Leitsatz

Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das einen korrekturbedürftigen Zustand auslöst.

 

Normenkette

§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 351 Abs. 1 AO, § 32d Abs. 6 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte im Streitjahr 2010 Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus der Beteiligung als Mitunternehmer an einer KG. In der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr wurden ihm (zunächst) Einkünfte als Mitunternehmer der KG in Höhe von 305.814,15 EUR zugerechnet. Für die im selben Jahr erzielten Kapitaleinkünfte stellte der Kläger keinen Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG, da eine Hinzurechnung der Kapitalerträge zu den übrigen Einkünften nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung geführt hätte. Die Einkommensteuerfestsetzung wurde bestandskräftig. Das FA änderte danach den Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und setzte die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb auf 7.733 EUR herab. Die Kläger erhoben gegen den Änderungsbescheid Einspruch und beantragten die Günstigerprüfung für die Kapitaleinkünfte gemäß § 32d Abs. 6 EStG, die aufgrund der Herabsetzung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erstmals zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führen konnte. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Das FG gab der Klage statt (FG Köln, Urteil vom 30.3.2017, 15 K 2258/14, Haufe-Index 11248156, EFG 2017, 1592).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Ist der tarifliche Einkommensteuersatz niedriger als der Abgeltungsteuersatz für Kapitaleinkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG in Höhe von 25 %, kann der Steuerpflichtige nach § 32 Abs. 6 EStG einen Antrag auf Günstigerprüfung stellen. Dieser führt dazu, dass die Kapitaleinkünfte dem niedrigeren progressiven Steuersatz unterliegen.

2. Zwar kann der Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStGunbefristet gestellt werden. Nach dem Eintritt der formellen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids ist dies jedoch nur möglich, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift erfüllt sind.

3. Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Änderung des Bescheides mit dem Einspruch angefochten wird. Denn nach § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die einen unanfechtbaren Verwaltungsakt ändern, nur insoweit angegriffen werden, wie die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Korrekturvorschriften etwas anderes ergibt. D. h. eine niedrigere Einkommensteuerfestsetzung kann aufgrund eines im Einspruchsverfahrens gestellten Antrags auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG nur dann erreicht werden, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift vorliegen.

4. Das Urteil ist insoweit innovativ, als der BFH entschieden hat, dass der Erlass eines geänderten Einkommensteuerbescheids ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist, wenn aufgrund der geänderten Steuerfestsetzung die Voraussetzungen des § 32d Abs. 6 EStG erstmals erfüllt werden. Im vorliegenden Fall wurde durch die Herabsetzung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Bezug auf die Besteuerung der Kapitaleinkünfte mit dem Abgeltungsteuersatz ein korrekturbedürftiger Zustand geschaffen, da der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG nun erstmals Erfolg haben konnte.

5. Dabei ist zu beachten, dass die Antragstellung nach § 32d Abs. 6 EStG selbst kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist. Werden jedoch nach Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid geänderte Besteuerungsgrundlagen in einer Weise berücksichtigt, dass ein Antrag gemäß § 32d Abs. 6 EStG – erstmals erfolgreich – gestellt werden kann, handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Denn durch den Erlass des Änderungsbescheids verändert sich nach Eintritt der Bestandskraft der maßgebliche Sachverhalt für die Beurteilung der Frage, ob die Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 14.7.2020 – VIII R 6/17

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