Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung wegen Trunksucht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen Trunksucht, richtet sich die Beurteilung der Kündigung grundsätzlich nach den Rechtssätzen, die das Bundesarbeitsgericht für die krankheitsbedingte Kündigung aufgestellt hat. Aus den Besonderheiten der Trunksucht kann sich aber die Notwendigkeit ergeben, an die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Alkoholabhängigkeit geringere Anforderungen zu stellen.

2. Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung nicht therapiebereit, kann davon ausgegangen werden, daß er von dieser Krankheit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird. Eine von ihm nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Therapie und ihr Ergebnis können daher nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.03.1986; Aktenzeichen 2 Sa 1749/85)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.10.1985; Aktenzeichen 11 Ca 2722/85)

 

Tatbestand

Der am 28. März 1934 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 8. April 1963 zu einem Bruttostundenlohn von zuletzt 16,50 DM beschäftigt. Der Kläger war zunächst als Elektriker in der Ausstellungswerkstatt tätig. In dieser Funktion mußte er selbständig zu den einzelnen Ausstellungsorten reisen und auf Messen für die elektrischen Anschlüsse der Stände der Firma sorgen. Im Laufe des Jahres 1976 fiel der Kläger erstmals wegen starken Alkoholgenusses bei der Arbeit auf. Sein Vorgesetzter teilte in diesem Zusammenhang unter dem 20. Dezember 1976 der Personalleitung der Beklagten mit, daß der Kläger zum wiederholten Male wegen Alkoholgenusses erfolglos ermahnt worden und seine Einsatzfähigkeit beeinträchtigt sei. Da der Beklagten ein Einsatz des Klägers als Elektriker nicht mehr tragbar erschien, versetzte sie ihn zum 1. Februar 1978 in den Bereich Energiebetriebe mit dem Ziel der Ausbildung zum Kesselgänger. Hiermit war eine Rückstufung von der Lohngruppe V in die Lohngruppe III verbunden, die zum 1. September 1978 wirksam wurde.

Im Laufe des Jahres 1979 fiel der Kläger wiederum wegen Alkoholeinwirkung auf. Seine Vorgesetzten stellten dabei fest, daß er immer wieder Tätigkeiten, die mit der Kontrolle der Kessel und der Regulierung der Ventile verbunden waren, vergaß. Am 24. Dezember 1980 entfernte sich der Kläger in betrunkenem Zustand ohne Abmeldung vom Arbeitsplatz, nachdem er zuvor einen sogenannten „Flachmann” getrunken hatte. Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin am 6. Januar 1981 einen schriftlichen Verweis, nachdem sie den Betriebsrat beteiligt hatte. Sie machte den Kläger darauf aufmerksam, daß im Wiederholungsfall mit erheblich härteren Disziplinarmaßnahmen zu rechnen sei. In dem Verweis nahm die Beklagte auch darauf Bezug, daß sich der Kläger 1980 viermal kurz vor Schichtbeginn durch seine Ehefrau für einen Tag habe krankmelden lassen. Ab September 1983 wurde der Kläger von der Beklagten nur noch als Entascher innerhalb der Energiebetriebe eingesetzt, weil er auch als Kesselgänger nicht mehr einsetzbar war. Als Entascher hatte der Kläger im Kesselhaus Rundgänge an den Kesselanlagen durchzuführen und den Schlackefluß zu kontrollieren. Bei Störungen mußte er diesen wieder in Gang bringen. Dabei hatte der Kläger auch für die Entaschung zu sorgen. Im Zusammenhang mit seiner neuen Arbeitsaufgabe wurde er mit seinem Einverständnis in die Lohngruppe II zurückgestuft.

Im November 1984 fiel der Kläger seinem Vorarbeiter wiederum wegen starker Alkoholeinwirkung während der Spätschicht auf. Zu dieser war er offensichtlich bereits angetrunken erschienen. Auf Veranlassung des Werksarztes wurde der Kläger nach Hause gefahren. Auch bei dem darauf folgenden Gespräch in der Personalabteilung stand der Kläger unter Alkoholeinwirkung. Eine anschließende Untersuchung durch den Werksarzt ergab seine Arbeitsunfähigkeit, so daß er wiederum nach Hause gebracht werden mußte. Die Beklagte erteilte dem Kläger wegen dieser erneuten Vorkommnisse unter dem 4. Januar 1985 in Absprache mit dem Betriebsrat eine sogenannte „letztmalige Abmahnung”, wobei sie ihn darauf aufmerksam machte, daß er im Wiederholungsfalle mit der fristlosen Kündigung rechnen müsse. Am 9. Januar 1985 wurde der Kläger dann aus dem Schichtdienst herausgenommen und in die Tagesschicht versetzt. Der Werksarzt stellte eine Einschränkung seiner Arbeitseignung mit Gefährdung für sich selbst und andere durch gelegentlich auftretende Bewußtseinstrübungen sowie aufgrund der Einwirkung von leberschädigenden Substanzen fest.

Am 9. April 1985 wurde der Kläger gegen 11.00 Uhr erneut unter starker Alkoholeinwirkung am Arbeitsplatz angetroffen und nach Entscheidung des Werksarztes durch die Feuerwehr nach Hause gebracht. Eine im Einverständnis des Klägers durchgeführte Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 0,82 Promille. Bei einem Gespräch in der Personalabteilung am 10. April 1985 erklärte der Kläger, am Tage zuvor keinen Alkohol genossen zu haben.

Bei der Beklagten ist eine Sozialberatung eingerichtet, die auch für Fälle von Alkoholabhängigkeit zuständig ist. Der Kläger hat die von dieser Stelle angebotenen Hilfen strikt abgelehnt.

Mit Schreiben vom 15. April 1985 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer fristlosen, ersatzweise fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. In seiner Sitzung vom 16. April 1985 beschloß der Kündigungsausschuß des Betriebsrats, keine Einwände gegen eine fristgemäße Kündigung zu erheben. Die Beklagte sprach nach Mitteilung dieses Beschlusses mit Schreiben vom 17. April 1985, zugegangen am 18. April 1985, die ordentliche Kündigung zum 30. September 1985 aus und stellte den Kläger bis zum Ende der Kündigungsfrist von der Arbeit frei.

Vom 11. bis 22. Juli 1985 war der Kläger zum körperlichen Entzug (Entgiftung) in der R Landesklinik D. Seitdem befindet er sich in ärztlicher Behandlung. Der Kläger hat sich ferner einer von der Diakonie in D angebotenen Gesprächstherapie unterzogen.

Mit seiner am 9. Mai 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger sich gegen die Kündigung gewehrt. Er hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei nach den von der Rechtsprechung zur Kündigung bei Krankheit entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Sein Fehlverhalten am Arbeitsplatz sei wegen der bestehenden Alkoholabhängigkeit, der Krankheitswert zukomme, unverschuldet. Durch seine Alkoholabhängigkeit habe er, der Kläger, sein Trinkverhalten nicht mehr steuern können. Sein früheres Fehlverhalten könne ihm nicht nachteilig angelastet werden, da er krank gewesen sei. Seine Alkoholabhängigkeit sei Bestandteil seiner Erkrankung gewesen. Die Abmahnungen seien ohne Bedeutung gewesen, da er sein Verhalten nicht mehr zu steuern in der Lage gewesen sei. Insofern sei auch ein arbeitsvertraglicher Schuldvorwurf nicht möglich. Die Voraussetzungen für eine Kündigung bei Krankheit lägen nicht vor. Es sei zu berücksichtigen, daß er nach der Kündigung, die den Leidensdruck bei ihm verstärkt habe, und nach Rücksprache mit seinem Prozeßbevollmächtigten therapiebereit gewesen sei. Inzwischen sei er infolge der durchgeführten Therapien „trocken”. Die arbeitsrechtlichen Grundsätze, nach denen bei einer negativen Prognose auch die Vorfälle nach Kündigungsausspruch herangezogen werden dürften, die zugunsten des Arbeitgebers gälten, müßten hier zu seinen Gunsten zur Anwendung gebracht werden. Eine andere Sicht führe zu grob unbilligen Ergebnissen.

Die Beklagte habe auch nicht die betrieblichen Risiken im Falle seiner Weiterbeschäftigung ausreichend dargelegt.

Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung seitens der Beklagten vom 17. April 1985 zum 30. September 1985 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, seit über 10 Jahren habe sie mit dem Kläger unendliche Geduld gehabt. Durch eine Kette von Maßnahmen habe sie versucht, ihn zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten anzuhalten. Seit 1976 sei er immer wieder wegen Alkoholmißbrauchs aufgefallen. Mit seinem Einsatz sei ein erhebliches Sicherheitsrisiko verbunden gewesen. Sie habe ihn über längere Zeit hinweg unter Zurückstellung ganz erheblicher Bedenken als Entascher in den Energiebetrieben eingesetzt. Dort sei es im wesentlichen seine Aufgabe gewesen, für den ordnungsgemäßen Abfluß der Schlacken und Aschen der Brennöfen zu sorgen. Bei auftretenden Störfällen, wie z.B. Stillstand des sogenannten Kratzbandes oder Verstopfung von Trichtern, habe er diese Störungen rechtzeitig erkennen und selbständig beheben müssen. Sei er dieser Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nachgekommen, so habe es jederzeit zu kritischen Situationen für andere Mitarbeiter und die Anlage kommen können. Werde die granulierte Schlacke aus dem Wasserbad nicht rechtzeitig abtransportiert, baue sie sich auf und bilde eine sehr harte Masse. Nur durch rechtzeitiges Abfahren der Kessel bzw. Zuschalten anderer Kessel ließen sich schwerwiegende Produktionsstörungen mit hohen Produktionsverlusten und Schädigungen der Anlage vermeiden. Die Verantwortlichen für diesen Bereich hätten wegen der erkannten Unzuverlässigkeit des Klägers erhöhte Kontrollgänge machen müssen und seinen Arbeitsbereich weit über das an sich gebotene Maß hinaus überwachen müssen. Dennoch hätten sie in der ständigen Sorge gelebt, daß trotz aller Überwachung in der Zwischenzeit eine kritische Situation entstehen könne, verursacht durch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen des Klägers. Zugleich habe auch eine erhebliche Gefährdung der Person des Klägers bestanden. Zu seinen Aufgaben habe es auch gehört, Rundgänge zu machen, Aschefilter zu säubern und Schleusen zu kontrollieren. Bei all diesen Tätigkeiten bestehe bei alkoholbedingter Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit bzw. herabgesetztem Reaktionsvermögen eine ganz erhebliche Gefahr, beispielsweise in den Aschekeller abzustürzen bzw. in die Förderbänder oder Schleusen hineinzugeraten.

Im Hinblick auf die Alkoholsucht sei auch ein Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz nicht mehr in Betracht gekommen. Die Tatsache, daß der Kläger die ihm angebotene soziale Betreuung abgelehnt habe, zeige, daß er nicht in der Lage und willens sei, sein Verhalten zu ändern.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung als sozial gerechtfertigt angesehen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe in vorbildlicher Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht über Jahre hinweg alles unternommen, um dem Kläger seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Die vom Werksarzt zunächst im Januar 1985 festgestellten geistigen Ausfallerscheinungen des Klägers infolge Alkoholgenusses sowie im April 1985 ein Blutalkoholgehalt von 0,82 Promille hätten aber endgültig seine Weiterbeschäftigung unmöglich gemacht. Angesichts der immer wieder eintretenden Rückfälligkeit des Klägers hätten von der Beklagten die dadurch entstehenden betrieblichen Belastungen und Gefahren, auch im Interesse der anderen Arbeitnehmer, nicht mehr hingenommen werden können. Auch eine weitere Umsetzung des Klägers innerhalb des Betriebes sei nicht mehr möglich gewesen. Es habe auch berücksichtigt werden müssen, daß es der Kläger immer wieder abgelehnt habe, die ihm im Unternehmen der Beklagten zur Verfügung stehende soziale Betreuung anzunehmen. Durch entsprechende Therapien, insbesondere eine Entziehungskur wäre es längst möglich gewesen, den Zustand zu erreichen, den er angeblich jetzt nach Ausspruch der Kündigung erreicht hat.

Die von der Beklagten anzustellende Prognose im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, die auch Gegenstand des Anhörungsverfahrens dem Betriebsrat gegenüber gewesen sei, lasse keinen Fehler erkennen. Zwar könne nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Bestätigung oder Korrektur von Prognosen die spätere Entwicklung einer Krankheit bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz herangezogen werden. Im Falle der krankheitsbedingten Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit könne die Berücksichtigung des weiteren Krankheitsverlaufs nur dort von Erfolg sein, wo tatsächlich eine endgültige Heilung des Arbeitnehmers eingetreten sei. Die vom Kläger vorgelegten ärztlichen und Therapiebescheinigungen besagten jedoch nur, daß eine „stationäre Entgiftung” sowie eine Gesprächstherapie stattgefunden hätten. Er habe sich als Patient „sehr einsichtig und kooperativ” gezeigt. Eine „weitere ambulante Betreuung” könne durchgeführt werden. Damit könne entgegen der Behauptung des Klägers, nicht davon ausgegangen werden, daß er endgültig „trocken” sei.

Bei Abwägung des Interesses des Klägers am Bestand seines Arbeitsverhältnisses und der Beklagten an der Sicherheit ihres Betriebsablaufs müsse den Belangen der Beklagten der Vorzug gegeben werden. Auch eine 22-jährige Betriebszugehörigkeit, die ein Arbeitgeber seinem von Alkoholabhängigkeit betroffenen Arbeitnehmer zu erhalten versuche, könne gegenüber der Sicherheit am Arbeitsplatz unter Garantie eines ungestörten Betriebsablaufs dann nicht ins Gewicht fallen, wenn der Arbeitgeber über Jahre versucht habe, die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers unter Zurverfügungstellung entsprechender sozial-therapeutischer Einflußmöglichkeiten zu ermöglichen.

B.

Der Senat ist den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis und in weiten Teilen der Begründung gefolgt.

I.

Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (vgl. BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; Senatsurteil vom 10. November 1983 - 2 AZR 291/82 - AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I der Gründe). Dieser eingeschränkten Nachprüfung hält das angefochtene Urteil stand.

II.

Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die vorliegende Kündigung sei aus personenbedingten Gründen erfolgt. Der Senat vertritt mit der weitaus überwiegenden Meinung im Schrifttum und in der Rechtsprechung (BAG Urteil vom 15. März 1979 - 2 AZR 329/77 - zu III 2 der Gründe, n.v.; LAG Hamm Urteil vom 30. August 1985 - 16 (11) Sa 920/84 - LAGE § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 2; KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 194; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 1 Rz 146; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 467; Hinrichs, Arbeitsrechtliche Aspekte des Alkoholismus, AiB 1986, 211) die Auffassung, die Kündigung wegen Alkoholsucht sei nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Allerdings kann sich aus den Besonderheiten der Trunksucht unter Berücksichtigung der der jeweiligen Aufgabenstellung des Arbeitnehmers die Notwendigkeit ergeben, an die Prognose geringere Anforderungen zu stellen.

1. Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Urteil vom 1. Juni 1983 (- 5 AZR 536/80 - BAGE 43, 54 = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG) ausgeführt, Alkoholabhängigkeit sei eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liege vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuß trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden könne. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung sei die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußere sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle. Der Alkoholiker könne, wenn er zu trinken beginne, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu komme die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker könne auf Alkohol nicht mehr verzichten (zu I 2 der Gründe).

Auch das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Alkoholabhängigkeit als Krankheit angesehen (BSGE 28, 114; 46, 41, 42).

2. Wenn die Alkoholabhängigkeit eine Krankheit ist, folgt hieraus zwingend, auf eine Kündigung, die im Zusammenhang mit dieser Alkoholsucht des Arbeitnehmers steht, die Grundsätze anzuwenden, die der Senat für die krankheitsbedingte Kündigung entwickelt hat. Hierfür spricht auch, daß dem alkoholabhängigen Arbeitnehmer, der infolge seiner Alkoholabhängigkeit gegen seine Arbeitsvertragspflichten verstößt, indem er z.B. während der Arbeit Alkohol zu sich nimmt, infolge der Abhängigkeit zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen ist (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983, aa0, zu I 3 b der Gründe). Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruhen, wäre daher in der Regel schon mangels Verschuldens des Arbeitnehmers sozialwidrig. Eine verhaltensbedingte Kündigung könnte allenfalls darauf gestützt werden, der Arbeitnehmer habe schuldhaft seine – sich negativ auf das Arbeitsverhältnis auswirkende – Alkoholabhängigkeit herbeigeführt. Die Darlegung und der Beweis dieser Behauptung wird jedoch dem Arbeitgeber, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt, da das Verschulden bei der verhaltensbedingten Kündigung in der Regel Teil des Kündigungsgrundes ist (vgl. Herschel/Löwisch, aaO, § 1 Rz 85 und KR-Becker, aa0, § 1 KSchG Rz 233, beide m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum), grundsätzlich erhebliche Schwierigkeiten bereiten, nachdem es keinen dahingehenden Erfahrungssatz gibt, wonach die Alkoholabhängigkeit in der Regel selbstverschuldet ist (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983, aa0, zu I 3 d der Gründe). Demgegenüber kommt es bei der krankheitsbedingten Kündigung auf die Frage, wer die Krankheit bzw. hier die Alkoholabhängigkeit verschuldet hat, grundsätzlich nicht an.

Bei der krankheitsbedingten Kündigung ist nur im Rahmen der Interessenabwägung auf die Ursache und auch auf das Verschulden der Krankheit einzugehen (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1985 - 2 AZR 657/84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B III der Gründe und Weller, Kündigung bei Krankheit in: Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 20, 1982, S. 77, 89). Dementsprechend ist auch bei der Kündigung wegen Alkoholsucht die Frage des Verschuldens der Alkoholabhängigkeit im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen (vgl. auch KR-Becker, aa0, § 1 KSchG Rz 194; Stahlhacke, aa0, Rz 467).

3. Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung hat in drei Stufen zu erfolgen. Danach setzt eine sozial gerechtfertigte Kündigung zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes voraus. Die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung ist dann zu prüfen, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer unzumutbaren Belastung führt (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1985, aa0, zu B II 4 der Gründe).

III.

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, die von der Beklagten im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung angestellte Prognose, beim Kläger sei auch in Zukunft mit alkoholbedingter Arbeitsunfähigkeit bzw. Leistungseinschränkung zu rechnen, sei nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision kann die durch die nach Zugang der Kündigung entstandene Therapiebereitschaft und die dadurch bedingte Entwicklung der Alkoholsucht des Klägers für die bei Ausspruch der Kündigung anzustellende Prognose nicht berücksichtigt werden.

1. In seinem Urteil vom 10. November 1983 (- 2 AZR 291/82 - AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) hat der Senat ausgeführt, zur Bestätigung oder Korrektur von mehr oder weniger unsicheren Prognosen könne die spätere tatsächliche Entwicklung einer Krankheit bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz herangezogen werden. Es wäre sachlich unvertretbar und für die Parteien nicht einsehbar, wenn sie aufgrund einer ärztlichen Prognose den Prozeß verlören, die im Widerspruch zur tatsächlichen späteren gesundheitlichen Entwicklung des Arbeitnehmers stünde. Die Berücksichtigung des weiteren Krankheitsverlaufes könne sich zugunsten beider Parteien auswirken.

2. Gegen diese Rechtsprechung hat der Siebte Senat in seinem Urteil vom 15. August 1984 (- 7 AZR 536/82 - AP Nr. 16 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) zu bedenken gegeben, die Auffassung des erkennenden Senats würde dazu führen, daß die Parteien die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung kaum noch einigermaßen zuverlässig beurteilen könnten.

3. Einer Auseinandersetzung mit den Bedenken des Siebten Senats bedarf es im Streitfalle nicht, weil entgegen der Ansicht der Revision der vorliegende Sachverhalt auch unter Zugrundelegung des Urteils vom 10. November 1983 (aaO) nicht geeignet ist, die Prognose zu korrigieren.

Das Senatsurteil ist nämlich nicht so zu verstehen, daß die Entwicklung einer Krankheit bis zur letzten Tatsachenverhandlung unabhängig davon zu berücksichtigen ist, ob die Ursache für diese Entwicklung vor oder nach Zugang der Kündigungserklärung liegt. Der Senat hat vielmehr auch in dieser Entscheidung daran festgehalten, daß entscheidungserheblich die objektiven Umstände sind, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegen. Dementsprechend hat der Senat ausgeführt, zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung müßten objektive Tatsachen vorliegen, die bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen die Besorgnis weiterer Erkrankungen rechtfertigten. Ob diese Gefahr vorliege, habe der Arbeitgeber vor der Kündigung auf Grund einer Prognose festzustellen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit könnten für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen (aa0, zu B II der Gründe).

Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann daher nur insoweit berücksichtigt werden, als sie der Bestätigung oder der Korrektur der Prognose dient, d.h., wenn sich durch die spätere Entwicklung die Fehlerhaftigkeit oder die Richtigkeit der Prognose zeigt. Das ist nur dann der Fall, wenn kein neuer Kausalverlauf nach dem Kündigungszeitpunkt in Gang gesetzt wird. Bei einem neuen Kausalverlauf besagt die tatsächliche Krankheitsentwicklung nichts über die objektive Richtigkeit der zum Kündigungszeitpunkt erstellten Prognose. So wird die Prognose des Arztes, eine Krankheit führe ohne die vom Arbeitnehmer verweigerte Operation zu einer dauernden Beeinträchtigung nicht dadurch unrichtig, daß sich der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung zu dieser – dann tatsächlich erfolgreichen – Operation entschließt.

Für die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung bereit ist, eine Entziehungskur bzw. Therapie durchzuführen. Lehnt er das ab, kann erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, daß er von seiner Alkoholabhängigkeit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird.

4. Im Streitfall ist die vom Kläger behauptete, für ihn günstige Entwicklung nach seinem eigenen Vortrag auf die fast drei Monate nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte elftägige stationäre Entgiftung sowie die anschließende Bereitschaft des Klägers zur ambulanten Therapie zurückzuführen. Diese Entwicklung kann nicht berücksichtigt werden, da der Kläger zum Kündigungszeitpunkt unstreitig nicht therapiebereit war. Insoweit kommt es weder auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts an, die vom Kläger durchgeführten Maßnahmen besagten nichts über eine endgültige Heilung seiner Alkoholsucht, noch auf die Verfahrensrüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe es unterlassen, Beweis darüber zu erheben, daß der Kläger aufgrund der durchgeführten Therapiemaßnahmen „trocken” sei.

Die zum Kündigungszeitpunkt angestellte Prognose der Beklagten, es werde beim Kläger aufgrund der Vorkommnisse der letzten Jahre immer wieder zu alkoholbedingten Ausfällen kommen, da der Kläger nicht therapiebereit sei, ist daher nicht zu beanstanden.

IV.

Entgegen der Ansicht der Revision sind auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, durch die Alkoholkrankheit seien die betrieblichen Interessen der Beklagten erheblich beeinträchtigt worden, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der Werksarzt hatte unstreitig am 9. Januar 1985 u.a. bescheinigt, der Kläger leide unter gelegentlich auftretenden Bewußtseinsstörungen und sei daher für Arbeiten mit einer durch diese Störungen bedingten Gefährdung für sich selbst und andere nicht geeignet. Die Beklagte hat in ihrer Berufungserwiderung vorgetragen, der Einsatz des Klägers als Entascher sei mit einem erheblichen Sicherheitsrisiko verbunden gewesen. Als Entascher sei es im wesentlichen seine Aufgabe gewesen, für den ordnungsgemäßen Abfluß der Schlacken und Aschen der Brennöfen zu sorgen. Bei auftretenden Störfällen, wie z.B. Stillstand des sogenannten Kratzbandes oder Verstopfung von Trichtern, habe er diese Störungen erkennen und selbständig beheben müssen. Komme er dieser Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nach, so habe es jederzeit zu kritischen Situationen sowohl für andere Mitarbeiter als auch die Anlagen kommen können. Werde die granulierte Schlacke aus dem Wasserbad nicht ordnungsgemäß abtransportiert, baue sie sich auf und bilde eine sehr harte Masse. Nur durch rechtzeitiges Abfahren der Kessel bzw. Zuschalten anderer Kessel ließen sich schwerwiegende Produktionsstörungen mit hohen Produktionsverlusten und Schädigungen der Anlage vermeiden. Die Verantwortlichen in der Energiezentrale der Beklagten, in deren Bereich der Kläger eingesetzt gewesen sei, hätten wegen der erkannten Unzuverlässigkeit des Klägers erhöhte Kontrollgänge machen müssen und seinen Arbeitsbereich weit über das an sich gebotene Maß hinaus überwachen müssen. Dennoch hätten sie in der ständigen Sorge gelebt, daß trotz aller Überwachung in der Zwischenzeit eine kritische Situation entstehen könne, verursacht durch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen des Klägers. Zugleich habe auch eine erhebliche Gefährdung der Person des Klägers vorgelegen. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, Rundgänge zu machen, Aschefilter zu säubern und Schleusen zu kontrollieren. Bei all diesen Tätigkeiten bestehe bei alkoholbedingter Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit bzw. herabgesetztem Reaktionsvermögen eine ganz erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Klägers, er habe in den Aschekeller stürzen und in die Förderbänder oder Schleusen hineingeraten können.

Diesen Vortrag hat der Kläger nicht bestritten.

2. Die Beklagte konnte mit diesem Vortrag im Kündigungsschutzverfahren auch noch gehört werden.

a) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat nach § 102 BetrVG die seiner Ansicht nach maßgeblichen Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitzuteilen (BAGE 34, 309, 315 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972). Da bei der krankheitsbedingten Kündigung die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bereits Teil des Kündigungsgrundes ist, sind auch die Tatsachen, aus denen sich eine derartige erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ergibt, dem Betriebsrat zu unterbreiten (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1983 - 2 AZR 347/82 - BAGE 44, 249 = AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972). Enthält der Arbeitgeber dem Betriebsrat zum Zeitpunkt der Einleitung des Anhörungsverfahrens bekannte substantielle Tatsachen vor, weil er auf sie die Kündigung nicht stützen will oder weil er sie zunächst für unerheblich hält, so ist zwar die Anhörung wirksam, aber er kann die Tatsachen im Kündigungsschutzprozeß nicht nachschieben. Reichen dann die ursprünglich dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen zur Rechtfertigung der Kündigung nicht aus, so berührt dies nicht die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung, sondern führt zur Sozialwidrigkeit der Kündigung (BAGE 34, 309 aaO und BAGE 35, 190 = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972).

b) Entgegen der Ansicht der Revision sind auch die betrieblichen Beeinträchtigungen Gegenstand des Anhörungsverfahrens gewesen, so daß die Beklagte mit ihrem diesbezüglichen Vortrag gehört werden kann.

Zwar hat das Landesarbeitsgericht hierzu keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Dem Schreiben der Beklagten an den Betriebsrat vom 15. April 1985, mit dem die Beklagte die Stellungnahme zur fristlosen Kündigung, hilfsweise zur fristgemäßen Kündigung einholen wollte, waren aber als Anlagen Datenblatt, Fehlzeitenkarten, Arbeitseinschränkungen sowie die Kopie der letzten Abmahnung des Klägers beigefügt. Aus dem Schreiben ergibt sich weiterhin, daß das Betriebsratsmitglied E an dem mit dem Kläger und der Personalabteilung am 12. April 1985 über die Vorfälle geführten Gespräch teilgenommen hat. Die Beklagte hat vorgetragen, dem Betriebsrat sei der „Sachverhalt B” genau bekannt gewesen, da vor der Anhörung ausführliche Gespräche zwischen der Personalabteilung der Beklagten und dem Kläger in Anwesenheit von Betriebsratsmitgliedern stattgefunden hätten. Da dem Betriebsrat somit die vom Werksarzt am 9. Januar 1985 attestierte Arbeitseinschränkung bekannt war und er zugleich wußte, welche Tätigkeit der Kläger ausübte, waren ihm die Tatsachen bekannt, die letztlich zu den erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen der Beklagten geführt haben.

3. Die betriebliche Beeinträchtigung hat auch nicht durch eine weitere Umsetzung des Klägers innerhalb des Betriebes vermieden werden können. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit festgestellt, daß eine derartige Umsetzung des Klägers nicht mehr möglich gewesen sei. Soweit die Revision diese Feststellung angreift, hat sie keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Insbesondere hat der Kläger während des Verfahrens nicht dargelegt, an welchem Arbeitsplatz eine anderweitige, nicht durch seine Alkoholsucht beeinträchtigte Beschäftigung für ihn möglich gewesen wäre.

V.

Auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung ist nicht zu beanstanden.

1. Bei der Interessenabwägung steht dem Berufungsgericht ein Beurteilungsspielraum zu. Nachgeprüft wird durch das Revisionsgericht nur, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und in sich widerspruchsfrei gewürdigt sind (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1983, aa0, zu B III 4 der Gründe).

2. Das ist vorliegend der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat die Belastungen der Beklagten dem Interesse des Klägers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes gegenübergestellt. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht in die Interessenabwägung das Sicherheitsrisiko, das die Weiterbeschäftigung des Klägers darstellt, einbezogen hat (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1983, aa0, zu B III 4 der Gründe). Zutreffenderweise hat das Landesarbeitsgericht zugunsten der Beklagten ferner deren jahrelanges Bemühen zur Schaffung einer Grundlage für die Weiterbeschäftigung u.a. durch die Nutzung ihrer therapeutischen Einrichtung durch den Kläger berücksichtigt. Die Trunksucht weist gegenüber anderen Krankheiten die Besonderheit auf, daß der Erkrankte in stärkerem Maße als sonst seine Krankheit nicht wahrhaben will und deshalb in vielen Fällen nichts zur Heilung unternimmt. Dem hat die Beklagte Rechnung getragen, indem sie den Kläger darauf hinwies, er könne ihre therapeutische Einrichtung in Anspruch nehmen. Mehr als die Bereitstellung einer sozialtherapeutischen Einrichtung kann von einem Arbeitgeber nicht verlangt werden. Der Senat hat deshalb vorliegend nicht die Frage zu entscheiden gehabt, ob vom Arbeitgeber, der nicht über eine derartige sozialtherapeutische Einrichtung verfügt, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung zunächst die Gelegenheit gegeben werden muß, sich einer Entziehungskur zu unterziehen.

3. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe im Rahmen der Interessenabwägung nicht nach den Umständen gefragt, die zur Trunksucht geführt hätten, ist unbeachtlich.

Zwar sind, wie schon ausgeführt, die Umstände, die zur Trunksucht geführt haben, im Rahmen der Interessenabwägung angemessen zu berücksichtigen (KR-Becker, aa0, § 1 KSchG Rz 194). Vorliegend sind jedoch die Umstände, die beim Kläger zur Trunksucht geführt haben sollen, von keiner der Parteien vorgetragen worden. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung auf diesen Punkt auch nicht eingehen können. Ein Verschulden hat das Berufungsgericht dem Kläger nicht unterstellt.

Soweit die Revision auf das Urteil des Fünften Senats vom 1. Juni 1983 (aa0) verweist, wonach der Arbeitgeber darlegen müsse, daß die Alkoholabhängigkeit vom Arbeitnehmer schuldhaft herbeigeführt worden sei, übersieht sie, daß das Urteil die Frage der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall behandelt, bei der ein schuldhaftes Handeln des Arbeitnehmers den Lohnfortzahlungsanspruch ausschließt. Vorliegend kommt es jedoch für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zwingend darauf an, ob der Kläger schuldhaft gehandelt hat oder nicht, da die Sozialwidrigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung nicht davon abhängt, ob der Arbeitnehmer die Krankheit schuldhaft herbeigeführt hat. Die Schuldfrage ist lediglich bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen und ist daher abhängig vom Vortrag der Parteien.

C.

War zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung also damit zu rechnen, daß der Kläger auch in Zukunft alkoholabhängig sein würde, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, die Alkoholabhängigkeit des Klägers habe zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen geführt und in einer sorgfältigen Interessenabwägung ohne Rechtsfehler entschieden, vorliegend würde das Interesse der Beklagten an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses überwiegen, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Triebfürst, Dr. Weller, Ascheid, Thieß, Dr. Bächle

 

Fundstellen

Haufe-Index 60151

BB 1987, 1815

BB 1987, 1815-1816 (LT1-2)

DB 1987, 2156-2158 (LT1-2)

NJW 1987, 2956

AiB 1987, 266-267 (LT1-2)

ARST 1987, 182-183 (LT1-2)

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