Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH

 

Leitsatz (amtlich)

Die Gesellschafter einer Vor-GmbH haften der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes für Beitragsschulden der Vor-GmbH unmittelbar und entsprechend ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen ua. dann, wenn die Vor-GmbH vermögenslos ist(im Anschluß an: BGH 4. März 1996 – II ZR 123/94 – AP GmbH § 11 Nr. 6; BAG 22. Januar 1997 – 10 AZR 908/94 – BAGE 85, 94; BFH 7. April 1998 – VII R 82/97 – BFHE 185, 356; BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98 RZIP 2000, 494)

 

Normenkette

GmbHG § 11; TVG § 1 Tarifverträge: Bau; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 30, § 24; HGB §§ 123, 128; BGB §§ 421, 427, 431, 718

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 25.11.1997; Aktenzeichen 15 Sa 4/96)

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 15.11.1995; Aktenzeichen 3 Ca 2680/94)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 25. November 1997 – 15 Sa 4/96 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es die Beklagte zur Zahlung eines weiteren, 4.604,13 DM übersteigenden Betrages verurteilt hat.

Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 15. November 1995 – 3 Ca 2680/94 – zurückgewiesen.

2. Von den Kosten der Berufung haben die Klägerin ¾ und die Beklagte ¼ zu tragen. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Umfang der Beitragsschulden bei der ZVK.

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (im folgenden ZVK). Sie ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Sie nimmt die Beklagte zusammen mit ihren Mitgesellschaftern, den Beklagten zu 2) bis 4) für den Zeitraum Oktober 1992 bis Januar 1993 auf Zahlung von Sozialkassenbeiträgen in Anspruch.

Die Beklagte gründete zusammen mit den drei Mitgesellschaftern M. H., R. H. und O. K. am 19. Oktober 1992 durch notariellen Vertrag eine GmbH unter der Firma „N.”. Gegenstand des Unternehmens war die Durchführung von Stahlarmierungsarbeiten. Von dem Stammkapital in Höhe von 50.000,00 DM übernahm jeder der Gesellschafter eine Stammeinlage in Höhe von 12.500,00 DM. Im Gesellschaftsvertrag ist bestimmt, daß die Gesellschafter ihre Einlagen durch Übereignung der in einer Anlage zum Gesellschaftsvertrag aufgeführten, den Gesellschaftern gemeinschaftlich zum Eigentum gehörenden Sachwerten leisten. Die Beklagte hat 10.000,00 DM in bar auf ihre Stammeinlage erbracht. Zu Geschäftsführern wurden die Beklagte und der Mitgesellschafter Reiner Heinen bestellt.

In der Zeit von Oktober 1992 bis zur Einstellung der Geschäftstätigkeit am 26. Januar 1993 unterhielt die Gesellschaft einen Betrieb, der Eisenbiege- und Eisenflechtarbeiten auf Baustellen zur Fertigstellung von Gebäuden erbrachte. Zu einer Eintragung dieser GmbH ins Handelsregister kam es nicht. Ausweislich der Gewerbeabmeldung vom 26. Januar 1993 wurde die Betriebstätigkeit am selben Tage eingestellt. Ein Antrag der GmbH auf Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Charlottenburg vom 3. Dezember 1992 mangels Masse abgewiesen.

Die ZVK meint, die Beklagte hafte gesamtschuldnerisch mit ihren Mitgesellschaftern in vollem Umfange für die Beitragsschulden der Vor-GmbH. Sie sei Geschäftsführerin der Gesellschaft gewesen und habe als solche für die Gesellschaft gehandelt und deren Rechtsgeschäfte beeinflußt. Ab Ende November 1992 habe es sich um eine unechte Vor-GmbH gehandelt. Bereits Ende Oktober bzw. Anfang November 1992 sei für die Gesellschafter und damit auch für die Beklagte erkennbar gewesen, daß es nicht mehr zu einer Eintragung der GmbH kommen werde. Ihr sei bekannt gewesen, daß die Eintragungsvoraussetzungen gefehlt hätten und daß auf Grund der eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Auftraggebern sowie den Arbeitnehmern eine wirtschaftlich vernünftige Führung des Unternehmens nicht erreichbar gewesen sei.

Die ZVK beantragt,

die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 2) bis 4) zu verurteilen, an sie 28.416,51 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie ist der Auffassung, eine Handelndenhaftung für die Beitragsschulden sei ausgeschlossen, weil es sich insoweit nicht um rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten handele. Im übrigen sei sie nur formell Geschäftsführerin gewesen und habe die Geschäfte der Gesellschaft nicht maßgeblich beeinflußt. Als Gesellschafterin der Vor-GmbH sei ihre Haftung auf die übernommene Stammeinlage beschränkt. Die Eintragungsabsicht sei erst Mitte Januar 1993 fallen gelassen worden, nachdem klar gewesen sei, daß das entsprechende Kapital von den anderen Gesellschaftern nicht habe erbracht werden können. Das Fehlen von Eintragungsvoraussetzungen sei ihr Ende 1992 nicht bekannt gewesen. Nach Aufgabe der Eintragungsabsicht sei die Betriebstätigkeit nicht fortgesetzt worden. Deshalb sei sie lediglich verpflichtet, an die ZVK ein Viertel des von dieser insgesamt geltend gemachten Betrages von 28.416,51 DM, dh. mithin 7.104,13 DM zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 2) bis 4) 2.500,00 DM an die ZVK zu zahlen. Die Beklagten zu 2) bis 4) sind durch Vollstreckungsbescheid bzw. Versäumnisurteile des Arbeitsgerichts als Gesamtschuldner neben der Beklagten zur Zahlung von 28.416,51 DM an die ZVK verurteilt worden. Die Verurteilungen der Beklagten zu 2) bis 4) sind mittlerweile rechtskräftig.

Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der ZVK die Beklagte verurteilt, weitere 25.916,51 DM als Gesamtschuldnerin neben den ursprünglichen Beklagten zu 2) bis 4) (dh., den drei rechtskräftig verurteilten Mitgesellschaftern) an die ZVK zu zahlen. Die unselbständige Anschlußberufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung eines 7.104,13 DM übersteigenden Betrages. Die ZVK beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts, soweit dieses die Beklagte zur Zahlung eines insgesamt 7.104,13 DM übersteigenden Betrages verurteilt hat.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet.

Die Beklagte sei verpflichtet, als Gesamtschuldnerin mit den anderen Gesellschaftern, den ursprünglichen Beklagten zu 2) bis 4), für die Beitragsforderungen der ZVK gegen die Vor-GmbH einzustehen. Die Vor-GmbH habe Stahlbiege- und Stahlflechtarbeiten zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes erbracht und unterfalle damit nach § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 30 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 12. November 1986 (VTV) als Baubetrieb dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, so daß gemäß § 24 Abs. 1 und Abs. 2 VTV Sozialkassenbeiträge an die ZVK zu zahlen gewesen seien. Die Höhe der geforderten Beiträge sei nicht hinreichend bestritten und damit als zugestanden zu betrachten, so daß Beitragsforderungen in Höhe von 28.416,51 DM für den streitgegenständlichen Zeitraum entstanden seien.

Als Mitgesellschafterin einer nicht zur Eintragung gelangten Vor-GmbH hafte die Beklagte unmittelbar und persönlich ohne summenmäßige Beschränkung. Es sei bereits zweifelhaft, ob die vom Bundesgerichtshof und Bundesarbeitsgericht angenommene Innenhaftung abzulehnen und statt dessen grundsätzlich von einer unbeschränkten Außenhaftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH auszugehen sei. Dies könne aber offen bleiben, da der Bundesgerichtshof als Ausnahme vom Grundsatz der Innenhaftung den Fall der Vermögenslosigkeit der Vor-GmbH anerkannt habe, der hier erfüllt sei, weil die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Vor-GmbH abgelehnt worden sei. Bei Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse sei regelmäßig von einer Vermögenslosigkeit auszugehen. Anhaltspunkte dafür, daß dennoch Vermögenswerte vorhanden seien, habe die Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht ergeben.

Bei der Außenhaftung handele es sich auf Grundlage der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung analog § 128 HGB bzw. den Grundsätzen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts und nicht – wie vom Bundesarbeitsgericht angenommen – um eine auf den Anteil am Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung, so daß die Beklagte in vollem Umfang in Anspruch genommen werden könne.

II. Der Senat kann dem Landesarbeitsgericht nicht folgen.

Die ZVK hat gegen die Beklagte als Gesellschafterin der Vor-GmbH – entsprechend ihrer Beteiligung an dieser – nur Anspruch auf Zahlung eines Viertels der Beitragsschulden der Vor-GmbH. Eine Haftung der Beklagten in Höhe der gesamten Klageforderung scheidet aus.

1. Der Revisionsantrag der Beklagten ist dahingehend auszulegen, daß sich ihre Revision nur gegen eine den Betrag von insgesamt 7.104,13 DM übersteigende Verurteilung durch das Landesarbeitsgericht wendet. Mit diesem Antrag hat die Beklagte die Revision zulässigerweise auf die Überprüfung der Frage beschränkt, ob der ZVK gegen sie ein den Betrag von 7.104,13 DM übersteigender Anspruch zusteht.

2. Die ZVK hat Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Sozialkassenbeiträge in Höhe von 28.416,51 DM gem. § 24 Abs. 1 VTV gegen die Vor-GmbH.

a) Die unter der Firma „N.” handelnde Gesellschaft unterfiel dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Die ZVK hat dargelegt, die Vor-GmbH habe Eisenbiege- und Eisenflechtarbeiten ausschließlich auf Baustellen zur Fertigstellung von Gebäuden erbracht und sei damit als Baubetrieb dem Geltungsbereich des VTV unterworfen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dieser Sachvortrag sei nicht bestritten und damit zugestanden. An diese Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden. Die Vor-GmbH hat danach einen Betrieb des Baugewerbes iSd. § 1 Abs. 2 VTV unterhalten, da Betriebe, die Stahlbiege- und Stahlflechtarbeiten ausführen, soweit sie zur Erbringung anderer baulicher Leistungen des Betriebes ausgeführt werden, gem. § 1 Abs. 2 Abschnitt V Ziff. 30 VTV als Betriebe des Baugewerbes gelten. Auch die Beklagte bestreitet im Revisionsverfahren die Feststellung des Landesarbeitsgerichts nicht, daß die Vor-GmbH dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV unterfiel.

b) Für den Zeitraum Oktober 1992 bis Januar 1993 sind nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch die mit der Klage geltend gemachten Beitragsschulden der Vor-GmbH angefallen.

3. Als Mitgesellschafterin und Geschäftsführerin der Vor-GmbH haftet die Beklagte für die Klageforderung nicht nach § 11 Abs. 2 GmbHG. Die Handelndenhaftung nach dieser Vorschrift erstreckt sich nur auf durch Rechtsgeschäft begründete Verbindlichkeiten, nicht jedoch – wie vorliegend – auf Verbindlichkeiten, die auf Grund eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages entstanden sind(BAG 23. August 1995 – 10 AZR 908/94 (A) – BAGE 80, 335 mwN).

a) Die durch den für allgemeinverbindlich erklärten VTV begründete Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes trifft die Vor-GmbH als baugewerbliche Arbeitgeberin. Dem steht nicht entgegen, daß diese Gesellschaft noch nicht ins Handelsregister eingetragen war und damit nach § 11 Abs. 1 GmbHG als Gesellschaft mit beschränkter Haftung, dh. als eigenständige juristische Person, noch nicht bestand.

Die durch Abschluß des Gesellschaftervertrages errichtete, aber noch nicht eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Vor-GmbH) untersteht einem Sonderrecht, das den gesetzlichen und vertraglichen Gründungsvorschriften und dem Recht der eingetragenen GmbH entspricht, soweit nicht die Eintragung im Handelsregister unverzichtbar ist. Dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH 12. Juli 1956 – II ZR 218/54 – BGHZ 21, 242; 2. Mai 1966 – II ZR 219/63 – BGHZ 45, 338; 24. Oktober 1968 – II ZR 216/66 – BGHZ 51, 30; 9. März 1981 – II ZR 54/80 – BGHZ 80, 129), der sich das Bundesarbeitsgericht (BAG 8. November 1962 – 2 AZR 11/62 – AP GmbHG § 11 Nr. 1; 29. März 1983 – 3 AZR 548/80 – nv. und 22. Januar 1997 – 10 AZR 908/94 – BAGE 85, 94) und das Bundessozialgericht (BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98 RZIP 2000, 494) angeschlossen haben. Diese Vor-GmbH kann Trägerin von Rechten und Pflichten sein, Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen (BGH 9. März 1981 – II ZR 54/80 – aaO). Von daher kann auch die noch nicht eingetragene, aber schon unter ihrer Firma „NBA-Nordhorner-Baustahl-Armierungsgesellschaft” handelnde Gesellschaft Schuldnerin der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes sein.

b) Die Beitragsschuld dieser Vor-GmbH gegenüber der ZVK ist nicht durch rechtsgeschäftliches Handeln der Beklagten als Geschäftsführerin der Vor-GmbH begründet worden. Die Pflicht des baugewerblichen Arbeitgebers, Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes zu entrichten, wird dem Arbeitgeber – auch gegen seinen Willen – unmittelbar durch den für allgemeinverbindlich erklärten VTV auferlegt. Voraussetzung für das Entstehen der Beitragsschuld ist allein, daß der baugewerbliche Arbeitgeber baugewerbliche Arbeiten durch Arbeitnehmer verrichtet und an diese dafür Arbeitsentgelt zahlt. Der Umstand, daß die Beschäftigung von Arbeitnehmern und die Erledigung baugewerblicher Arbeiten für Dritte ihrerseits auf Rechtsgeschäften mit den Arbeitnehmern oder den Auftraggebern beruhen, reicht nicht aus, um eine Haftung der Beklagten als Geschäftsführerin der Vor-GmbH nach § 11 Abs. 2 GmbHG zu begründen. Die Handelndenhaftung basiert auf dem Gedanken, daß der im Namen der Vor-GmbH Handelnde seinem Geschäftspartner dafür einstehen muß, daß das Rechtsgeschäft auch mit der durch die Eintragung zur juristischen Person erstarkten GmbH zustande kommt. Die ZVK war aber nicht Geschäftspartnerin eines Rechtsgeschäfts, das die Beklagte mit ihr abgeschlossen hat (so auch: BAG 22. Januar 1997 – 10 AZR 908/94 – aaO).

4. Als Gesellschafterin der Vor-GmbH haftet die Beklagte für deren Beitragsschuld jedoch entsprechend ihrem Gesellschaftsanteil an der GmbH.

Der Senat hatte durch Beschluß vom 22. August 1995 (– 10 AZR 908/94 (A) – aaO) dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Gesellschafter einer Vor-GmbH für nicht rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten der Vor-GmbH nur beschränkt haften.

Noch während des Verfahrens vor dem Gemeinsamen Senat hat der Bundesgerichtshof – und zwar der für Fragen des Gesellschaftsrechts zuständige Zweite Zivilsenat – seinerseits dem Gemeinsamen Senat die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Gesellschafter einer Vor-GmbH für Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft unbeschränkt und grundsätzlich nur im Verhältnis zur Vor-Gesellschaft haften (BGH 4. März 1996 – II ZR 123/94 – AP GmbHG § 11 Nr. 6).

Der Bundesgerichtshof geht in diesem Beschluß auf der Grundlage einer neuen Konzeption der Haftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH davon aus, daß die Gesellschafter für alle Verbindlichkeiten der Vor-Gesellschaft grundsätzlich entsprechend ihrer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen haften. Allerdings handele es sich insoweit um eine Innenhaftung gegenüber der Vor-Gesellschaft selbst, nicht jedoch um eine unmittelbare Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Diese müßten sich vielmehr an die Vor-GmbH halten und könnten ggf. deren Ausgleichsansprüche gegen die Gesellschafter pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. Diesem Haftungskonzept, das von einer anteiligen, der Höhe nach unbeschränkten und im Grundsatz nur im Innenverhältnis zur Vor-GmbH bestehenden Haftung der Gründungsgesellschafter ausgeht, haben sich sowohl das Bundessozialgericht als auch der Senat und der Bundesfinanzhof angeschlossen (BSG 31. Mai 1996 – 2 S (U) 3/96 – KTS 1996, 599 und 8. Dezember 1999 B 12 KR 10/98 aaO; BAG 10. Juli 1996 – 10 AZR 908/94 – CB BAGE 83, 283 und 22. Januar 1997 – 10 AZR 908/94 – aaO; BFH 7. April 1998 – VII R 82/97 – BFHE 185, 356).

5. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung haftet die Beklagte als Gesellschafterin der Vor-GmbH der ZVK unmittelbar entsprechend ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen der GmbH.

a) Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 27. Januar 1997 (– II ZR 123/94 – AP GmbHG § 11 Nr. 10) Ausnahmen von dem dargestellten Grundsatz der sog. Innenhaftung der Gründungsgesellschafter gemacht. Es heißt in dieser Entscheidung: „Ist die Vor-GmbH hingegen vermögenslos, hat sie insbesondere keinen Geschäftsführer mehr oder sind weitere Gläubiger nicht vorhanden, kann ebenso wie bei der Einmann-Vor-GmbH dem Gläubiger der unmittelbare Zugriff gestattet werden. Die Eröffnung dieser Möglichkeiten schafft keine Abwicklungsschwierigkeiten.”

Ebenso wie der Bundesgerichtshof gehen auch das Bundesarbeitsgericht (22. Januar 1997 – 10 AZR 908/94 – aaO), das Bundessozialgericht (8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98 – aaO) und der Bundesfinanzhof (7. April 1998 – VII R 82/97 – aaO) von einer solchen unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit auf die Gesellschafter der Vor-GmbH aus, welche zu deren unmittelbarer Haftung entsprechend ihrem Anteil am Gesellschaftsvermögen gegenüber dem Gläubiger führt.

b) Eine solche Vermögenslosigkeit der Vor-GmbH, welche zu einer unmittelbaren Haftung der Beklagten gegenüber der ZVK führt, liegt im Streitfall vor.

Die von der Vor-GmbH selbst beantragte Eröffnung des Konkursverfahrens über ihr Vermögen ist durch das Amtsgericht Charlottenburg mit Beschluß vom 3. Dezember 1992 mangels Masse abgelehnt worden. Dies führt dazu, daß von einer Vermögenslosigkeit der Vor-GmbH auszugehen ist (BFH 7. April 1998 – VII R 82/97 – aaO). Darüber hinaus hat auch das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend festgestellt, daß sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Vor-GmbH trotz Ablehnung der Konkurseröffnung nicht vermögenslos sei.

Demnach greift nach den oben dargelegten Grundsätzen die anteilige unmittelbare Haftung der Beklagten als Gesellschafterin der Vor-GmbH gegenüber der ZVK ein.

c) Die Gesellschafter der Vor-GmbH haben die Firma „N.” nach der Aufgabe der Eintragungsabsicht auch nicht fortgeführt, so daß es nicht zum Entstehen einer sog. unechten Vor-GmbH gekommen ist. Für die Verbindlichkeiten einer solchen würden die Gesellschafter persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch – je nach dem Geschäftsgegenstand – gemäß den Grundsätzen der Haftung in der offenen Handelsgesellschaft, §§ 123 Abs. 2, 128 HGB, oder der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, § 718 iVm. §§ 421, 427, 431 BGB haften (BSG 8. Dezember 1999 – B 12 KR 10/98 – aaO und BFH 27. September 1999 – II ZR 171/98 – NJW 1999, 3483).

d) Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und des Sachvortrages beider Parteien ist davon auszugehen, daß die Gesellschafter der Vor-GmbH erst im Januar 1993 die Eintragungsabsicht aufgegeben und zum selben Zeitpunkt den Geschäftsbetrieb eingestellt haben. Damit kommt eine Haftung der Beklagten als Gesellschafterin einer sog. unechten Vor-GmbH nicht in Betracht.

Das Landesarbeitsgericht hat im Tatbestand seines Urteils folgende Formulierung verwendet: „Im Januar 1993 wurde die Eintragungsabsicht aufgegeben, zum gleichen Zeitpunkt wurde nach dem bestrittenen Beklagtenvortrag die bis dahin bestehende betriebliche Tätigkeit eingestellt.” Damit hat das Landesarbeitsgericht zum einen festgestellt, daß die Eintragungsabsicht im Januar 1993 durch die Gesellschafter aufgegeben worden ist. Diese Feststellung ist für den Senat bindend, § 561 Abs. 2 ZPO, da sie von der ZVK nicht angegriffen worden ist. Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht aber auch festgestellt, daß zum „gleichen Zeitpunkt” die bis dahin bestehende betriebliche Tätigkeit eingestellt worden ist. Diese Feststellung hat das Landesarbeitsgericht allerdings mit dem mißverständlichen Zusatz versehen: „nach dem bestrittenen Beklagtenvortrag”. Daß die Beklagte ihren Geschäftsbetrieb aber am 26. Januar 1993 eingestellt hat, ist zwischen den Parteien nicht streitig. So hat insbesondere die ZVK mit Schriftsatz vom 2. Februar 1996 vorgetragen: „Unstreitig haben die Beklagten … einen … Betrieb unterhalten und bis zur Einstellung des Betriebes am 26.01.1993 fortgeführt”. Außerdem befindet sich die Kopie einer Gewerbeabmeldung vom 26. Januar 1993 bei den Akten. Damit kann die Formulierung des Landesarbeitsgerichts „nach dem bestrittenen Beklagtenvortrag” nur darauf beruhen, daß das Arbeitsgericht in seinem Schlußurteil vom 15. November 1995 im Tatbestand festgestellt hat: „Die Klägerin behauptet, der Betrieb der Beklagten habe auch über den Januar 1993 nach Aufgabe der Eintragungsabsicht weitergearbeitet”. Diese Behauptung hat die ZVK aber nicht mehr aufrechterhalten, wie sich aus ihrem oben zitierten Schriftsatz vom 2. Februar 1996 ergibt. Demnach sind die Voraussetzungen einer Haftung im Rahmen einer unechten Vor-GmbH nicht gegeben.

6. Bezüglich des auf die Beklagte entfallenden anteiligen Haftungsbetrages von insgesamt 7.104,13 DM ist sie Gesamtschuldnerin mit den bereits rechtskräftig zu höheren Zahlungen verurteilten Mitgesellschaftern, den ehemaligen Beklagten zu 2) bis 4), (§ 421 BGB), da bei verschiedenem Umfang der Schuld eine Gesamtschuld insoweit gegeben ist, als sich die Pflichten decken (Palandt/Heinrichs BGB 59. Aufl. § 421 Rn. 5).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Böck, Marquardt, Thiel, Tirre

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 15.12.1999 durch Brüne, der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 537434

BAGE, 151

DStZ 2000, 875

NJW 2000, 2915

NWB 2000, 3392

GmbH-StB 2000, 271

EWiR 2000, 915

FA 2000, 297

KTS 2001, 182

NZA 2000, 956

ZAP 2000, 1179

ZIP 2000, 1546

AP, 0

AuA 2001, 137

NZI 2000, 612

NZI 2001, 70

NZI 2001, 89

GmbHR 2000, 1041

RdW 2000, 630

LL 2000, 864

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge