Entscheidungsstichwort (Thema)

Referenzfettgehaltsfestsetzung für Milch; Nichtzulassungsbeschwerde, grundsätzliche Bedeutung, Divergenz, Verfahrensfehler

 

Leitsatz (NV)

1. Eine auf das Vorliegen einer Divergenz und eines Verfahrensfehlers gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist nur ausreichend begründet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), wenn auch dargelegt worden ist, daß die Entscheidung auf dem angeblich abweichenden Rechtssatz und dem Verfahrensfehler beruht.

2. Allein der Umstand, daß die Entscheidung einer Rechtsfrage Auswirkungen auf eine Vielzahl von Fällen hat, kann ebenso wie der Umstand, daß sie noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, deren grundsätzliche Bedeutung nicht begründen.

3. Zur grundsätzlichen Bedeutung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit einer Interessenabwägung im Rahmen von § 10 Abs. 1 MOG i. V. m. § 48 Abs. 2 VwVfG.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, Abs. 3 S. 3; MOG § 10 Abs. 1; VwVfG § 48 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) pachtete Januar 1991 eine ... ha große Teilfläche eines zur Milchproduktion genutzten Grundstücks. Nach dem Pachtvertrag ging eine Anlieferungsreferenzmenge (ARM) von ... kg auf den Kläger über. Die Landwirtschaftskammer (LWK) erteilte März 1991 eine entsprechende Bescheinigung. Die übergegangene ARM hatte einen Referenzfettgehalt (RFG) von ... %. Zum Februar pachtete der Kläger den gesamten Betrieb seines Vaters. Insoweit bescheinigte die LWK dem Kläger März 1991 den Übergang einer ARM von ... kg. Zu dieser ARM gehörte ein RFG von ... %. Der Käufer des Klägers berechnete ihm mit Schreiben vom Mai 1991 zum Februar 1991 eine Gesamt- ARM mit einem RFG von ... %.

Aufgrund der zum 1. April 1991 geänderten Dienstanweisung des Bundesministeriums der Finanzen (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung -- VSF -- Nachrichten VSF-N 1791 Nr. 177) betreffend den "Referenzfettgehalt im Falle des Übergangs von Referenzmengen" berechnete der Käufer mit Schreiben vom Februar 1992 die ARM neu, wobei er den RFG der Gesamt-ARM nach einem gewogenen Mittel nunmehr auf ... % festsetzte. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --) bestätigte die Berechnung der RFG mit Bescheid vom April 1992. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Aus "Vertrauensschutzgründen" erhob das HZA jedoch die für das Milchwirtschaftsjahr 1991/92 aufgrund der Neuberechnung des RFG zu zahlende Abgabe für die überlieferte Milchmenge nicht.

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision nicht zu. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er darauf stützt, daß das angefochtene Urteil gegen das Senatsurteil ... verstoße, die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe und ein Verfahrensmangel vorliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die von ihm behauptete Divergenz der Vorentscheidung zu dem o. a. Senatsurteil (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Der Kläger sieht die Divergenz in Zweifeln der Vorinstanz daran, daß die Berechnungen des Käufers über die ARM und den RFG einen Verwaltungsakt darstellten und damit auch hinsichtlich dieser Berechnungen ein Vertrauensschutz bestehen könne.

Dies stehe im Widerspruch zu dem Senatsurteil ... , in dem festgestellt werde, daß die Referenzmengenfestsetzung der Molkereien Verwaltungsakte seien. Der Kläger hat es aber unterlassen darzulegen, daß die Entscheidung auf dem angeblich abweichenden Rechtssatz beruht. Diese Darlegung ist nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO zur ausreichenden Begründung der Divergenzrüge erforderlich (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Juni 1974 VI B 15/74, BFHE 112, 342, BStBl II 1974, 583, und vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479; dazu auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 64 m. w. N.).

Tatsächlich hat das FG aber auch nicht den vom Kläger behaupteten abweichenden Rechtssatz aufgestellt, geschweige denn ihn seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Es hat vielmehr insoweit zwar Zweifel geäußert, letztlich aber in Übereinstimmung mit der angeführten BFH-Entscheidung zugunsten des Klägers angenommen, daß sich die Gewährung von Vertrauensschutz auch im vorliegenden Fall nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) i. V. m. § 48 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) richtet.

2. Soweit der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der von ihm für erheblich gehaltenen Rechtsfrage stützt und dies damit begründet, daß eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle anhängig sei, die Rechtsfragen höchstrichterlich noch nicht entschieden seien und eine höchstrichterliche Entscheidung der Fortentwicklung des Rechts auf dem Gebiet des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit § 10 MOG bringen würde, muß sie ebenfalls erfolglos bleiben.

Der Senat hat u. a. bereits in seinem Beschluß vom 2. Februar 1993 VII B 204/92 (BFH/NV 1993, 507) ausgeführt, daß die Auswirkung einer Entscheidung der Rechtsfrage auf eine Vielzahl von Fällen allein noch nicht deren grundsätzliche Bedeutung begründen kann. Auch der Umstand, daß eine Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, kann deren grundsätzliche Bedeutung allein nicht begründen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 62).

Zu den gestellten und für von grundsätzlicher Bedeutung gehaltenen Rechtsfragen ist im einzelnen zu bemerken:

a) Die Rechtsfrage, ob sich bei einer Abwägung im Rahmen des § 48 Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 10 MOG schon allein deshalb ein Überwiegen des Gemeinschaftsinteresses gegenüber den Interessen des Klägers ergibt, weil der Rücknahmebescheid nur Auswirkungen für die Zukunft hat, ist in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil die Vorentscheidung nicht auf einer Entscheidung dieser Rechtsfrage beruht. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage gestützt ist, ist sie unbegründet.

Das FG hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, daß das Gemeinschaftsinteresse bei einer in die Zukunft gerichteten Rücknahme der RFG-Berechnung immer das Interesse des einzelnen an der Aufrechterhaltung der Berechnung überwiegt. Es hat vielmehr eine am Einzelfall ausgerichtete eingehende Abwägung des Gemeinschaftsinteresses mit dem des Klägers vorgenommen und ist in diesem Einzelfall zu dem Ergebnis gekommen, daß das Gemeinschaftsinteresse überwiegt. Somit stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage nach dem generellen Vorrang des Gemeinschaftsinteresses tatsächlich nicht.

b) Die Rechtsfrage, ob der Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 VwVfG i. V. m. § 10 MOG nicht erst dann entfällt, wenn der Kläger positiv wußte oder zumindest hätte wissen müssen, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, ist nicht klärungsbedürftig. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage gestützt ist, ist sie unzulässig.

Die Beantwortung der Rechtsfrage ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut und der Systematik des § 48 Abs. 2 VwVfG. Danach regelt Satz 3 nur Sonderfälle, in denen ein Vertrauensschutz nicht vorgesehen und damit für eine Interessenabwägung i. S. des Satzes 1 grundsätzlich kein Raum mehr ist, besagt aber nicht, daß ein Vertrauensschutz des einzelnen nur bei Vorliegen der in Satz 3 genannten Fälle ausgeschlossen ist.

c) Die vom Kläger gestellte "Rechtsfrage", ob er wissen mußte, daß die Berechnung des RFG durch den Käufer vom 1. Mai 1991 rechtswidrig war, obwohl durch einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen bis dahin die Regelung gedeckt war (tatsächlich wurde die Dienstanweisung bereits mit Wirkung zum 1. April 1991 geändert), und ob er ein Schreiben des Bundesamtes für Ernährung und Forstwirtschaft vom 2. April 1991 an alle Molkereien kennen mußte, mit dem eine Änderung der Verwaltungspraxis angekündigt wurde, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ihre Beantwortung hängt allein von der Feststellung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls ab und ist deswegen Tat-, nicht aber Rechtsfrage.

d) Auch die Rechtsfrage, ob Investitionen des Klägers von ... DM ein Grund sind, ihm Vertrauensschutz für die Zukunft zu gewähren, hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Der Kläger hat ihre Bedeutung über den Einzelfall hinaus auch nicht dargelegt.

Soweit der Kläger ferner die Rechtsfrage stellt, ob nicht das zugleich auf einen begünstigenden Verwaltungsakt und auf eine langjährige entsprechende Verwaltungspraxis gestützte Vertrauen, das Anlaß zu erheblichen Investitionen gegeben hat, schützenswert ist, liegt ebenfalls keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Der Senat hat bereits in einer anderen Entscheidung dazu ausgeführt, daß eine rechtswidrige langjährige Verwaltungspraxis die Verwaltung nicht binden kann, weil die Verwaltung nicht befugt ist, bei der Festlegung des RFG ihr Ermessen auszuüben (Senatsbeschluß in BFH/NV 1993, 507). Insoweit besteht daher kein Klärungsbedarf mehr. Im übrigen wird auf die vorstehenden Ausführungen zu 2 a) bis 2 d) Bezug genommen.

3. Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel darin sieht, daß das FG eine fachöffentliche Diskussion über die Rechtswidrigkeit der Verwaltungspraxis vor Änderung der Dienstanweisung unterstellt und nicht aufgeklärt habe, ob diese tatsächlich stattgefunden und der Kläger sie gekannt habe, ist die darauf gestützte Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht zulässig, weil der Kläger nicht dargelegt hat, daß die Vorentscheidung darauf beruht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 65, § 120 Rz. 38).

Tatsächlich beruht die Vorentscheidung auch nicht darauf, weil das FG es ausdrücklich offengelassen hat, ob dem Kläger der Vorwurf gemacht werden muß, daß er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Auch an anderer Stelle des Urteils hat es nur Zweifel in tatsächlicher Hinsicht daran geäußert, daß sich beim Kläger noch Vertrauen auf die rechtswidrige Verwaltungspraxis habe bilden können. Es hat diese Zweifel aber deswegen nicht weiter verfolgt, weil es einen Schutz des Vertrauens auf das Fortbestehen einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis grundsätzlich nicht für gegeben ansah.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419937

BFH/NV 1995, 79

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