BMF, 18.11.2005, IV C 4 - S 2282 - 27/05

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 11.1.2005, 2 BvR 167/02 entschieden, dass die Einbeziehung von gesetzlichen Pflichtbeiträgen des Kindes zur Sozialversicherung in die Bemessungsgrundlage für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu Lasten der unterhaltsverpflichteten Eltern gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstößt.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt danach in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, Folgendes:

Bei der Prüfung, ob der Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten ist, sind bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung von den Einkünften und Bezügen des Kindes abzuziehen.

Das Gleiche gilt für die Ermittlung der anrechenbaren Einkünfte nach § 33a Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 2 EStG im Hinblick auf die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung.

Beispiel:

Die 20-jährige T, die während des ganzen Kalenderjahres 2004 studiert hat, erzielte aus einer nebenbei ausgeübten Beschäftigung einen steuerpflichtigen Bruttoarbeitslohn von 9.000 Euro. Der Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung betrug 1.800 Euro. Werbungskosten sind in Höhe von 1.200 Euro angefallen. Daneben erzielte T Zinserträge in Höhe von 1.051 Euro.

Die Prüfung, ob der Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten wurde, ist wie folgt durchzuführen:

Bruttoarbeitslohn 9.000 Euro    
./. Werbungskosten 1.200 Euro    
Einkünfte (§ 19 EStG) 7.800 Euro 7.800 Euro
       
Zinseinnahmen 1.051 Euro    
./. Werbungskosten-Pauschbetrag 51 Euro    
./. Sparer-Freibetrag 1.000 Euro    
Einkünfte (§ 20 EStG) 0 Euro 0 Euro
       
Sparer-Freibetrag 1.000 Euro    
./. Kostenpauschale 180 Euro    
Bezüge 820 Euro 820 Euro
       
Summe der Einkünfte und Bezüge     8.620 Euro
./. Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag     1.800 Euro
Bemessungsgrundlage für den Jahresgrenzbetrag      
nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG     6.820 Euro

Der Jahresgrenzbetrag von 7.680 Euro ist nicht überschritten.

Die Bestandskraft eines Einkommensteuerbescheides kann nur durchbrochen werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift nach § 164, § 165 oder §§ 172 ff. AO erfüllt sind. Die alleinige Feststellung der Verfassungswidrigkeit stellt keine Grundlage für eine Änderung bestandskräftiger Bescheide dar. Denn § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bestimmt, dass nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben. Dies muss erst recht gelten, wenn nicht die Norm, sondern nur deren Auslegung für verfassungswidrig erklärt wird. Die Entscheidung des BVerfG stellt weder eine neue Tatsache im Sinne von § 173 Abs. 1 AO noch ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Auch durch die nachträgliche Gewährung von Kindergeld aufgrund des oben genannten Beschlusses des BVerfG wird keine Änderungsmöglichkeit zur nachträglichen Gewährung der Freibeträge für Kinder für bereits bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzungen eröffnet.

In Fällen, in denen der Anspruch auf Kindergeld bestandskräftig abgelehnt wurde, aber der Einkommensteuerbescheid für das gleiche Jahr noch nicht bestandskräftig ist, erfolgt die Umsetzung des oben genannten Beschlusses des BVerfG im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung.

Besteht aufgrund eines bestandskräftigen Ablehnungs- oder Aufhebungsbescheides kein Anspruch auf Kindergeld – bzw. erfolgte bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2003 keine Zahlung von Kindergeld –, ist bei der Prüfung nach § 31 Satz 4 EStG kein Kindergeld gegenzurechnen, mit der Folge, dass die steuerlichen Freibeträge für Kinder zu gewähren sind.

Hierbei sind folgende Fälle zu unterscheiden:

Beispiel:

Aufgrund zu hoher Einkünfte und Bezüge wurde für Sohn S durch Bescheid vom 6.1.2005 Kindergeld für das Jahr 2004 bestandskräftig abgelehnt bzw. der Kindergeldbescheid wurde bestandskräftig aufgehoben. Unter Berücksichtigung des oben genannten Beschlusses des BVerfG ist der Jahresgrenzbetrag für das Jahr 2004 nunmehr unterschritten.

Bei der noch nicht bestandskräftig durchgeführten Einkommensteuerveranlagung 2004 ist wie folgt zu verfahren:

=> Freibeträge für Kinder für 12 Monate
   
=> Im Rahmen der Prüfung der Steuerfreistellung ist Kindergeld für 0 Monate gegenzurechnen, weil für das gesamte Jahr 2004 kein Anspruch auf Kindergeld besteht.

Abwandlung Beispiel:

Aufgrund zu hoher Einkünfte und Bezüge wurde für Sohn S durch Bescheid vom 12.1.2004 Kindergeld bestandskräftig abgelehnt. Unter Berücksichtigung des oben genannten Beschlusses des BVerfG ist der Jahresgrenzbetrag für das Jahr 2004 nunmehr unterschritten.

Bei der noch nicht bestandskräftig durchgeführten Einkommensteuerveranlagung 2004 ist wie folgt zu verfahren:

=> Freibeträge für Kinder für 2004 für 12 Monate
   
=> Im Rahmen...

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