Leitsatz

Die Anschaffung eines PKW-Kastenwagens, auf den eine außergewöhnlich Gehbehinderte angewiesen ist, um ihr Liegefahrrad in das Umland zu transportieren, da sie in der Stadt nicht mehr fahren kann, führt nicht zu außergewöhnlichen Belastungen, wenn Anschaffungskosten in derselben Größenordnung auch für ein anderes Fahrzeug der unteren Mittelklasse hätten aufgewandt werden müssen.

 

Sachverhalt

Die Klägerin leidet unter anderem seit 25 Jahren an einem schweren Morbus Parkinson Asymmetrisches Bent-Spine-Syndrom mit schwerer rechtsseitiger Spastik, Multipler Sklerose und Osteoporose. Sie machte Aufwendungen für einen PKW-Kastenwagen (18.250 EUR) und ein Liegefahrrad (6.600 EUR) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Finanzamt hat die Berücksichtigung abgelehnt, da die Aufwendungen für Fahrtkosten als außergewöhnliche Belastungen bereits mit einem pauschalen Kilometersatz von 0,30 EUR für die durch die Behinderung veranlassten Fahrten (3.000 km) und die übrigen Privatfahrten (3.000 km) berücksichtigt worden seien. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin weiter die Berücksichtigung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen, da die Anschaffung des Liegefahrrads und des Kastenwagens durch ihre schwere Behinderung veranlasst gewesen seien.

 

Entscheidung

Kosten für ein Liegefahrrad: Da der auf der Grundlage der in § 33 Abs. 4 EStG enthaltenen Verordnungsermächtigung ergangene § 64 Abs. 1 EStDV keinen rechtsstaatlichen Bedenken begegne, sei ein qualifizierter Nachweis nach § 64 Abs. 1 EStDV auch im Streitjahr 2018 bei der Anschaffung eines Liegefahrrads zu erbringen, da es sich dabei um ein medizinisches Hilfsmittel, das als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens im Sinne von § 64 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f) EStDV in Verbindung mit § 139 SGB V anzusehen ist, handele. Das vorgelegte ärztliche Gutachten stellt nach Auffassung des FG keinen qualifizierten Nachweis im Sinne von § 64 Abs. 1 EStDV dar.

Kosten für einen PKW-Kastenwagen: Nach der Rechtsprechung des BFH ist es nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass statt der Pauschsätze für behinderungsbedingte Fahrten (wie im Streitfall vom Finanzamt berücksichtigt) die tatsächlichen Kosten als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden können, wenn der Behinderte wegen seiner Behinderung auf ein besonderes Fahrzeug angewiesen sei, für das überdurchschnittlich hohe Aufwendungen entstanden seien (vgl. BFH, Urteil v. 13.12.2001, III R 6/99, BStBl 2002 II S. 198). Da sich die Anschaffungskosten in Höhe von 18.250 EUR jedoch in einer Größenordnung bewegten, die die Klägerin auch für ein anderes Fahrzeug der unteren Mittelklasse hätten aufwenden müssen, können nach Auffassung des FG die tatsächlichen Kosten für den Kastenwagen nicht gesondert als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.

 

Hinweis

Das FG hat die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil das Urteil auf nicht (oder jedenfalls nicht umfassend) höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen beruhe. Da die Klägerin jedoch keine Revision eingelegt hat, ist das Urteil rechtskräftig geworden.

 

Link zur Entscheidung

FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 08.11.2021, 7 K 7157/20

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