Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Vereinbarkeit der Frist für einen Antrag auf Vorsteuervergütung mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht

 

Leitsatz (NV)

1. Die Vorschriften des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993, § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG entsprechen den zwingenden Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG.

2. Durch den BFH ist nicht zu prüfen, ob die Antragsfrist des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 bzw. § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

3. Die Antragsfrist von sechs Monaten verstößt weder gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 12 EG noch gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; UStG § 18 Abs. 9 S. 3; UStDV 1993 § 69 Abs. 1 S. 2; EG Art. 12; EWGRL 1072/79 Art. 7 Abs. 1 S. 4

 

Verfahrensgang

FG Köln (Urteil vom 14.10.2004; Aktenzeichen 2 K 2790/01)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist in Großbritannien ansässig und veranstaltet Seminare.

Im Mai 1995 beantragte sie die Genehmigung eines Formulars für den Antrag auf Vergütung der Umsatzsteuer für nicht im Inland ansässige Unternehmen, das von dem amtlichen Formular abwich. Nach weiterem Schriftverkehr wurde der Klägerin am 27. Juli 1995 ein abweichendes Formular genehmigt.

Unter Verwendung dieser Vordrucke beantragte die Klägerin am 1. August 1995 die Vergütung der Umsatzsteuer für sämtliche Quartale des Jahres 1994.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Bundesamt für Finanzen --BfF--) lehnte die Vergütung wegen Versäumung der Sechsmonatsfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV 1993) ab (Vergütungsbescheide vom 8. September 1995). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährte das BfF nicht.

Die Einsprüche und die nachfolgende Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Beschwerde, die sie auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt eine klärungsbedürftige und im Revisionsverfahren klärbare Rechtsfrage voraus. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sich ihre Beantwortung ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt oder die Frage bereits durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den Bundesfinanzhof (BFH) erforderlich machen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 2. April 1997 V B 26/96, BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443).

2. Die von der Klägerin in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig; jedenfalls hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt.

a) Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die Antragsfrist des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 bzw. des an seine Stelle getretenen § 18 Abs. 9 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) den zwingenden Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 331/11, im Folgenden: Achte Richtlinie 79/1072/EWG) entspricht (vgl. zuletzt BFH-Beschluss vom 8. April 2005 V B 123/03, BFH/NV 2005, 1206).

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist durch den BFH nicht zu prüfen, ob die Antragsfrist des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 bzw. § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist nämlich eine nationale Maßnahme in einem Bereich, der auf Gemeinschaftsebene harmonisiert wurde, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht der des Primärrechts zu beurteilen (EuGH-Urteile vom 12. Oktober 1993 Rs. C-37/92 --Vanacker und Lesage--, Slg. 1993, I-4947, RandNr. 9; vom 13. Dezember 2001 Rs. C-324/99 --Daimler Chrysler AG--, Slg. 2001, I-9897, RandNr. 32; BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 12/02).

c) Im Übrigen verstößt die Antragsfrist von sechs Monaten weder gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG, früher Art. 6 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) noch gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1206).

d) Nach Art. 17 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) erfolgen die dort genannten Mehrwertsteuererstattungen an nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige entsprechend den in der Achten Richtlinie 79/1072/EWG festgelegten Bestimmungen. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Verfahrensbestimmungen der Achten Richtlinie 79/1072/EWG mit Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG grundsätzlich vereinbar sind. Dies gilt auch für die Antragsfrist des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG. Die Belastungsneutralität der Umsatzsteuer wird dadurch nicht angetastet.

e) Nach Art. 234 EG hat ein einzelstattliches Gericht von Amts wegen und in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob eine Vorabentscheidung des EuGH zur Beantwortung entscheidungserheblicher Fragen erforderlich ist (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 11. Oktober 2001 Rs. C-267/99 --Adam--, EuGHE 2001, I-7467 Rz. 23). Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG nach seinem eindeutigen Inhalt ("spätestens") eine Fristverlängerung ausschließt (z.B. Urteile vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214; vom 23. Oktober 2003 V R 49/01, BFH/NV 2004, 673). Selbst wenn einige Mitgliedstaaten der EG die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG nicht in ihr innergemeinschaftliches Recht umgesetzt haben oder eine Verlängerung der Halbjahresfrist für möglich halten, folgt daraus nicht, dass die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG die Mitgliedstaaten nicht bindet oder vom Senat unzutreffend interpretiert worden ist und es deshalb einer erneuten Entscheidung des BFH bedarf.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1422739

BFH/NV 2005, 2064

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