Leitsatz

1. Auch wenn im Rubrum eines Einspruchsschreibens ein "Bescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag" genannt ist, ist der Einspruch als lediglich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags gerichtet anzusehen, wenn die Einspruchsbegründung ausschließlich auf Rechtsfragen in Zusammenhang mit dem Solidaritätszuschlag eingeht und das Ruhen "des Rechtsbehelfsverfahrens" wegen eines Musterprozesses zum Solidaritätszuschlag beantragt wird.

2. Der BFH darf ein Einspruchsschreiben selbst auslegen, wenn die vom FG vorgenommene Auslegung rechtsfehlerhaft ist, das FG aber alle für die Auslegung maßgebenden Umstände festgestellt hat.

 

Normenkette

§ 357 Abs. 3 Satz 1 AO, § 118 Abs. 2 FGO, § 133 BGB

 

Sachverhalt

Das FA erließ gegen die Kläger einen "Bescheid für 2007 über ESt, KiSt und SolZ". Ihr Einspruchsschreiben lautete:

„Bescheid für 2007 über ESt, KiSt und SolZ

Sehr geehrte Damen und Herren,

gegen den Bescheid für 2007 über ESt, KiSt uns SolZ legen wir Einspruch ein. Der Einspruch richtet sich gegen die Festsetzung des SolZ. Der Bund der Steuerzahler hat beim Niedersächsischen FG Klage gegen die Erhebung des SolZ eingereicht. Das Musterverfahren bezieht sich auf den Veranlagungszeitraum 2007.” Nach Ablauf der Einspruchsfrist ging beim FA ein weiterer Schriftsatz der Kläger ein, in dem es hieß, der Einspruch werde weiter damit begründet, dass nunmehr erstmals negative Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb geltend gemacht würden. Das FA verwarf diesen Einspruch in Bezug auf die ESt wegen Fristversäumnis als unzulässig. Das FG sah das anders. Der (erste) fristgerechte Einspruch sei auslegungsbedürftig gewesen, weil dort zwar alle drei Verwaltungsakte (ESt, KiSt und SolZ) genannt seien, sich die Begründung aber auf den SolZ beschränkt habe. Da die ESt nicht nur im "Betreff", sondern auch im Text des Schreibens nochmals ausdrücklich erwähnt worden sei, habe der Einspruch auch die ESt umfasst. Hinzu komme, dass eine Begründung des Einspruchs nicht zwingend erforderlich sei (Niedersächsisches FG, Urteil vom 5.7.2011, 1 K 136/10, Haufe-Index 2859270).

 

Entscheidung

Die Revision des FA war begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur ­Abweisung der Klage. Zwar habe das FG den fristgerechten Einspruch zu Recht als auslegungsbedürftig angesehen, seine Auslegung sei aber rechtsfehlerhaft gewesen.

 

Hinweis

Mit diesem – erst nachträglich auf Bitten der Finanzverwaltung zur Veröffentlichung bestimmten – Urteil bestätigt der X. Senat die Rechtsprechung des VI. Senats vom 8.5.2008 (VI R 12/05 BFHE 222, 196, BStBl II 2009, 116) zur Auslegung eines Einspruchs und zur revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit der finanzgerichtlichen Auslegung und wendet sie auf die Auslegung von Sammelbescheiden an.

Folgende Grundsätze sind dabei zu beachten:

1. Gem. § 357 Abs. 3 Satz 1 AO "soll" bei der Einlegung des Rechtsbehelfs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Danach ist die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs zwar nicht von einer genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig. Fehlt es allerdings an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des tatsächlich Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen. Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen.

2. Die Auslegung des Einspruchs ist Gegenstand der vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die der BFH gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden. Das Revisionsgericht kann die Auslegung durch das FG nur daraufhin überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat.

3. Demgegenüber ist revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar, ob der Einspruch auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärungen nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt haben.

4. Bei der Auslegung sowohl außerprozessualer als auch prozessualer Rechtsbehelfe ist entsprechend § 133 BGB der wirkliche Wille zu erforschen. Dieser ergibt sich nicht nur aus dem Rubrum, sondern zusätzlich aus der Begründung des Einspruchsschreibens, auch wenn eine Begründung gem. § 357 Abs. 3 Satz 2 AO für die Erhebung eines zulässigen Einspruchs nicht erforderlich ist.

5. Zwar gehört die Auslegung eines Einspruchsschreibens zu den vom FG zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, sodass der BFH die Auslegung grundsätzlich nicht selbst vornehmen darf. Eine Ausnahme gilt, wenn entweder eine notwendige Auslegung durch das FG gänzlich unterblieben ist oder das FG eine rechtsfehlerhafte Auslegung vorgenommen hat, sofern alle maßgebenden Tatsachen durch das FG festgestellt worden sind.

 

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