Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung des Haftungsschuldners von Säumniszuschlägen; Divergenz

 

Leitsatz (NV)

Zur Frage der Divergenz, wenn das FG wegen endgültiger und nicht mehr behebbarer Überschuldung des Steuerschuldners zum Zeitpunkt der Umsatzsteuerfestsetzung den Haftungsschuldner in vollem Umfang von der Verpflichtung zur Zahlung der Säumniszuschläge freigestellt und nicht nur das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Teilerlaß angenommen hat.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 240, 227; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) hat den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als ehemaligen Gesellschafter einer OHG wegen rückständiger Umsatzsteuer und Säumniszuschläge der OHG als Haftungsschuldner in Anspruch genommen (§ 191 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- i. V. m. § 128 des Handelsgesetzbuches -- HGB --). Die Klage des Klägers führte zur Bestätigung der Haftung für die Umsatzsteuer und zur Herabsetzung der Haftungsschuld in Höhe der festgesetzten Säumniszuschläge. Das Finanzgericht (FG) führt aus, die OHG sei schon zum Zeitpunkt der Festsetzung der Steuerschulden nach Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung überschuldet gewesen. Es habe daher schon zu diesem Zeitpunkt und auch für die Folgezeit ein Anspruch darauf bestanden, daß Säumniszuschläge nicht erhoben würden. Damit hätte eine Erfassung der Säumniszuschläge im Haftungsbescheid ebenfalls zu unterbleiben gehabt.

Mit der auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, das FG sei bei seiner Entscheidung von dem abstrakten Rechtssatz ausgegangen, daß dann, wenn der Steuerpflichtige zur rechtzeitigen Zahlung nicht in der Lage sei, ein Anspruch auf Erlaß der gesamten Säumniszuschläge bestehe. Mit dieser Ansicht weiche das FG von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, wonach dem Steuerpflichtigen bei Zahlungsunfähigkeit im Hinblick auf den zusätzlichen Zweck der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung nur ein Teilerlaß auszusprechen sei. Der Steuerpflichtige solle in der Höhe mit Säumniszuschlägen belastet bleiben, in der Stundungs- oder Aussetzungszinsen angefallen wären. Das FA verweist hierfür auf die BFH-Entscheidungen vom 23. Mai 1985 V R 124/79 (BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489) und vom 20. Dezember 1988 X B 107/87 (BFH/NV 1989, 761).

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom FA gerügte Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) liegt nicht vor.

Die Vorentscheidung entspricht dem Urteil des Senats vom 26. Juli 1988 VII R 83/87 (BFHE 153, 512, 518, 519, BStBl II 1988, 859), mit dem die Heranziehung des Haftungsschuldners für Säumniszuschläge, die ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners (dort Konkurseröffnung) entstanden sind, für unzulässig erklärt worden ist. Die Senatsentscheidung knüpft an an die ständige Rechtsprechung des BFH, wonach Säumniszuschläge, die kraft Gesetzes verwirkt sind (§ 240 Abs. 1 AO 1977), dem Schuldner wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind, wenn ihm die rechtzeitige Zahlung der Steuerschulden wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war und deshalb die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung ihren Sinn verloren hatte (Urteile 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727, und vom 8. März 1984 I R 44/80, BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415).

Das BFH-Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489, auf das das FA seine Divergenzrüge stützt, erweitert die Möglichkeiten des Erlasses von Säumniszuschlägen über den in den vorstehend zitierten Urteilen angeführten Fall der Zahlungseinstellung wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung hinaus auf andere ungünstige wirtschaftliche Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die bei Fälligkeit der Steuerschulden eine Erlaß- oder Stundungssituation sowie die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung (§ 258 AO 1977) begründet haben. Nur in solchen (d. h. letztgenannten) Fällen liegt es nach dem Urteil in BFHE 143, 512, 517 "unter Berücksichtigung des zusätzlichen Zwecks der Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit nahe, nur einen Teilerlaß der Säumniszuschläge als sachlich ermessensgerecht anzusehen", bei dem die Höhe der Stundungs- oder Aussetzungszinsen berücksichtigt werden soll (ebenso: Schwarz, Abgabenordnung, § 240 Anm. 20a). Gleichwohl ist aber auch nach dem Urteil in BFHE 143, 512, 517 ein darüber hinausgehender Erlaß nicht ausgeschlossen, sofern die wirtschaftliche Situation die Voraussetzungen einer zinslosen Stundung erfüllt hätte.

Das FG ist im Streitfall von einer endgültigen und nicht mehr behebbaren Überschuldung der OHG zum Zeitpunkt der Festsetzung der Umsatzsteuerschulden ausgegangen und nicht nur von Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen, wie sie im Urteil in BFHE 143, 512, 516 angesprochen worden sind und die nach den dortigen Ausführungen "das wirtschaftliche Fortbestehen des Steuerpflichtigen ermöglichen, also den Eintritt der Konkurslage verhindern sollen". Denn nach den Feststellungen im FG-Urteil waren wegen Überschuldung der OHG zwei ihrer Filialen in 1984 und die letztere in 1985 geschlossen worden. Seit Anfang Februar 1985 wurde keine Geschäftstätigkeit mehr ausgeübt und am 31. Oktober 1985 die OHG im Handelsregister gelöscht. Auch die Umsatzsteuersonderprüfung, die erst zur Festsetzung der haftungsbefangenen Umsatzsteuer geführt hat (Prüfungsbericht vom 28. Januar 1985), hatte bereits festgestellt, daß die OHG überschuldet war.

Es liegt somit wegen eines anderweitigen Sachverhalts keine Abweichung der Vorentscheidung von dem BFH-Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 vor, wenn das FG für den Streitfall nicht nur eine teilweise, sondern eine völlige Freistellung des Haftungsschuldners von den angefallenen Säumniszuschlägen für ermessensgerecht angesehen hat. Da nach der wirtschaftlichen Lage der OHG Billigkeitsmaßnahmen, die deren Fortbestand hätten bewirken können, nicht mehr in Betracht kamen, brauchte eine Ersparnis von Stundungs- oder Aussetzungszinsen nicht in Erwägung gezogen zu werden.

In dem ebenfalls zur Begründung der Divergenz herangezogenen Beschluß in BFH/NV 1989, 761 ist unter Hinweis auf das Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 zwar ausgeführt worden, als ermessensgerecht habe der BFH (wohl auch in den Fällen der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit) "nur einen Teilerlaß der Säumniszuschläge angesehen und insoweit die Höhe der Aussetzungs- bzw. Stundungszinsen herangezogen". Wie oben ausgeführt, kann aus dem zitierten BFH-Urteil eine generelle Beschränkung des Erlasses der Säumniszuschläge auf einen Teilbetrag auch in den Fällen der Überschuldung nicht hergeleitet werden. Der Beschluß in BFH/NV 1989, 761 kann jedenfalls für das im Streitfall ergangene FG-Urteil eine Divergenz nicht begründen, weil er im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde beschränkt auf die Frage, ob Aussetzungszinsen und Säumniszuschläge bei einem Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen gleichzubehandeln sind, ergangen ist. Da im Streitfall eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht kam, sind hier die Ausführungen des BFH hinsichtlich einer etwaigen Besserstellung des Säumigen gegenüber demjenigen, dem Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides gewährt wurde, nicht entscheidungserheblich.

Da somit das FG-Urteil von den genannten BFH-Entscheidungen nicht abweicht und sonstige Zulassungsgründe nicht geltend gemacht worden sind, war die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421213

BFH/NV 1996, 526

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