

Mit ihren beim Finanzgericht (FG) gestellten Anträgen verfolgte die Antragstellerin ihr Begehren nach Aussetzung der Vollziehung weiter.

Das FG sah den Antrag in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 576 veröffentlichten Beschluß als zulässig und begründet an. An der Rechtmäßigkeit der strittigen Steuerbescheide bestünden ernstliche Zweifel, weil rechtlich unentschieden sei, inwieweit die inländische Geschäftstätigkeit steuerlich der Antragstellerin zugerechnet werden könne, obwohl ausreichende Anhaltspunkte für eine Steuerumgehung bestünden. Tatsächlich nicht zweifelhaft erscheine dagegen, daß sich die Geschäftsleitung der Antragstellerin im Inland befunden habe, daß sie hier eine in den streitigen Steuerarten steuerpflichtige gewerbliche Tätigkeit entfaltet habe und daß diesbezügliche Hinterziehungshandlungen vorgelegen hätten. Lediglich die Vermögensteuerbescheide 1969 und 1970 erschienen in jedem Falle rechtswidrig, weil die Vermögensteuer für diese Jahre bei Ergehen der Bescheide am 22.Mai 1981 bereits verjährt gewesen sei.

In dem Urteil vom 1.Dezember 1982 I R 43/79 (BFHE 140, 129, BStBl II 1985, 2) habe der I.Senat ausgeführt, § 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG)/§ 42 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 15 Abs.1 StAnpG/§ 10 AO 1977 seien voneinander unabhängige und nebeneinander bestehende Regelungen. Führe die unbeschränkte Steuerpflicht zu einer höheren Steuerbelastung als dies bei einer angemessenen Gestaltung der Fall wäre, sei für eine Anwendung des § 6 StAnpG/§ 42 AO 1977 kein Raum.

In einem inzwischen ergangenen unveröffentlichten Urteil (vom 11.April 1984 I R 82-84/80) habe der I.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in einem wesentlich gleich gelagerten Fall jedoch entschieden, eine im Inland festgestellte Geschäftstätigkeit einer ausländischen Körperschaft könne nur dann für die Bestimmung der Geschäftsleitung nach § 15 Abs.1 StAnpG/§ 10 AO 1977 herangezogen werden, wenn sie steuerlich gesehen der ausländischen Körperschaft zuzurechnen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn tatsächlich festgestellt werde, die im Inland ausgeübten Tätigkeiten und die daraus erzielten Einkünfte seien wegen Rechtsmißbrauch nach § 6 StAnpG/§ 42 AO 1977 einem anderen, im Inland ansässigen Steuerpflichtigen zuzurechnen.

Da hier ausreichende Anhaltspunkte für einen Rechtsmißbrauch (Einschaltung der Antragstellerin) vorlägen, sei bei Anwendung der Grundsätze des Urteils vom 11.April 1984 I R 82-84/80 die Rechtmäßigkeit der streitigen Bescheide insgesamt ernstlich zweifelhaft.

Außer der wegen der widersprüchlichen Rechtsprechung des BFH bestehenden rechtlichen Unsicherheit bestünden an der unbeschränkten Steuerpflicht der Antragstellerin keine ernstlichen Zweifel, weil bei summarischer Prüfung des bisherigen Ermittlungsstandes ihre Geschäftsleitung im Inland von C aus ausgeübt worden sei.

Bei summarischer Prüfung ergäben sich aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis Anhaltspunkte für einen Rechtsmißbrauch bei der Einschaltung der Antragstellerin durch S. Sofern ein Rechtsmißbrauch die ohne tatsächliche Zweifel bestehende subjektive Steuerpflicht der Antragstellerin bei der Zurechnung der inländischen Geschäftsleitung rechtlich beeinträchtigen würde, reichten die bisher ermittelten Anhaltspunkte zur Bejahung ernstlicher Zweifel jedoch aus, da die Wahrscheinlichkeit des Nachweises des Mißbrauchs diejenige seiner Widerlegung nicht zu überwiegen brauche. In diesem Sinne ausreichende Anhaltspunkte lägen dafür vor, daß die Antragstellerin lediglich als Rechtsträger für den im Inland ansässigen Steuerpflichtigen S fungierte, der vom Inland aus seiner schon vor Errichtung der Antragstellerin ausgeübten steuerpflichtigen Tätigkeit unverändert nachgehe, daß die Antragstellerin keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalte und daß außer der Absicht, steuerliche Vorteile zu erzielen, für die Einschaltung der Antragstellerin wirtschaftlich beachtliche Gründe fehlten.

Die Geschäfte, für die S für die Antragstellerin im Inland leitend tätig geworden sei, entsprächen völlig den von S selbst im eigenen Gewerbebetrieb abgewickelten Geschäften. Ein wirtschaftlicher oder anderer vernünftiger Grund für die Einschaltung der Antragstellerin in die eigenen Geschäfte von S sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr habe S bei seinen Kreditverhandlungen mit der Sparkasse B zu erkennen gegeben, daß es allein von seiner eigenen Entscheidung abhänge, ob er Geschäfte unmittelbar auf eigene Rechnung abschließe oder über die Antragstellerin leite. Er habe dabei ausdrücklich betont, daß diese seine Entscheidung ausschließlich von steuerlichen Überlegungen bestimmt gewesen sei und daß er sich von einer Einschaltung der Antragstellerin im Einzelfall steuerliche Vorteile verspreche.

Das FA beantragt, den Beschluß, soweit er sich nicht auf die Vermögensteuerbescheide für 1969 und 1970 bezieht, aufzuheben und die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung insoweit zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des FA zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Der Beschluß des FG erging insoweit zurecht, als ihn das FA angreift. Das FG hat zutreffend die Voraussetzungen des § 69 Abs.2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bejaht, die gemäß § 69 Abs.3 Satz 1 FGO anzuwenden sind. An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide bestehen ernstliche Zweifel. Nach dem Urteil vom 11.April 1984 I R 82-84/80 ist es zweifelhaft, ob die strittigen Einkünfte der Antragstellerin zugerechnet werden können. Liegen die Voraussetzungen vor, nach denen aufgrund des § 6 StAnpG/§ 42 AO 1977 Einkünfte nicht einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland, sondern einer im Inland ansässigen Person zugerechnet werden können, muß dem nach der zitierten Entscheidung auch für die Besteuerung der Kapitalgesellschaft gefolgt werden. Im Rahmen des § 69 FGO ist zugunsten der Antragstellerin davon auszugehen, daß die Voraussetzungen vorliegen, unter denen die strittigen Einkünfte gemäß § 6 StAnpG/§ 42 AO 1977 einem anderen, nämlich S zugerechnet werden können. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt ist es wahrscheinlich, daß für die Einschaltung der Antragstellerin wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht vorlagen und die Antragstellerin keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltete (vgl. BFH-Urteil vom 9.Dezember 1980 VIII R 11/77, BFHE 132, 198, BStBl II 1981, 339). Das FA hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 StAnpG/§ 42 AO 1977 nicht bestritten.

Das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 140, 129, BStBl II 1985, 2 könnte allerdings gegen die Rechtsauffassung der Antragstellerin sprechen. Danach kommt § 6 StAnpG/§ 42 AO 1977 und damit eine Zurechnung der strittigen Einkünfte bei S nur unter einer weiteren Voraussetzung in Betracht. Für eine Zurechnung bei S wäre danach erforderlich, daß die Steuerschuld, die sich ergibt, wenn die strittigen Einkünfte der Antragstellerin zugerechnet werden und sie als unbeschränkt steuerpflichtig angesehen wird, niedriger ist als die Steuerschuld, die entsteht, wenn S die strittigen Einkünfte erzielt. Der Antragstellerin kann dieses Urteil nicht im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 69 FGO entgegengehalten werden. Es widerspricht dem Urteil des erkennenden Senats vom 11.April 1984 I R 82-84/80, das die Grundlage für die Aussetzung der Vollziehung bildet. Ist aufgrund eines Urteils eines Senats die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts zweifelhaft, ist die Aussetzung der Vollziehung auch dann geboten, wenn der Zweifel nach einem damit in Widerspruch stehenden Urteil nicht besteht. Dies entspricht der Rechtsprechung des BFH, nach der die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides auch dann ernstlich zweifelhaft ist, wenn die maßgebende Rechtsfrage von zwei obersten Bundesgerichten unterschiedlich entschieden worden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 22.November 1968 VI B 87/68, BFHE 94, 206, BStBl II 1969, 145).

 

Fundstellen

Haufe-Index 61231

BStBl II 1986, 490

BFHE 146, 105

BFHE 1986, 105

BB 1986, 1076-1076 (ST)

DB 1986, 2008-2008 (ST)

HFR, 501-502 (ST)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge