1.

1Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, Vorteile und Nachteile auszugleichen, die sich durch Steuerfestsetzungen ergeben haben, die inhaltlich einander widersprechen. 2Sie bietet insoweit die gesetzliche Grundlage für die Änderung einer oder beider Festsetzungen (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d).

 

2.

1Nach § 174 Abs. 1 ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, wenn ein bestimmter Sachverhalt mehrfach zuungunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist, obwohl er nur einmal hätte berücksichtigt werden dürfen. 2Hierbei kann es sich um Fälle handeln, in denen z.B. dieselbe Einnahme irrtümlich verschiedenen Steuerpflichtigen, verschiedenen Steuern oder verschiedenen Besteuerungszeiträumen zugeordnet worden ist. 3Auch die Fälle, in denen mehrere Finanzämter gegen denselben Steuerpflichtigen für dieselbe Steuer und denselben Besteuerungszeitraum Steuerbescheide erlassen haben, fallen hierunter.

4Der fehlerhafte Steuerbescheid ist in den Fällen des § 174 Abs. 1 nur auf Antrag aufzuheben oder zu ändern. 5Hat der Steuerpflichtige fälschlich nur einen Antrag auf Änderung des rechtmäßigen Steuerbescheides gestellt, ist der Antrag allgemein als Antrag auf Beseitigung der widerstreitenden Festsetzung zu behandeln. 6Die Antragsfrist (§ 174 Abs. 1 Satz 2) ist eine gesetzliche Frist i.S.d. § 110. 7Über den fristgerecht gestellten Antrag kann auch noch nach Ablauf der Jahresfrist entschieden werden.

 

3.

1§ 174 Abs. 2 regelt in entsprechender Anwendung des § 174 Abs. 1 die Fälle, dass ein bestimmter Sachverhalt mehrfach zugunsten eines oder mehrerer Steuerpflichtiger berücksichtigt worden ist. 2Die Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides ist von Amts wegen vorzunehmen. 3Eine Änderung nach § 174 Abs. 2 ist nicht auf den Fall der irrtümlichen Doppelberücksichtigung eines bestimmten Sachverhaltes beschränkt, sie kommt auch bei bewusst herbeigeführten widerstreitenden Steuerfestsetzungen in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 6.9.1995 - XI R 37/95 - BStBl 1996 II, S. 148).

4Unter den Begriff des Antrages oder einer Erklärung des Steuerpflichtigen im Sinne dieser Vorschrift fallen auch formlose Mitteilungen und Auskünfte außerhalb des Steuererklärungsvordrucks (vgl. BFH-Urteil vom 13.11.1996 - XI R 61/96 - BStBl 1997 II, S. 170) sowie für den Beteiligten von Dritten abgegebene Erklärungen (z.B. im Rahmen des § 80 Abs. 1 und 4, § 200 Abs. 1).

 

4.

1Ein "Widerstreit" im Sinne des § 174 Abs. 1 und 2 setzt voraus, dass die in verschiedenen Steuerbescheiden vorgenommenen Feststellungen bzw. Besteuerungen aufgrund der materiellen Rechtslage nicht miteinander vereinbar sind. 2Sie stehen im Widerspruch zueinander, da nur einer der beiden Steuerbescheide und die darin angeordnete Rechtsfolge zutreffend sein kann. 3Nach materiellem Recht muss sich die mehrfache Erfassung eines bestimmten Sachverhaltes zwingend ausschließen.

 

5.

1In unionskonformer Auslegung des § 174 Abs. 1 und 2 kann auch ein Steuerbescheid, der von einer Finanzbehörde eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) Anwendung findet, erlassen wurde, eine widerstreitende Steuerfestsetzung im Sinne des § 174 Abs. 1 oder 2 begründen (BFH-Urteil vom 9.5.2012 - I R 73/10 - BStBl 2013, II S. XX). 2Die Änderung eines inländischen Steuerbescheids nach § 174 Abs. 1 oder 2 setzt voraus, dass eine aus innerstaatlicher Sicht rechtswidrige/fehlerhafte Behandlung des Sachverhaltes im inländischen Steuerbescheid vorliegt. 3Ein rechtmäßiger Steuerbescheid kann nicht nach § 174 Abs. 1 oder 2 geändert werden (vgl. BFH-Urteil vom 17.6.2006 - II R 48/04 - BFH/NV, 2006 S. 1611 m.w.N.). 4Auch eine später eingetretene Rechtswidrigkeit aufgrund rückwirkender geänderter Rechtslage (neue oder geänderte Rechtsnorm) oder rückwirkender Ereignisse berechtigt nicht zu einer Änderung nach § 174 Abs. 1 und 2.

5Bei einem Antrag auf Änderung eines von einer inländischen Finanzbehörde erlassenen Steuerbescheids zugunsten eines Steuerpflichtigen liegt die objektive Feststellungslast im Hinblick auf den ausländischen Steuerbescheid bei dem Steuerpflichtigen. 6Zudem trifft ihn insoweit eine erhöhte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 2).

Beispiel:

1Die inländische Finanzbehörde hat bei der Festsetzung der Einkommensteuer Einkünfte als steuerpflichtig berücksichtigt. 2Der Einkommensteuerbescheid wird bestandskräftig. 3Der Steuerpflichtige beantragt ein Jahr später die Änderung dieses Einkommensteuerbescheids, da die fraglichen Einkünfte auch in den Niederlanden versteuert worden seien.

4Zu prüfen ist zunächst, ob Deutschland insoweit ein Besteuerungsrecht hatte. 5Wenn dies zu verneinen ist, muss als weitere Voraussetzung eine mehrfache und mit dem materiellen Recht unvereinbare Berücksichtigung dieser Einkünfte in verschiedenen Steuerbescheiden vorliegen. 6Der Steuerpflichtige hat zum einen darzulegen, dass die Besteuerung im Inland rechtswidrig bzw. fehlerhaft war, und zum anderen nachzuwe...

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