Leitsatz (amtlich)

Wird die Revisionsbegründungsschrift des FA, die zur Überprüfung und Weiterleitung der OFD vorgelegt wurde, durch ein Versehen eines Boten der OFD nicht rechtzeitig abgesandt, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht gewährt werden, wenn keine organisatorischen Maßnahmen zur Kontrolle der Ausgangspost getroffen wurden und der mit der Absendung beauftragte Botendienst auch nicht besonders auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit des abzusendenden Schriftstücks hingewiesen wurde.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Hamburg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Diplomkaufmann und als Beraterin in Vermögensangelegenheiten selbständig tätig.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah diese Tätigkeit als gewerbliche an und erließ für das Streitjahr 1972 einen Gewerbesteuermeßbescheid. Die Klägerin ist der Meinung, sie habe einen freien Beruf und sei nicht gewerbesteuerpflichtig. Ihr Einspruch blieb erfolglos. Der Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Es hob den Gewerbesteuermeßbescheid 1972 mit der Begründung auf, die Tätigkeit der Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs.

Gegen das Urteil des FG legte das FA Revision ein. Auf seinen Antrag wurde die Revisionsbegründungsfrist bis 30. Juni 1980 verlängert. Die Revisionsbegründungsschrift vom 13. Juni 1980 ging am 23. Juli 1980 beim FG und am 28. Juli 1980 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 1980 beantragte das FA, ihm wegen des Überschreitens der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es machte geltend, daß es mit Schreiben vom 18. Juni 1980 fünf Ausfertigungen der Revisionsbegründungsschrift zusammen mit den Steuerakten weisungsgemäß der Oberfinanzdirektion (OFD) X zur Prüfung und Weiterleitung an das FG übersandt habe. Der bei der OFD zuständige Bearbeiter A habe nach Prüfung am 23. Juni 1980 die Absendung der Revisionsbegründung zusammen mit den Steuerakten an das FG und die Wiedervorlage des OFD-Vorgangs zum 29. Dezember 1980 verfügt; die Verfügung habe einen Erledigungsvermerk über die Absendung an das FG enthalten. Ferner habe A das von ihm verfaßte Übersendungsschreiben an das FG mit den drei für den BFH bestimmten Ausfertigungen der Revisionsbegründung und den Steuerakten zusammengeheftet und sodann dieses Bündel in seinem Dienstzimmer in das Ausgangsfach gelegt. Seine Verfügung vom 23. Juni 1980 habe er in einer Umlaufmappe, die auf die Registratur 2 ausgezeichnet gewesen sei, ebenfalls in das Ausgangsfach gelegt. Bei der Überprüfung der Angelegenheit am 21. Juli 1980 habe A in der Registratur der OFD unter den Wiedervorlagen auf den 29. Dezember 1980 den Vorgang mit seiner Verfügung vom 23. Juni 1980, das Übersendungsschreiben an das FG, die drei Revisionsbegründungsschriften und die Steuerakten vorgefunden; sämtliche Vorgänge seien durch ein Gummiband miteinander verbunden gewesen. Offenbar habe der Aktenbote oder eine Arbeitskraft in der Registratur übersehen, daß es sich bei dem Vorgang in der Umlaufmappe und dem darunter liegenden, für den BFH bestimmten Aktenbündel um zwei getrennte Vorgänge gehandelt habe, und deshalb beide zusammen in der Wiedervorlage abgelegt. Das Versehen dieser Person könne dem FA und der OFD nicht angelastet werden. Insbesondere sei auch der zuständige Sachbearbeiter der OFD nicht verpflichtet gewesen, beim Aktenboten oder der Poststelle nachzufragen, ob die Schreiben an das FG abgesandt worden seien (BFH-Urteil vom 28. März 1969 III R 2/67, BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Die Tätigkeit der Klägerin als Beraterin in Vermögensangelegenheiten sei eine gewerbliche.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin tritt der Revision entgegen und beantragt, die Revision gemäß § 124 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unzulässig zu verwerfen und für den Fall der Stattgabe des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO), weil sie nicht innerhalb der durch § 120 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen First begründet worden ist und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben werden kann.

Bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Revisionskläger ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 56 FGO). Verschuldet ist die Versäumung, wenn die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen wurde. Jedes Verschulden - also auch eine einfache Fahrlässigkeit - schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Urteil vom 7. August 1970 VI R-24/67, BFHE 100, 71, BStBl II 1970, 814). Ist - wie im Streitfall - nach den bestehenden Verwaltungsanweisungen die Überprüfung der Revisionsbegründung des FA und ihre rechtzeitige Absendung der OFD übertragen, so ist ein schuldhaftes Handeln der bei der OFD mit der Angelegenheit befaßten Personen dem FA wie eigenes Verschulden zuzurechnen.

Die Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten für das FA in gleicher Weise wie für den Steuerpflichtigen, ausgenommen allerdings die Regeln über das den Rechtsanwälten oder Steuerberatern nicht anzulastende Büroversehen (BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548). Der BFH hat außerdem in Fällen, in denen das FA mit der Absendung eines Schriftsatzes bis zum Ende der Frist gewartet hat, entschieden (BFHE 96, 85, BStBl II 1969, 548, und Urteil vom 10. Juli 1974 I R 223/70, BFHE 113, 209, BStBl II 1974, 736), daß dem FA das Verschulden eines Boten, der mit der Beförderung des Schriftstücks beauftragt ist, nicht anzulasten ist, wenn der Bote auf die Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit der Bestellung hingewiesen worden ist; der Vorsteher oder Sachgebietsleiter des FA ist in diesem Falle nicht verpflichtet, die Durchführung seiner Anordnung über die Absendung des Briefes persönlich zu überwachen oder sich am nächsten Tag durch Nachfrage beim Boten von der Einhaltung der Anweisung zu überzeugen.

Im Streitfall hat zwar der zuständige Sachbearbeiter der OFD die Revisionsbegründungsschrift eine Woche vor Fristablauf und damit so rechtzeitig zur Absendung dem Aktenboten übergeben, daß bei normalem Ablauf mit dem Eintreffen der Revisionsbegründung vor Fristende gerechnet werden konnte. Angesichts der sich aus den Folgen der Fristversäumung ergebenden Bedeutung der Sache und der Möglichkeit, daß das Schriftstück auf dem Wege zur Registratur und zur Postabsendestelle aus Unachtsamkeit einige Zeit liegenbleiben konnte, hätte aber, wenn der Bote nicht auf die Wichtigkeit und Eilbedürftigkeit des Schreibens hingewiesen wurde, die Absendung durch die OFD in anderer Weise kontrolliert werden müssen. Dies war insbesondere deshalb angezeigt, weil das FA selbst nach Abgabe des Vorgangs an die OFD der ihm sonst obliegenden Verpflichtung, für eine rechtzeitige Absendung der Revisionsbegründungsschrift zu sorgen, nicht mehr nachkommen konnte. Von Rechtsanwälten und Steuerberatern werden organisatorische Maßnahmen gefordert, durch die die rechtzeitige Absendung der Fristsachen überwacht und nachgewiesen wird (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Juni 1980 VII ZB 9/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1981 S. 240 - HFR 1981, 240 - und Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 12. April 1973 2 C 19/73, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 260).

Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze der Kontrolle des Ausgangs fristwahrender Schriftstücke auch von Behörden, bei denen die Zahl der zu beachtenden Fristen gering und deshalb übersehbar ist, anzuwenden sind. Keinesfalls dürfen aber für solche Behörden die Maßstäbe der bei Absendung fristwahrender Schriftstücke zu beachtenden Sorgfaltspflichten geringer sein als die, die in gleichen Fällen an Rechtsanwälte und Steuerberater zu stellen sind. Deshalb müssen sich Behörden, bei denen eine Ausgangskontrolle der Fristsachen, wie sie bei Rechtsanwälten und Steuerberatern erforderlich ist, nicht besteht oder die dem mit der Absendung befaßten Personal keine besonderen Hinweise auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit der abzusendenden Post geben, das schuldhafte Verhalten dieser Personen bei der Postabfertigung grundsätzlich zurechnen lassen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt, daß die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen. Allgemeine Weisungen, wie der Ausgang fristwahrender Schriftsätze zu überwachen ist, bestanden bei der OFD nicht. Ferner wurden nach dem Vortrag des FA die mit der Absendung der Revisionsbegründungsschrift beauftragten Arbeitskräfte der OFD nicht auf die Bedeutung der Sache aufmerksam gemacht. Insbesondere bei den im Streitfall gegebenen besonderen Umständen erforderte aber die zur Fristwahrung gebotene Sorgfalt zusätzliche Hinweise an den Botendienst. Der zuständige Sachbearbeiter der OFD hat in der von ihm gefertigten Verfügung vom 23. Juni 1980 über die Absendung der Revisionsbegründungsschrift und über die Wiedervorlage des OFD-Vorgangs neben der Ziffer, die die Absendung der Revisionsbegründung betrifft, einen Erledigungsvermerk mit Datum vom 23. Juni 1980 angebracht. Dadurch konnte bei den mit der Bearbeitung der Sache beauftragten Arbeitskräften der Eindruck entstehen, daß die Revisionsbegründung schon abgesandt war und daß die beiliegenden Akten mit der Revisionsbegründung und dem Übersendungsschreiben an das FG zum OFD-Vorgang gehörten, zumal die Akten, die Revisionsbegründung und das Übersendungsschreiben im Ausgangsfach des Sachbearbeiters unmittelbar unter dem Vorgang mit der OFD-Verfügung vom 23. Juni 1980 lagen, sich aber - zu einem Bündel zusammengeheftet - in keiner Umlaufmappe, die auf die absendende Stelle ausgezeichnet war, befanden. Zumindest bei dieser Sachlage hätte, um die rechtzeitige Absendung der Revisionsbegründung sicherzustellen, der für die Absendung zuständige Botendienst ausdrücklich darüber belehrt werden müssen, daß die Revisionsbegründungsschrift an das FG abzusenden sei und welche Vorgänge im einzelnen zu diesem Zweck der Absendestelle zu übergeben seien. Da dies nicht geschehen ist, war das FA nicht ohne Verschulden verhindert, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74045

BStBl II 1982, 131

BFHE 1981, 220

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