Hat ein Einspruch oder eine Klage gegen einen Steuerbescheid Erfolg (Gesetzeswortlaut: "… zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, …"), weil sich das Finanzamt über die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts geirrt hat, können (bedeutet aber wie bei § 171 Abs. 3 AO "müssen"[1]) gem. § 174 Abs. 4 AO aus dem vom Finanzamt irrig beurteilten Sachverhalt durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen (nachteiligen) Folgerungen für eine (andere) Steuerfestsetzung gezogen werden. Das Gleiche gilt, wenn ein Steuerbescheid auf Antrag nach einer Änderungsvorschrift geändert oder aufgehoben wird.

Die zutreffende Berücksichtigung desselben Sachverhalts muss nicht notwendigerweise bei der selben, sondern kann auch bei einer anderen Steuerart in Frage kommen, soweit – bezogen auf den zu beurteilenden Sachverhalt – eine sachliche Verbindung zwischen beiden Regelungsgegenständen besteht.[2]

Wer vor der Frage steht, gegen einen Steuerbescheid einen Rechtsbehelf einzulegen oder einen Korrekturantrag zu stellen, sollte in seine Überlegungen immer zugleich die möglichen Konsequenzen bei einer Stattgabe des Einspruchs bzw. Antrags einbeziehen.

 
Praxis-Beispiel

Folgekorrektur nach Abhilfe

Das Finanzamt hat Einnahmen entgegen der Erklärung des S nicht im ESt-Bescheid für 01 angesetzt, in der Meinung, sie seien dem VZ 02 zuzuordnen. Auf die Abweichung von der Steuererklärung und den Grund dafür hat es den S nicht hingewiesen. S wundert sich daher, dass er ein Jahr später die von ihm für den VZ 01 erklärten Einnahmen in den Besteuerungsgrundlagen des Bescheids 02 entdeckt.

Gegen den Bescheid 02 legt S daher Einspruch ein (alternativ: Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO), worauf das Finanzamt in einem Abhilfebescheid die Einnahmen nicht mehr ansetzt, weil sie im Jahr 01 zu erfassen seien.

Eine Änderung des Bescheids 01 nach § 174 Abs. 3 AO scheidet mangels Erkennbarkeit durch S hinsichtlich der ursprünglichen fehlerhaften Annahme des Finanzamts aus. Der Bescheid für 01 ist aber nach § 174 Abs. 4 AO zu ändern. Das Finanzamt hat aufgrund irriger Beurteilung die Einnahmen in 02 statt in 01 erfasst. Der Bescheid 02 wurde anschließend aufgrund des Rechtsbehelfs des S zu dessen Gunsten geändert. Das Finanzamt kann jetzt nachträglich den bestandskräftigen Bescheid 01 ändern, da sich im Rechtsbehelfsverfahren des S herausgestellt hat, dass die Einnahmen doch dort zu erfassen sind.

 
Praxis-Beispiel

Folgekorrektur bei Sachverhaltskomplex

S hat im Rahmen eines Einspruchsverfahrens mit ­Erfolg geltend gemacht, dass vom Finanzamt angenommene nachträgliche Herstellungskosten bei den Einkünften aus VuV als sofort abzugsfähiger Erhaltungsaufwand abzuziehen sind. Sind in der Zwischenzeit für die Nachfolgejahre – folgerichtig – AfA berücksichtigt worden, sind die betreffenden ESt-Bescheide zu ändern und die AfA zu streichen. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts i. S. d. § 174 Abs. 4 AO ist also nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen Sachverhaltskomplex. Die irrige Beurteilung eines solchen Komplexes kann sich in mehreren Besteuerungsabschnitten auswirken und dementsprechend die Änderung der Steuerbescheide für mehrere Veranlagungszeiträume erforderlich machen.[3]

§ 174 Abs. 4 AO bezweckt, wie die beiden Beispiele zeigen, den Ausgleich einer zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung. Derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (ggf. auch ein Dritter unter der Voraussetzung des Abs. 5). Sinn und Zweck der Vorschrift ist es letztlich, dass die Finanzbehörde die richtige Entscheidung später so durchsetzen kann, wie dies im Zeitpunkt der fehlerhaften Entscheidung möglich gewesen wäre.

Somit setzt eine (Folge-)Änderung nach § 174 Abs. 4 AO weder voraus, dass mit der (Ausgangs-)Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen dessen Antrag entsprochen wurde, noch dass die Auswirkungen der Änderung zugunsten und der Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen einander aufheben. Ein Verböserungshinweis – zur Ermöglichung der Einspruchs- bzw. Antragsrücknahme – ist auch nicht erforderlich, wenn die Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen im Ergebnis zu einer steuerlichen Mehrbelastung durch die Folgeänderung führt.[4]

Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, wer – das Finanzamt oder der Steuerpflichtige selbst – die Ursache für den Fehler gesetzt hat.[5] Entscheidend ist allein die objektive Unrichtigkeit des Ausgangsbescheids. Eine lediglich von der Behörde angenommene, tatsächlich aber nicht bestehende Unrichtigkeit rechtfertigt die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 4 AO nicht.[6]

 
Wichtig

Folgeänderung auch bei wissentlich falscher Beurteilung des Finanzamts, nicht bei Rechtsmissbrauch

Eine irrige Beurteilung i. S. d. § 174 Abs. 4 AO kann auch dann angenommen werden, wenn dem F...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge