Entscheidungsstichwort (Thema)

Durchgriffshaftung im GmbH & Co. KG-Konzern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Regeln über die konzernrechtliche Durchgriffshaftung gelten auch im Falle einer Unternehmensaufspaltung in einem GmbH & Co. KG-Konzern, wenn die Betriebsgesellschaft von der Besitzgesellschaft umfassend gesteuert wird, die Betriebsgesellschaft nicht für ihre Liquidität vorsorgen kann und die Besitzgesellschaft nicht darzulegen vermag, daß sich eine unabhängige Gesellschaft auf eine derartige Verhaltensweise hätte einlassen können.

2. Bei einer Aufspaltung in eine Vertriebs- und eine Produktions-KG, welche dieselbe Verwaltungs-GmbH als Komplementärin haben, kann neben der Verwaltungs-GmbH auch die Vertriebsgesellschaft wegen Verbindlichkeiten der Produktionsgesellschaft im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch genommen werden, wenn sich die Verwaltungs-GmbH bei ihrer beherrschenden, auf die Interessen der Produktionsgesellschaft unzureichend Rücksicht nehmenden Leitung der Vertriebsgesellschaft bedient und bei ihr ihre unternehmerischen und ihre Vermögensinteressen konzentriert hat.

 

Normenkette

AktG §§ 303, 322; KO § 61 Abs. 1 Nr. 6, § 146

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 28.01.1997; Aktenzeichen 6 Sa 474/96)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 10.01.1996; Aktenzeichen 4 Ca 1659/94)

 

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 28. Januar 1997 – 6 Sa 474/96 – wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Der klagende Pensions-Sicherungs-Verein hat die auf ihn übergegangenen, bei der Wohnmöbel H GmbH & Co. KG erworbenen Versorgungsrechte im Konkurs über das Vermögen der H Möbelwerke GmbH & Co. KG als nicht bevorrechtigte Ausfallforderungen zur Konkurstabelle angemeldet. Die Parteien streiten darüber, ob die Voraussetzungen einer Durchgriffshaftung erfüllt sind.

Beide Gesellschaften gingen aus der im Jahre 1971 ins Handelsregister eingetragenen H KG Wohnmöbelwerke hervor. Ihr Gegenstand war die Herstellung von Möbeln und Einrichtungsgegenständen sowie der Handel hiermit. Seit 1975 gibt es die H Verwaltungsgesellschaft mbH. Sie übernahm die Geschäftsführung und die Verwaltung der H Unternehmensgruppe. Im Jahre 1980 trat an die Stelle der H KG Wohnmöbelwerke die H Wohnmöbelwerke GmbH & Co. KG. Sie wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 27. Dezember 1983 in die H Möbelwerke GmbH & Co. KG umbenannt. Zum selben Zeitpunkt fand eine Unternehmensaufspaltung statt: Die Möbelproduktion wurde auf die neu gegründete Wohnmöbel H GmbH & Co. KG (im folgenden: Produktionsgesellschaft) übertragen, während der Vertrieb der produzierten Möbel sowie alle zentralen Verwaltungsaufgaben bei der H Möbelwerke GmbH & Co. KG (im folgenden: Vertriebsgesellschaft) verblieben.

Komplementärin beider Kommanditgesellschaften ist die H Verwaltungsgesellschaft mbH, die auch deren alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin ist. Die Verwaltungsgesellschaft ist mit einem Stammkapital von 50.000,00 DM gegründet worden, wovon Herr Philipp H 49.000,00 DM und Herr Bernd H 1.000,00 DM halten. Beide sind daneben Kommanditisten der Vertriebs- wie auch der Produktionsgesellschaft. Bei der Vertriebsgesellschaft beläuft sich die Einlage des Herrn Philipp H auf 3.800.000,00 DM und die Einlage des Herrn Bernd H auf 200.000,00 DM. Bei der Produktionsgesellschaft lauten die Einlagen für Philipp und Bernd H auf 47.500,00 DM und 2.500,00 DM.

Bei der Unternehmensaufspaltung verblieb der Vertriebsgesellschaft das Eigentum am Betriebsgrundstück und an den Produktionsanlagen. Die Produktionsgesellschaft zahlte für deren Nutzung keine Miete oder Pacht. Dieser Umstand wurde bei der Bemessung der Kaufpreise berücksichtigt, welche die Produktionsgesellschaft von der Vertriebsgesellschaft für die produzierten Möbel erhielt. Die Preise waren so kalkuliert, daß die Produktionsgesellschaft mit einem – am Umsatz gemessen – geringen Gewinn arbeitete. Lediglich im Jahr 1991 kam es zu einem geringfügigen Verlust. Die Vertriebsgesellschaft war die einzige Auftraggeberin. Sie beschaffte die erforderlichen Rohstoffe und verkaufte sie an die Produktionsgesellschaft zur auftragsbezogenen Produktion der Möbel.

Seit der Betriebsaufspaltung wurden alle Arbeitnehmer von der Produktionsgesellschaft beschäftigt. Sie erledigten im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse auch die für die Vertriebsgesellschaft anfallenden Aufgaben. Die Vertriebsgesellschaft beschäftigte lediglich Putzfrauen. Die Löhne und Gehälter wurden von der Produktionsgesellschaft ausgezahlt. Streitig ist, welche Gesellschaft die Steuern und Sozialabgaben abführte.

Am 31. März 1993 wurde der Konkurs über die Vermögen der Vertriebsgesellschaft, der Produktionsgesellschaft und der H Verwaltungsgesellschaft mbH eröffnet. In allen drei Konkursverfahren ist der Beklagte Konkursverwalter.

Der klagende Pensions-Sicherungs-Verein erfüllt die Versorgungsansprüche von rund 300 Arbeitnehmern, die bei der Produktionsgesellschaft bis zur Konkurseröffnung beschäftigt waren. Die auf ihn übergegangenen Ansprüche belaufen sich auf insgesamt 8.549.040,00 DM. Der Beklagte hat der Eintragung einer entsprechenden Forderung in die Konkurstabelle im Konkursverfahren der Vertriebsgesellschaft widersprochen. Diesen Widerspruch will der Kläger mit seiner Feststellungsklage überwinden.

Der Kläger ist der Auffassung, die Vertriebsgesellschaft müsse für die Versorgungsverbindlichkeiten der Produktionsgesellschaft wegen ihres beherrschenden Einflusses auf dieses Unternehmen nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung im Konzern, wegen Rechtsformmißbrauchs und wegen der verbliebenen arbeitsrechtlichen Restbeziehung einstehen. Die Verantwortung für die Buchführung und die Finanzierung beider Kommanditgesellschaften habe bei der Vertriebsgesellschaft gelegen. Sie habe über die Verwaltungsgesellschaft als Komplementärin die Produktionsgesellschaft wie eine bloße Betriebsabteilung eines einheitlichen Unternehmens geleitet. Die beiden Unternehmen hätten sogar einen gemeinsamen Betrieb gebildet. Es sei vielfach nicht klar gewesen, wer eigentlich in diesem Betrieb die Arbeitgeberstellung innegehabt habe. Auch die wirtschaftlichen Trennlinien zwischen der Vertriebs- und der Produktionsgesellschaft seien häufig nicht klar gewesen. Beispielsweise habe die Vertriebsgesellschaft die auf die Arbeitsentgelte entfallenden Steuern und Sozialabgaben in eigenem Namen gezahlt. Im übrigen sei die Produktionsgesellschaft von Anfang an unterkapitalisiert gewesen. Sie habe nicht die Möglichkeit gehabt, am Markt eigene wirtschaftliche Erfolge zu erzielen.

Der Kläger hat beantragt,

seine Forderung gegen die Wohnmöbel H GmbH & Co. KG in Höhe von 8.549.040,00 DM zur Konkurstabelle der H Möbelwerke GmbH & Co. KG als nicht bevorrechtigte Ausfallforderung festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach seiner Auffassung liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung der Grundsätze über die Durchgriffshaftung im qualifiziert faktischen Konzern nicht vor. Dies beruhe bereits darauf, daß es vorliegend nicht um Kapital-, sondern um Personengesellschaften gehe. Die Vertriebsgesellschaft habe zudem wegen fehlender Beteiligung an der Produktionsgesellschaft gar keine Möglichkeiten gehabt, über die Gesellschafterversammlung Einfluß auf die Willensbildung bei der Produktionsgesellschaft zu nehmen. Es habe auch keine Vermengung oder Vermischung der Vermögensmassen beider Gesellschaften stattgefunden. Unternehmensaufspaltungen in der hier gewählten Form zum Zwecke der Haftungsbegrenzung seien allgemein anerkannt und zulässig. Den Arbeitnehmern sei ebenso wie allen anderen Gläubigern klar gewesen, zu welcher der beiden Gesellschaften Rechtsbeziehungen bestanden hätten. Die Arbeitnehmer seien sich bewußt gewesen, bei der Produktionsgesellschaft angestellt gewesen zu sein, von der auch die Lohnabrechnungen herrührten. Gelegentliche Irrtümer bei einzelnen Schreiben oder bei Überweisungen von Steuern oder Sozialabgaben könnten hieran nichts ändern. Die Vertriebsgesellschaft habe sich gegenüber den Arbeitnehmern nie wie ein Arbeitgeber verhalten. Deshalb gebe es keine arbeitsrechtliche Restbeziehung zu ihr. Auch ein Rechtsformmißbrauch komme als Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers nicht in Betracht. Wenn die Rechtsordnung Gesellschaften mit beschränkter Haftung ermögliche, billige sie die sich hieraus ergebende Haftungsbeschränkung.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben dem Klageantrag entsprochen. Mit seiner Revision strebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Die Vertriebsgesellschaft als Gemeinschuldnerin muß nach den Grundsätzen über die konzernrechtliche Durchgriffshaftung für die gegenüber der Produktionsgesellschaft nicht durchsetzbaren Versorgungsverbindlichkeiten einstehen. Die sich hieraus ergebenden Ansprüche sind mit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Produktionsgesellschaft nach § 9 Abs. 2 BetrAVG auf den Kläger übergegangen. Er nimmt mit ihnen als einfache Konkursforderungen nach § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO am Konkursverfahren der Vertriebsgesellschaft teil und kann deren Feststellung zur Konkurstabelle nach dem Bestreiten des Beklagten gemäß § 146 Abs. 1, 5, 7 KO betreiben.

I. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs kommt ein Haftungsdurchgriff durch die unmittelbar schuldende Gesellschaft in Betracht, wenn sich die Wahl der haftungsbeschränkenden Rechtsform objektiv als mißbräuchlich darstellt. Folgende Fallgestaltungen können einzeln oder jedenfalls bei einer Gesamtschau eine solche mißbräuchliche Ausnutzung haftungsbegrenzender Gesellschaftsformen darstellen: eine Vermögensverschiebung aus dem haftenden Unternehmen heraus (BAG Urteil vom 19. Januar 1988 – 3 AZR 263/86 – BAGE 57, 198, 204 f. = AP Nr. 70 zu § 613 a BGB, zu II 3 der Gründe), eine umfassende, eigennützige und für das Unternehmen nachteilige Fremdsteuerung (BAG Urteil vom 8. März 1994 – 9 AZR 197/92 – AP Nr. 6 zu § 303 AktG; Urteil vom 4. Oktober 1994 – 3 AZR 910/93 – BAGE 78, 87 = AP Nr. 32 zu § 16 BetrAVG; Urteil vom 1. August 1995 – 9 AZR 378/94 – AP Nr. 8 zu § 303 AktG, jeweils m.w.N.) oder eine offenkundige Unterkapitalisierung, bei der die Ausstattung mit Stammkapital in einem groben Mißverhältnis zum angestrebten Geschäftsziel steht (BGH Urteil vom 4. Mai 1977 – VIII ZR 298/75 – NJW 1977, 1449, 1450; BSGE 56, 76, 83 ff.).

Hiervon ausgehend sind die Regeln über die konzernrechtliche Durchgriffshaftung auch im Falle einer Unternehmensaufspaltung anwendbar. Eine Durchgriffshaftung auf das Vermögen der Besitzgesellschaft ist dann gerechtfertigt, wenn die Betriebsgesellschaft von der Besitzgesellschaft gesteuert wird, die Betriebsgesellschaft nicht für ihre Liquidität vorsorgen kann und die Besitzgesellschaft nicht darzulegen vermag, daß sich eine unabhängige Gesellschaft auf eine derartige Verhaltensweise hätte einlassen können (Schaub, NZA 1989, 5, 8; Ulmer, NJW 1986, 1579, 1586; Wiedemann, ZIP 1986, 1293 ff.).

II. Nach diesen Grundsätzen haftet die Gemeinschuldnerin (Vertriebsgesellschaft) mit ihrem Vermögen für die Versorgungsverbindlichkeiten der Produktionsgesellschaft.

1. Die Produktionsgesellschaft wurde von der Vertriebsgesellschaft in der Art einer unselbständigen Betriebsabteilung beherrscht und umfassend gesteuert.

Die Produktionsgesellschaft hatte weder Anlagevermögen noch unternehmerische Außenkontakte. Ihr Wohl und Wehe hing allein davon ab, daß die Vertriebsgesellschaft ihr die erforderlichen Räumlichkeiten und Produktionsmittel zur Verfügung stellte. Für deren Überlassung wurde nicht einmal ein förmlicher, Besitzrechte begründender Vertrag abgeschlossen. Die Produktionsgesellschaft war von Aufträgen, Kaufverträgen und Rohstofflieferungen der Vertriebsgesellschaft abhängig. Eigenständige unternehmerische Aktivitäten der Produktionsgesellschaft waren ausgeschlossen. Sie lagen allein in den Händen der Vertriebsgesellschaft, die über die herzustellenden Möbel, die einzusetzenden Rohstoffe und den Umfang der Produktion entschied.

Die Abhängigkeit der Produktionsgesellschaft wird dadurch unterstrichen, daß sie auch für die Aufgaben, die nicht ihr, sondern der Vertriebsgesellschaft oblagen, die benötigten Arbeitnehmer einzustellen und zu beschäftigen hatte. Die dadurch verursachten Zuständigkeitsüberschreitungen und -verwechslungen, die der Kläger im einzelnen dargelegt hat und die insbesondere den Bereich der Arbeitsorganisation und der Arbeitsverträge betreffen, mögen zwar nichts daran ändern, daß zur Vertriebsgesellschaft keine arbeitsrechtlichen Beziehungen bestanden. Die Vorgänge beleuchten aber die umfassende Einbindung der Produktionsgesellschaft in die unternehmerischen Ziele und Vorgaben der Vertriebsgesellschaft.

2. Die ohne eigenes Anlagevermögen und unterkapitalisiert gegründete Produktionsgesellschaft war wegen der umfassenden Beherrschung und Leitung außerstande, Rücklagen zu bilden und für etwaige wirtschaftliche Problemsituationen Vorsorge zu treffen. Die Vertriebsgesellschaft hat verhindert, daß sich die Produktionsgesellschaft so verhielt, wie sich ein konzernunabhängiges Unternehmen im wirtschaftlichen Eigeninteresse notwendigerweise hätte verhalten müssen.

Die Produktionsgesellschaft hatte nur einen sich aus Verrechnungspreisen ergebenden ausgeglichenen Haushalt, sieht man einmal von den an einem Umsatz von 40 Mio. DM gemessen äußerst geringfügigen Gewinnen ab. Dies war, wie das Landesarbeitsgericht unwidersprochen festgestellt hat, von vornherein mit der Preiskalkulation für die produzierten Möbel angestrebt worden. Unter diesen Umständen mußte jede Störung oder jedes Absatzproblem der Vertriebsgesellschaft sich unmittelbar bei der Produktionsgesellschaft auswirken. Eine Möglichkeit, schwierige Zeiträume zu überbrücken, bestand für die Produktionsgesellschaft unter diesen Umständen nicht. Bei Kommanditeinlagen von 50.000,00 DM und einem Gesellschaftskapital der Komplementärin von 50.000,00 DM fehlte jede Reaktionsmöglichkeit für ein Unternehmen, dessen monatliche Lohnkosten bereits ein Vielfaches der genannten Beträge ausmachten, ohne daß hierfür irgendwelche anderweitigen Sicherheiten zur Verfügung standen.

Das Landesarbeitsgericht hat überzeugend begründet, warum durch diese Fremdsteuerung die Rechte der Arbeitnehmer der Produktionsgesellschaft wesentlich verschlechtert worden sind. Rücklagen zur Sicherung der Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung konnten von der Produktionsgesellschaft nicht gebildet werden. Die Versorgungsansprüche wurden außergewöhnlichen Risiken ausgesetzt. Der Personengruppe, die nach allgemeiner Auffassung besonderen sozialen Schutzes bedarf, stand ein Arbeitgeber gegenüber, der keinerlei Sicherheiten geben konnte. Alle sonstigen Personen, die mit der H -Gruppe in Rechtsbeziehungen traten, wurden Geschäftspartner der Vertriebsgesellschaft, deren Anlagevermögen als Haftungsmasse zur Verfügung stand.

Eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerinteressen kann nicht unter Hinweis auf die gesetzliche Insolvenzsicherung durch den Kläger verneint werden. Die Insolvenzsicherung dient dem Schutz der Arbeitnehmer. Sie soll nicht die konzernrechtliche Durchgriffshaftung zu Lasten der Solidargemeinschaft der Arbeitgeber einschränken. Der Pensions-Sicherungs-Verein ist so zu stellen, wie die Arbeitnehmer ohne die Insolvenzsicherung stünden. Entscheidend ist, ob ein objektiver Mißbrauch der Haftungsbegrenzung vorliegt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die an der konzernrechtlichen Konstruktion Beteiligten eine Schädigung der Arbeitnehmer oder Dritter bezweckt haben. Die objektive Gefährdung durch die konzernverursachte Verschlechterung der objektiven Lage des Unternehmens oder zumindest Verhinderung einer außerhalb eines Konzerns möglichen und notwendigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage reicht als Grundlage der Durchgriffshaftung im Interesse der zu schützenden Gläubiger aus.

3. Eine unabhängige Gesellschaft hätte sich auf die Verfahrensweise, wie sie im Verhältnis zwischen der Vertriebsgesellschaft und der Produktionsgesellschaft praktiziert worden ist, nicht eingelassen. Ohne Konzernbindung hätte ein Unternehmen mit dem Aufgabenbereich der Produktionsgesellschaft Anlagevermögen gebildet, seine Preise nach Eigeninteresse kalkuliert und eine derartige Absperrung vom allgemeinen Markt, wie sie durch die Vertriebsgesellschaft vorgenommen worden ist, nicht hingenommen.

4. Die schädlichen Einwirkungen der Vertriebsgesellschaft auf die Produktionsgesellschaft fanden in einer konzernmäßigen Verknüpfung statt, die eine rechtsähnliche Anwendung der §§ 303, 322 AktG ermöglicht.

Die Grundsätze für eine Durchgriffshaftung und die Übertragung der Vorschriften des Aktienrechts sind zwar anhand von GmbH-Konzernen entwickelt worden. Das Landesarbeitsgericht hat aber überzeugend begründet, daß jedenfalls in einem GmbH & Co.-Konzern wie dem der H -Gruppe nichts anderes gelten kann. Entscheidend ist, daß die Produktionsgesellschaft in ihrer gesellschaftsrechtlichen und haftungsrechtlichen Struktur keine wesentlichen Unterschiede zu einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufweist. Sie verfügt im Ergebnis nur über ein geringes haftendes Kapital ohne eine umfassende persönliche Haftung. Ihre Entscheidungsprozesse sind nach dem Gesellschaftsvertrag entsprechend den Regeln bei einer Kapitalgesellschaft gestaltet, indem das Mehrheitsprinzip statt des Prinzips der Einstimmigkeit gilt. Die personelle Identität der Gesellschafter aller beteiligten Gesellschaften gewährleistet, daß ein einheitlicher unternehmerischer Wille durchgesetzt werden kann, der die Interessen der Einzelunternehmen in ein Gesamtkonzept einbindet, ohne dabei auf deren Einzelinteressen so Rücksicht zu nehmen, wie dies bei einem konzernunabhängigen Unternehmen geboten wäre. Der Produktionsgesellschaft standen keine rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, eigenständige unternehmerische Ziele unabhängig von der Willensbildung bei der Vertriebsgesellschaft oder der Verwaltungsgesellschaft zu verfolgen. Wenn es unter diesen Bedingungen im Interesse der Unternehmensgruppe zu einer unzureichenden und die wirtschaftliche Lage des beherrschten Unternehmens beeinträchtigenden Entwicklung kommt, besteht für die Gläubiger der Schutzbedarf, um dessenwillen die aktienrechtlichen Vorschriften geschaffen wurden, die nach den Grundsätzen über die Durchgriffshaftung einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen das letztlich haftende Unternehmen geben (BAG Urteil vom 8. März 1994 – 9 AZR 197/92 – BAGE 76, 79 = AP Nr. 6 zu § 303 AktG).

5. Das Landesarbeitsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, daß die Regeln über die Durchgriffshaftung im Verhältnis zwischen der Produktionsgesellschaft und der Vertriebsgesellschaft gelten. Zwar handelt es sich bei der Vertriebsgesellschaft nicht um das rechtlich herrschende Mutterunternehmen der Produktionsgesellschaft. Dies war die Verwaltungs-GmbH. Sie hat sich jedoch der Vertriebsgesellschaft bei ihrer beherrschenden, auf die Interessen der Produktionsgesellschaft unzureichend Rücksicht nehmenden Leitung bedient. Sie hat bei ihr ihre unternehmerischen und ihre Vermögensinteressen konzentriert. Die Vorteile, die sich aus der unzureichenden Berücksichtigung der Interessen der Produktionsgesellschaft für den Unternehmensverbund ergaben, sind so planmäßig zur Vertriebsgesellschaft gelangt. Deren Vermögen muß dann auch im Wege der Durchgriffshaftung für die Verbindlichkeiten der Produktionsgesellschaft einstehen.

 

Unterschriften

Kremhelmer, Bott, Bepler, H. Reissner, Martschin

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 08.09.1998 durch Bartel, Regierungshauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436222

DB 1999, 1068

HFR 1999, 1018

NJW 1999, 2612

NWB 1999, 1536

GmbH-StB 1999, 155

ARST 1999, 283

EWiR 1999, 537

FA 1999, 169

JR 1999, 308

KTS 1999, 386

NZA 1999, 543

NZG 1999, 661

RdA 1999, 356

RdA 2000, 235

SAE 1999, 207

ZIP 1999, 723

AG 1999, 376

AP, 0

GmbHR 1999, 658

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