Wie bereits die ursprüngliche Fassung (s. Becker, BBK 2017, 803, 807) gehen auch die Neufassungen des § 1 KassenSichV sprachlich jeweils über die Ermächtigung nach § 146a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AO hinaus:

„§ 1 Elektronische Aufzeichnungssysteme

Elektronische Aufzeichnungssysteme im Sinne des § 146a Absatz 1 Satz 1 der Abgabenordnung sind elektronische oder computergestützte Kassensystem oder Registrierkassen. Nicht als elektronische Aufzeichnungssysteme gelten  ...”

Die Ermächtigung der Verwaltung gem. § 146a Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AO erschöpft sich in der Bestimmung, welche elektronischen Aufzeichnungssysteme mit einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung (zTSe) nach § 146a Abs. 1 S. 2 AO zu schützen sind (vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucks. 407/16, 21 als auch AEAO zu § 146 Nr. 2.1.4). Der Umfang der elektronischen Aufzeichnungssysteme bestimmt sich hingegen nach § 146a Abs. 1 S. 1 AO. Unter Berücksichtigung der Konkretisierungen durch die GoBD (BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Rz. 20) ist hierunter die im Unternehmen oder für Unternehmenszwecke zur elektronischen Datenverarbeitung eingesetzte Hard- und Software zu verstehen, mittels welcher Daten und Dokumente

  • im Sinn der außersteuerlichen und steuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten sowie
  • Unterlagen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind,

erfasst, erzeugt, empfangen, übernommen, verarbeitet oder übermittelt werden. Der Begriff der elektronischen Aufzeichnungssysteme umfasst Haupt, Vor- und Nebensysteme. Beispiele sind Systeme zur Finanzbuchführung, Anlagenbuchhaltung, Lohnbuchhaltung, Waren- und Materialwirtschaft, Fakturierung, Zeiterfassung, Archivierung, zum Zahlungsverkehr und Ähnliches mehr.

Beachten Sie: Die Verwaltung ist an die (nicht zweifelsfreie, s.u.) Ermächtigung des Gesetzgebers gebunden. Eine darüber hinausgehende Regelungskompetenz steht ihr nicht zu. Im Ergebnis ist § 1 KassenSichV dahingehend auszulegen, dass diese Regelung den Umfang der zu schützenden elektronischen Aufzeichnungssysteme, nicht aber den Rechtsbegriff des elektronischen Aufzeichnungssystems nach § 146a Abs. 1 S. 1 AO bestimmt.

Beraterhinweis Die Pflicht zur Einzelaufzeichnung nach § 146 Abs. 1 AO gilt unabhängig von der Art

Rechtsqualität und offene Fragen: Die KassenSichV ist eine administrative Rechtsverordnung. Sie fällt somit in die Verwerfungskompetenz der Fachgerichte (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146a AO Rz. 16 m.w.N. [Lfg. 166]). Derzeit ist die Frage ungeklärt, ob die Ermächtigung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) zur Entscheidung über die Grundsatzfrage, welche elektronischen Aufzeichnungssysteme dem Anwendungsbereich der KassenSichV unterliegen, gegen das Wesentlichkeitsgebot des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG (vgl. BVerfG v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130, 142) verstößt (Liepert / Sahm, BB 2016, 1313, 1316). Fraglich ist ferner, ob das Zustimmungserfordernis von Bundestag und Bundesrat ausreichen würde, einen eventuellen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt zu heilen (so Desens, FR 2017, 507, 510). Denn auch bei dieser Annahme verbliebe es in Betrachtung der Gebote zur Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilungen bei einer Vermischung der Kompetenzen und Zuständigkeiten von Legislative und Exekutive (s. Märtens in Gosch, AO/FGO, § 146aAO Rz. 44 [Lfg. 161]).

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