Leitsatz (amtlich)

Hat der Steuerpflichtige die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsakts durch das Finanzgericht beantragt, so kann er den dadurch geltend gemachten prozessualen Anspruch nur in der Weise aufgeben, daß er den Antrag zurücknimmt.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 3, § 155; ZPO § 306

 

Tatbestand

Auf Antrag der Steuerpflichtigen setzte das FG durch Beschluß vom 12. Januar 1967 die Vollziehung von neun Umsatzausgleichsteuerbescheiden des Zollamts (ZA) über insgesamt ... DM insoweit aus, als eine Umsatzausgleichsteuer nach einem Satz von über 1 v. H. erhoben wurde. Im gleichen Umfang ordnete das Gericht die Aufhebung der Vollziehung der bereits vollzogenen Steuerbescheide an.

Nachdem der Antragsgegner hiergegen Beschwerde erhoben hatte, änderte das FG seine Anordnung durch Beschluß vom 5. Mai 1967 dahin ab, daß es die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung in voller Höhe des Steuerbetrages abhängig machte.

Mit Schreiben vom 7. Juli 1967 teilte die Antragstellerin dem Hauptzollamt (HZA) mit, sie verzichte auf die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwands. Sie gab davon mit Schriftsatz vom 27. September 1967 dem BFH Kenntnis und erklärte zugleich den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Der Antragsgegner beantragt nunmehr, das Verfahren einzustellen und die Unwirksamkeit des angefochtenen Beschlusses des FG vom 12. Januar 1967 auszusprechen.

Er ist der Ansicht, daß die Hauptsache nicht erledigt sei. In dem Verzicht auf die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung von Steuerbescheiden und der Erklärung der Erledigung der Hauptsache sei eine Rücknahme des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung zu sehen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Das Verfahren ist einzustellen.

Die von der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 27. September 1967 abgegebene Erklärung ist als Rücknahme ihres Antrages auf Aussetzung der Vollziehung auszulegen. Denn wenn sie den Rechtsstreit in der Hauptsache mit der Begründung für erledigt erklärt, daß sie gegenüber dem Antragsgegner auf die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung verzichtet habe, so bringt die Antragstellerin damit zum Ausdruck, daß sie eine Sachentscheidung über ihren Aussetzungsantrag nicht mehr begehrt. Dieses Ziel kann sie aber bei der gegebenen Sachlage nur durch eine Rücknahme ihres Aussetzungsantrages erreichen.

Der Wortlaut der abgegebenen Erklärung legt es allerdings zunächst nahe, darin einen Verzicht auf einen ihr zustehenden materiellen oder prozessualen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Umsatzausgleichsteuerbescheide zu sehen. einer solchen Auslegung steht jedoch entgegen, daß das Gesetz keine Möglichkeit bietet, auf diesem Wege die von der Antragstellerin erstrebte Beendigung des Aussetzungsverfahrens herbeizuführen.

Zwar sieht das Zivilprozeßrecht den Verzicht auf den Klageanspruch als besondere Art von Prozeßhandlung vor, und ein solcher Verzicht führt dort zu einer raschen, das Gericht einer sachlichen Prüfung des Klagebegehrens enthebenden Beendigung des Verfahrens, nämlich durch Verzichtsurteil. Es ist indessen schon fraglich, ob diese, in § 306 ZPO getroffene Regelung auch im finanzgerichtlichen Verfahren gilt. Im Streitfall kann dies jedoch dahinstehen. Denn der Verzicht auf einen Anspruch könnte allenfalls im finanzgerichtlichen Klageverfahren, nicht aber im Aussetzungsverfahren zu einer dem § 306 ZPO entsprechenden gerichtlichen Entscheidung führen.

Auch im Zivilprozeß kann sich nämlich ein Verzicht im Sinne der genannten Norm nur auf einen materiell-rechtlichen, also außerhalb des Prozeßrechtsverhältnisses begründeten Anspruch, nicht dagegen auf rein prozessuale Ansprüche beziehen (Wieczorek, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anm. A I zu § 306). Das ergibt sich aus dem Wesen des Verzichtsurteils, das als Sachurteil eine mit materieller Rechtskraft ausgestattete Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch enthält.

Bei dem Begehren der Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts durch das Gericht handelt es sich aber um einen ausschließlich im Prozeßrechtsverhältnis begründeten Anspruch. Die hier vom Antragsteller erstrebte gerichtliche Entscheidung stellt eine im Rahmen des Rechtsstreits über einen steuerrechtlichen Verwaltungsakt getroffene einstweilige Regelung dar, die durch die Anfechtung des Verwaltungsakts bedingt und auf die Dauer des darüber geführten Rechtsstreits beschränkt ist. Sie kann gemäß § 69 Abs. 3 letzter Satz FGO jederzeit geändert werden und ist deshalb weder der formellen noch der materiellen Rechtskraft fähig.

Steht sonach die rein prozessuale Natur des Anspruchs auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung einem Verzicht im Sinne des § 306 ZPO, also in Form einer Prozeßhandlung eigener Art, entgegen, so kann auf diesen Anspruch erst recht nicht durch eine rechtsgeschäftliche, also gerade und ausschließlich auf eine materielle Rechtsänderung gerichtete, Willenserklärung verzichtet werden. Denn über prozessuale Rechte kann nur durch Prozeßhandlungen verfügt werden.

Wollte die Antragstellerin deshalb im Streitfall den durch ihren Antrag geltend gemachten Anspruch auf eine vorläufige gerichtliche Anordnung über die Vollziehbarkeit der von ihr angefochtenen Umsatzausgleichsteuerbescheide aufgeben, so konnte sie dies, da ein Verzicht als Prozeßhandlung besonderer Art ausscheidet, nur durch eine Rücknahme ihres Antrags erreichen. Daß der wirkliche Wille der Antragstellerin auf eine solche Aufgabe ihres - sich als prozessuales Recht darstellenden - Anspruchs auf Aussetzung der Vollziehung gerichtet ist und sie damit zugleich eine Beendigung des hierüber schwebenden gerichtlichen Verfahrens anstrebt, ist dem Inhalt der Erklärung ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 27. September 1967 eindeutig zu entnehmen. Bei einer sinnvollen Auslegung kann deshalb in ihr nur eine Rücknahme des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung gesehen werden.

Analog § 72 Abs. 2 FGO ist deshalb das Verfahren einzustellen (siehe Beschluß des BFH IV S 3/67 vom 3. August 1967, BFH 90, 10, BStBl III 1967, 730). Damit kommt den Beschlßsen des FG vom 12. Januar und 5. Mai 1967 für die Zukunft keine Wirkung mehr zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67717

BStBl II 1968, 471

BFHE 1968, 166

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