Leitsatz

1. Der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims ist aus zwingenden Gründen an dessen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn die Selbstnutzung objektiv unmöglich oder aus objektiven Gründen unzumutbar ist. Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus.

2. Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwingende Gründe darstellen, wenn sie dem Erwerber eine selbständige Haushaltsführung in dem erworbenen Familienheim unmöglich machen.

 

Normenkette

§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres im März 2009 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörte u.a. ein Grundstück mit einem 1951 erbauten Einfamilienhaus. Die Klägerin hatte dieses Haus gemeinsam mit ihrem Vater bewohnt und wohnte zunächst weiterhin im Obergeschoss. Demzufolge berücksichtigte das FA bei der ErbSt-Festsetzung die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG.

Die Klägerin zog am 4.8.2016 aus. Am 5.8.2016 wurde das Haus abgerissen. Das FA setzte daraufhin die ErbSt ohne die Steuerbefreiung fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 8.1.2020, 4 K 3120/18 Erb, Haufe-Index 14255131, EFG 2021, 288).

 

Entscheidung

Auf die Revision der Klägerin verwies der BFH die Sache an das FG zurück. Das FG sei von unzutreffenden Maßstäben ausgegangen. Es habe nicht alle erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen, um abschließend beurteilen zu können, ob sich das Urteil im Ergebnis (§ 126 Abs. 4 FGO) dennoch als richtig erweise. Zutreffend sei, dass allein der bauliche Zustand des Gebäudes keinen zwingenden Grund für die Aufgabe der Selbstnutzung darstelle. Es handle sich um Wirtschaftlichkeits- und damit Zweckmäßigkeitserwägungen, denn der bauliche Zustand könne grundsätzlich veränderten Lebensumständen angepasst werden. Ob die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen zwingenden Grund für die Beendigung der Selbstnutzung des Familienheims darstellten, stehe nicht fest und müsse vom FG festgestellt werden.

 

Hinweis

Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen zwingende Gründe für die Beendigung der Selbstnutzung eines Familienheims vorliegen.

1. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 1 ErbStG bleibt steuerfrei u.a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück i.S.d. § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BewG durch Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 m² nicht übersteigt. Dies gilt vorbehaltlich der Einschränkungen in § 13 Abs. 1 Nr. 4c Sätze 2 bis 4 ErbStG.

a) Nach dem sog. Nachversteuerungstatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.

b) Die Steuerbefreiungsvorschrift ist eng auszulegen. Damit begegnet sie keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Entsprechendes gilt für die in § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 Halbsatz 2 ErbStG geregelte Rückausnahme von der Nachversteuerung.

c) Tritt der Nachversteuerungstatbestand ein, ist der Steuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO beginnt in diesen Fällen die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

2. In dem Merkmal "aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert" müssen sich die Hinderungsgründe auf die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims beziehen. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, ist nicht entscheidend. Der BFH teilt nicht die Auffassung, die Unmöglichkeit, selbstständig einen Haushalt zu führen, müsse sich auf das Führen eines eigenen Haushalts schlechthin – d.h. auch an einem anderen Ort als in dem erworbenen Familienheim – beziehen.

3. Der Erwerber muss aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken gehindert sein. Es reicht nicht aus, wenn sich der Erwerber nur aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen an der Selbstnutzung gehindert fühlt.

a) Das Merkmal "zwingend" schließt Gründe aus, kraft derer die Beendigung der Selbstnutzung aus Sicht des Erwerbers nachvollziehbar und auch verständig scheint, jedoch Gegenstand seiner freien Entscheidung ist. Es gehört dann zur privaten Lebensgestaltung des Erwerbers, ob und wie er das Familienheim nutzen möchte. Das ist insbesondere der Fall, wenn es nach Art und Gestaltung nicht den persönlichen Vorstellungen des Erwerbers entspricht.

b) Der Erwerber ist hingegen aus zwingenden Grün...

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