Leitsatz

Erkennt der leibliche Vater eines Kindes in einem Rechtsstreit um die Gewährung eines Kinder- und Haushaltsfreibetrags während des finanzgerichtlichen Verfahrens die Vaterschaft an, nachdem das Kind die Scheinvaterschaft des ehelichen Vaters angefochten hat, hat das FG die zivilrechtlich bis zur Geburt zurückwirkende Vaterschaft bei der Entscheidung über die angefochtenen Einkommensteuerbescheide zu berücksichtigen und die kindbedingten Steuervorteile zu gewähren.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO

 

Sachverhalt

Die Mutter des Kindes K, die mit dem Kläger zusammenlebt, war zur Zeit der Geburt noch verheiratet, so dass das K nach der bürgerlich-rechtlichen Vaterschaftsvermutung (§ 1592 Nr. 1 BGB) als Kind ihres damaligen Ehemanns galt. Dem FA war dies nicht bekannt. Es berücksichtigte K daher auf den Antrag des Klägers bei diesem. Später erfuhr das FA den wahren Sachverhalt und strich dementsprechend beim Kläger den Kinder- und Haushaltsfreibetrag.

Erst während des Klageverfahrens wurde die Vaterschaft des Klägers gerichtlich festgestellt und vom Kläger notariell anerkannt. Das FG war der Meinung, die Vaterschaftsanerkennung wirke nicht zurück, es bleibe bei der bürgerlich-rechtlichen Ehelichkeitsvermutung, so dass K nach wie vor als Kind des Scheinvaters zu behandeln sei.

 

Entscheidung

Dieser Auffassung des FG tritt der BFH entgegen. Die Vaterschaftsanerkennung ist als rückwirkendes Ereignis im laufenden FG-Verfahren zu berücksichtigen. Die Änderungsbescheide waren aufzuheben. Die erstmaligen Bescheide, mit denen das Kind beim Kläger – seinerzeit zu Unrecht, wegen des rückwirkenden Ereignisses aber aus späterer Sicht zu Recht – berücksichtigt wurde, sind rechtmäßig.

 

Hinweis

Die Verwandtschaft ersten Grades, die nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG für die Berücksichtigung eines Kindes beim Steuerpflichtigen entscheidend ist, richtet sich nach dem bürgerlichen Recht. Danach stammt ein Kind vom Mann nur dann ab, wenn dieser zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war (sog. Vaterschaftsvermutung) oder die Vaterschaft anerkannt hat oder wenn die Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde (§ 1592 BGB).

Ficht das Kind die Vaterschaft des bei der Geburt mit seiner Mutter verheirateten Mannes erfolgreich an, wirkt dieses Urteil auf die Geburt zurück mit der Folge, dass die ursprüngliche Vaterschaftsvermutung (sog. Scheinvaterschaft) entfällt. Ebenso wirkt die Anerkennung der Vaterschaft zivilrechtlich rechtsgestaltend zurück mit der Folge, dass von Anfang an ein echtes Verwandtschaftsverhältnis des Anerkennenden zu dem Kind begründet wird (§ 1592 Nr. 2 BGB).

Der BFH sieht in dem Vaterschaftsanerkenntnis ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das das FA verpflichtet, bereits bestandskräftige ESt-Bescheide nachträglich zu ändern und bei dem nunmehr auch steuerlich als Vater anzuerkennenden Steuerpflichtigen die kindbedingten Steuervorteile zu gewähren. Denn die ergangenen Steuerbescheide sind aufgrund der rückwirkenden Änderung des Sachverhalts nachträglich rechtswidrig geworden.

Wichtig ist noch die generelle Aussage des BFH, dass beim Eintritt eines rückwirkenden Ereignisses erst im finanzgerichtlichen Verfahren der Kläger nicht darauf verwiesen werden kann, nunmehr einen Änderungsantrag zu stellen und gegen eine etwaige Ablehnung durch das FA erneut Klage zu erheben. Vielmehr hat das FG die Folgerungen aus dem rückwirkenden Ereignis bereits im laufenden Klageverfahren zu ziehen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.7.2005, III R 68/04

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