Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeugnisverweigerung

 

Leitsatz (NV)

1. Das Zeugnisverweigerungsrecht eines Rechtsanwalts gemäß § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 dient dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Es besteht demnach nicht, wenn dieses Verhältnis nicht berührt ist.

2. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 103 Satz 1 AO 1977 besteht nur bei der in § 103 Satz 1 AO 1977 aufgeführten Verfolgungsgefahr. Läßt sich ein weit gefaßtes Beweisthema in Bereiche mit und ohne Verfolgungsgefahr aufteilen, entfällt in letzterem Fall das Verweigerungsrecht. Verfolgungsgefahr besteht allerdings schon bei einem prozessual ausreichenden Anfangsverdacht.

3. Bei der Frage, ob ein Zeugnisverweigerungsrecht vorliegt, ist das Gericht auf die Tatsachen beschränkt, die der Zeuge gemäß § 82 FGO i. V. m. § 386 Abs. 1 ZPO angegeben und glaubhaft gemacht hat.

 

Normenkette

FGO §§ 82, 84 Abs. 1; AO 1977 §§ 102-103

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Gegenstand des beim Finanzgericht (FG) unter dem Az. VIII 79/86 anhängigen Hauptverfahrens ist im wesentlichen die Frage, in welcher Höhe dem Kläger für die Streitjahre Umsätze und Gewinne aus einer von ihm im Jahre 1981 erworbenen Rechtsanwaltspraxis zuzurechnen sind.

Der Kläger hatte mit Übernahmevertrag (ohne Datum) im Jahre 1981 von Rechtsanwalt D dessen Praxis erworben. Die zum 1. Januar 1982 vorgesehene Übernahme scheiterte daran, daß der Kläger zunächst die Rechtsanwaltszulassung nicht erhielt. Zwischenzeitlich wurde der Zeuge und Beschwerdegegner (Beschwerdegegner) vom Senator für Justiz zum Abwickler für die Praxis berufen.

Das FG hat am 21. September 1987 beschlossen, den Beschwerdegegner als Zeugen dazu zu hören, wie die Zusammenarbeit mit dem Kläger in den Streitjahren (1982 und 1983) tatsächlich und rechtlich gestaltet war und ob, wie, in welchem Umfang und auf welcher rechtlichen Grundlage dem Kläger Umsätze und Erträge aus dieser Zusammenarbeit zugerechnet, ihm Einnahmen zugeflossen und Ausgaben von ihm getätigt worden sind.

Der Beschwerdegegner hat unter Berufung auf § 84 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b und 103 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die Aussage verweigert.

Der Beschwerdegegner geht davon aus, daß er zu seinem Rechtsverhältnis zur Justizverwaltung als Kanzleiabwickler, aber vor allem zu den zahlreichen Mandatsverhältnissen, die innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) hätten begründet werden dürfen, Bekundungen machen müßte. Da ihm diese Umstände in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt anvertraut bzw. bekannt geworden seien, stünde ihm das Aussageverweigerungsrecht nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 zu.

Im übrigen habe der Kläger dem Beschwerdegegner mehrfach mündlich und schriftlich angekündigt, Strafanzeige gegen ihn zu erstatten, und zwar wegen Untreue und Unterschlagung sowie wegen Prozeßbetrugs. Daß eine strafrechtliche Verfolgung des Beschwerdegegners eine durchaus reale Möglichkeit sei, ergebe sich nicht zuletzt daraus, daß die zahlreichen gegen den Beschwerdegegner bei der Rechtsanwaltskammer anhängig gemachten Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Zur Zeugnisverweigerung reiche bereits die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung.

Der Kläger hat hierzu erklärt, daß er auf die Aussage des Beschwerdegegners nicht verzichten werde. Es genüge nicht, die Aussageverpflichtung pauschal zu bestreiten. Ein Recht zur Aussageverweigerung bestehe nur für Tatsachen, durch deren Offenbarung er sich selbst belasten würde. Außerdem werde er sich nicht selbst belasten, wenn er wahrheitsgemäß erkläre, daß er der formale Mandatsträger aller Fälle in der Abwicklungskanzlei gewesen sei.

Mit Zwischenurteil vom 18. April 1988 hat das FG für Recht erkannt, daß der Beschwerdegegner zwar nicht aus § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977, aber aus § 103 Satz 1 AO 1977, § 84 Abs. 1 FGO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sei, weil er der Gefahr einer ehrengerichtlichen Ahndung ausgesetzt sei.

Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde rügt das Finanzamt - FA - unzutreffende Auslegung des § 103 Satz 1 AO 1977 durch das FG. Der Schutzbereich dieser Vorschrift umfasse nicht ehrengerichtliche Verfahren.Der Kläger hält die vom FA geäußerte Rechtsauffassung für zutreffend.

Das FA beantragt, das Zwischenurteil des FG aufzuheben und den Antrag des Beschwerdegegners vom 18. April 1988, die Zeugnisverweigerung für berechtigt zu erklären, als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Beschwerde ist zulässig.

Das FG hat zutreffend über die Frage, ob dem Beschwerdegegner ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, durch Zwischenurteil entschieden. Dies folgt aus § 82 FGO i. V. m. § 387 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Das Zwischenurteil ergeht gegenüber den Parteien des (Haupt-)Prozesses sowie gegenüber dem die Aussage verweigernden Zeugen (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. April 1978 II B 43/77, BFHE 124, 497, BStBl II 1978, 377). Gegen das Zwischenurteil findet entsprechend § 387 Abs. 3 ZPO die Beschwerde statt, der das FG nicht abhelfen kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen bezieht sich der Senat auf den Beschluß des BFH vom 14. Juli 1971 I R 9/71 (BFHE 103, 121, BStBl II 1971, 808).

Das FA ist als Beteiligter des Hauptsacheverfahrens (§ 57 Nr. 2 FGO) zur Beschwerde berechtigt. Das FA ist durch das Zwischenurteil schon deshalb beschwert, weil es für die Tatsachen, aus denen sich die Steuerpflicht des Klägers ergibt, die Beweislast trägt.

II. Die Beschwerde ist begründet.

1. Der Senat stimmt mit dem FG allerdings darin überein, daß der Beschwerdegegner im Streitfall nicht gemäß § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt ist. Nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 kann ein Rechtsanwalt die Aussage über das verweigern, was ihm in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekannt geworden ist. Die Vorschrift dient dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandanten (vgl. bzgl. eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe die Begründung zu § 116 des Entwurfs einer Abgabenordnung - AO 1974 -, BTDrucks VI/1982, Seite 136). Dieses Verhältnis ist im Streitfall nicht berührt. Das Beweisthema zielt ersichtlich nicht in das zwischen dem Beschwerdegegner und den Mandanten eingegangene Vertrauensverhältnis, sondern auf die Art und die näheren Umstände seiner Geschäftsbeziehung zum Kläger. Diese hängen zwar auch mit seiner Stellung als Abwickler gemäß § 55 BRAO und damit mit seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt zusammen. Die Bestellung als Abwickler gemäß § 55 BRAO und das Rechtsverhältnis zur Justizverwaltung ist aber durch § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b AO 1977 nicht geschützt, wie die dargelegte Zwecksetzung dieser Vorschrift zweifelsfrei aufzeigt.

2. Entgegen der Auffassung des FG kann nicht davon ausgegangen werden, daß dem Beschwerdegegner gemäß § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 103 Satz 1 AO 1977 ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.

a) Nach § 103 Satz 1 AO 1977 können Personen, die nicht Beteiligte und nicht für einen Beteiligten auskunftspflichtig sind, die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder einen ihrer Angehörigen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Das Gesetz bringt unzweideutig zum Ausdruck, daß das Verweigerungsrecht nicht umfassend, sondern gegenständlich beschränkt ist. Läßt sich ein weit gefaßtes Beweisthema in Bereiche mit und ohne Verfolgungsgefahr aufteilen, entfällt in letzterem Fall das Verweigerungsrecht (vgl. z. B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 103 Tz. 3).

b) Das FG hat bisher nicht geprüft, ob die das Beweisthema betreffenden Fragen in obigem Sinne aufgeteilt werden können. In der Streitsache kommt es offenbar maßgeblich auf die Frage an, welche Umsätze bzw. welche Einkünfte der Kläger tatsächlich erzielt hat. Insoweit könnten Fragen nach dem zwischen dem Kläger und dem Beschwerdegegner in den Streitjahren bestehenden Rechtsverhältnis ausgeklammert bleiben. Nur dieses Rechtsverhältnis scheint nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens aber der Anknüpfungspunkt für eine strafgerichtliche Verfolgung oder eine ehrengerichtliche Ahndung zu sein. Jedenfalls bieten für eine gegenteilige Annahme weder die Vorentscheidung noch die Lage der Akten einen Anhaltspunkt. Damit ist aber nicht ersichtlich, weswegen dem Beschwerdegegner auf Fragen zu den tatsächlich erzielten Umsätzen und Gewinnen des Klägers ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehen könnte. Entsprechendes gilt auch bzgl. anderer Fragen, die bei Ausschöpfung des weit gefaßten Beweisthemas gestellt werden können.

c) Im übrigen sieht sich der Senat außerstande, auf die Frage einzugehen, ob dem Beschwerdegegner deshalb ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, weil ein ehrengerichtliches Verfahren gegen ihn droht bzw. ein derartiges Verfahren bereits eingeleitet ist.

Nach § 82 FGO i. V. m. § 386 Abs. 1 ZPO hat der Zeuge, der das Zeugnis verweigert, vor dem zu seiner Vernehmung bestimmten Termin schriftlich oder zum Protokoll der Geschäftsstelle oder in diesem Termin die Tatsachen, auf die er die Weigerung gründet, anzugeben und glaubhaft zu machen. Dies muß vor der zur Vernehmung zuständigen Tatsacheninstanz geschehen, die für die Beurteilung des Zeugnisverweigerungsrechts zuständig ist.

Der Beschwerdegegner hat sich vor dem FG aber nicht auf die Anhängigkeit oder das Drohen eines Ehrengerichtsverfahrens als Grund für ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Schon deshalb durfte ihm das FG nicht aus diesem Grunde ein Zeugnisverweigerungsrecht zubilligen.

d) Das FG hat nun darüber zu befinden, ob und in welchem Umfang dem Beschwerdegegner bei seiner Vernehmung die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung drohen könnte. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, daß die sichere Erwartung eines solchen Verfahrens nicht erforderlich ist, sondern daß ein prozessual ausreichender Anfangsverdacht genügt (vgl. z. B. zu § 55 der Strafprozeßordnung, Löwe/Rosenberg, Strafprozeßordnung / Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Aufl. 1988, § 55 StPO, Rdnr. 8). Andererseits ist wie aufgezeigt zu berücksichtigen, daß nicht bei allen Fragen, die auf der Grundlage des vom FG sehr weit gefaßten Beweisthemas denkbar sind, ein Zeugnisverweigerungsrecht wegen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung besteht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416249

BFH/NV 1989, 761

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