Rz. 1

Stand: EL 119 – ET: 10/2019

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist (> Fristen) einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs 1 Satz 1 AO, § 56 Abs 1 FGO); es ist dies "ein grundlegendes Erfordernis eines rechtsstaatlichen Verfahrens" (Tipke, StuW 2004, 3 [9f] mit verfassungsrechtlichen Erwägungen). Die Entscheidung liegt nicht im > Ermessen des FA (> Rz 7, 8). Die Wiedereinsetzung räumt die schädlichen Folgen des Fristversäumnis aus.

Die Regelung gilt für verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Fristen; das sind Handlungs- und Erklärungsfristen, die gegenüber der Finanzbehörde zu wahren sind (vgl AEAO zu § 110 Nr 1). Dabei handelt es sich um nicht verlängerbare Fristen (sog Ausschlussfristen) wie die Rechtsbehelfsfristen (> Rechtsbehelfe Rz 20, 45, 67, 69, 77), die Frist für einen Antrag auf Änderung der ELStAM (§ 39 Abs 6 Satz 6 EStG; > Lohnsteuerabzugsmerkmale Rz 25), die Frist für einen Antrag auf LSt-Ermäßigung (§ 39a Abs 2 Satz 3 EStG; > Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren Rz 86), die Frist für den Antrag auf Ausstellung einer > Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug für ArbN ohne > Identifikationsnummer (§ 39 Abs 3 Satz 1 EStG iVm § 39e Abs 8 Satz 1 EStG), für im öffentlichen Dienst beschäftigte ArbN ohne > Wohnsitz oder gewöhnlichen > Aufenthalt im > Inland (§ 1 Abs 2 EStG), für im > Ausland Rz 1 lebende Stpfl, die > Inländische Einkünfte erzielen (§ 1 Abs 3 EStG) sowie für beschränkt steuerpflichtige ArbN (§ 39 Abs 2 Satz 2 iVm § 39 Abs 3 Satz 1 EStG; > R 39.3 LStR; > Beschränkte Steuerpflicht Rz 25 ff).

 

Rz. 1/1

Stand: EL 119 – ET: 10/2019

Nicht wiedereinsetzungsfähig sind die gesetzlichen Fristen, die von den FinBeh als Verwaltungsträger im Verwaltungsverfahren zu beachten sind; darunter fällt die Festsetzungsfrist (vgl AEAO zu § 110 Nr 1). Die frühere – zweijährige – Ausschlussfrist für den Antrag aufVeranlagung von Arbeitnehmern ist aufgehoben worden (vgl § 46 Abs 2 Nr 8 EStG idF des JStG 2008), sodass für eine rechtzeitige Antragstellung nur die > Verjährung zu beachten ist; da jedoch Festsetzungsfristen nicht unter den Regelungsinhalt des § 110 AO fallen, kann für einen erst nach deren Eintritt gestellten Antrag keine Wiedereinsetzung gewährt werden (BFH 220, 214 = BStBl 2008 II, 462 – VerfB nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG vom 06.04.2009 – 1 BvR 1692/08). Sieht das Gesetz eine Fristverlängerung vor, kommt nicht Wiedereinsetzung, sondern rückwirkende Fristverlängerung in Betracht (§ 109 Abs 1 Satz 2 AO); das gilt zB für die Frist zur Abgabe der > Steuererklärung und die vom FA gesetzten Fristen. Für die gesetzliche Monatsfrist zur Beantragung einer Wiedereinsetzung nach § 110 Abs 2 Satz 1 AO (> Rz 2) kann keine Fristverlängerung (§ 109 AO) gewährt werden (vgl AEAO zu § 110 Nr 4).

 

Rz. 2

Stand: EL 119 – ET: 10/2019

Die Wiedereinsetzung ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu beantragen und zu begründen. Das Hindernis iSv § 110 Abs 2 Satz 1 AO ist weggefallen, wenn der Betroffene von der Fristversäumung Kenntnis erlangt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erlangen können oder müssen (vgl AEAO zu § 110 Nr 3). Antrag und Begründung sind bei dem FA einzureichen, das über die versäumte Handlung (zB den Einspruch oder den Antrag auf Feststellung eines Freibetrags im LSt-Ermäßigungsverfahren) zu entscheiden hat; bei Gericht beträgt die Frist zwei Wochen (§ 56 Abs 2 FGO; > Rechtsbehelfe Rz 83). Wird diese Frist versäumt, gibt es insoweit keine Wiedereinsetzung (BFH/NV 2011, 1524). Innerhalb der Frist sind die Wiedereinsetzungsgründe darzulegen und die versäumte Handlung nachzuholen. Ist diese Frist versäumt worden, kann hierfür unter den Voraussetzungen des § 110 AO Wiedereinsetzung gewährt werden. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung aber grundsätzlich nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden; eine Ausnahme gilt nur, wenn die rechtzeitige Nachholung der versäumten Handlung wegen höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs 3 AO).

 

Rz. 3

Stand: EL 119 – ET: 10/2019

Ist die Frist versäumt worden, die versäumte Handlung (zB der Einspruch) aber gleichwohl innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist vorgenommen worden, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag, also von Amts wegen, gewährt werden (§ 110 Abs 2 Satz 4 AO). Hat der Stpfl die Rechtsbehelfsfrist versäumt, so ist die Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren, wenn das FA vom erklärten Sachverhalt abgewichen ist, ohne den Stpfl vorher anzuhören oder die Abweichungen im Steuerbescheid zu erläutern (§ 126 Abs 3 AO). Eine inhaltlich falsche Begründung durch das FA steht einer fehlenden Begründung iSd § 126 Abs 3 AO gleich (EFG 1979, 579). Im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung (Anhörung oder Begründung) beginnt die Wiedereinsetzungsfrist (> Rz 2; § 126 Abs 3 Satz 2 AO).

 

Rz. 4

Stand: EL 119 – ET: 10/2019

Die Fristversäumnis verschuldet, we...

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