Rz. 12/2

Stand: EL 136 – ET: 11/2023

Durch die Einfügung des Abs 1a in § 62 EStG wird der KiG-Anspruch für Freizügigkeitsberechtigte ab dem 01.08.2019 neu geregelt. Davor hatten in Deutschland lebende freizügigkeitsberechtigte Staatsangehörige eines anderen EU- oder EWR-Mitgliedstaats (zu den EU/EWR-Staaten > Europäische Union) sowie der Schweiz (vgl § 62 Abs 2 iVm Abs 1 EStG) ohne zeitliche Beschränkung Anspruch auf KiG. Weitere Hinweise zur Schweiz > Rz 33. Sie benötigten keine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis (> Rz 13), sondern hatten, wenn sie im Inland wohnten, grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf KiG wie Deutsche (> Europäische Union Rz 5 ff). Einzelheiten ergaben sich aus den Verordnungen (EG) Nr 883/2004 und 987/2009 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Darüber hinaus galt das Gleichbehandlungsgebot gemäß den Verträgen über die EU (> Rz 8). Ebenso, wenn das Kind nicht in Deutschland lebte (> Rz 23). Zur Identifizierung des Kindes > Rz 19.

 

Rz. 12/3

Stand: EL 136 – ET: 11/2023

Die Freizügigkeitsberechtigung gilt grundsätzlich für alle, die einer Beschäftigung nachgehen sowie für Personen, die in der Lage sind, sich selbst zu unterhalten. Sie beruht in Deutschland auf dem FreizügG/EU vom 30.07.2004 (BGBl 2004 I, 1950 [1986]). Zur Berechtigung von Unionsbürgern während der Geltung von Übergangsbestimmungen, die die Aufnahme einer Beschäftigung einschränken, vgl BFH 248, 519 = BStBl 2015 II, 901. Die Freizügigkeitsberechtigung muss mit einer Bescheinigung des ausländischen Versicherungsträgers darüber nachgewiesen werden, dass der Betroffene in irgendeinem Zweig der sozialen Sicherheit in einem EU-Mitgliedstaat versichert ist (vgl BFH 234, 316 = BStBl 2013 II, 619; andernfalls kein Anspruch – BFH 248, 20 = BStBl 2018 II, 394). Die Zuständigkeit nur eines Mitgliedstaates soll einheitlich für alle Systeme der sozialen Sicherheit getroffen werden und gilt deshalb auch hinsichtlich des KiG (BFH 200, 205 und 211 = BStBl 2002 II, 869; BFH/NV 2002, 1584; 2003, 29). Derartige Bescheinigungen aus einem anderen Staat sind für die Familienkassen bindend (BFH 234, 316 = BStBl 2013 II, 619; BFH 237, 412 = BStBl 2013 II, 623; BFH/NV 2012, 1765); auch wenn sie in ausländischer Sprache vorgelegt werden (BFH/NV 2014, 681). Zur Prüfungskompetenz des FG für die Freizügigkeitsberechtigung vgl BFH 258, 16 = BStBl 2017 II, 963.

 

Rz. 12/4

Für Zeiträume ab August 2019 besteht nach § 62 Abs 1a Satz 1 EStG iVm § 52 Abs 49a Satz 1 EStG für Berechtigte mit EU- bzw EWR-Staatsangehörigkeit erst ein Anspruch auf KiG nach den ersten drei Monaten nach Begründung des Wohnsitzes bzw des gewöhnlichen Aufenthalts. Diese zeitliche Beschränkung gilt nicht bei Erzielung von inländischen Gewinneinkünften oder nichtselbständigen Einkünften (§ 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1–4 EStG) mit Ausnahme von Einkünften iSd § 19 Abs 1 Satz 1 Nr 2 EStG (> Wartegelder, > Beamtenpension, > Waisengelder). Ab dem vierten Monat besteht sodann Anspruch auf KiG, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 und 3 FreizügG/EU (Recht auf Einreise und Aufenthalt) vorliegen. Für Arbeitsuchende iSd § 2 Abs 2 Nr 1a FreizügG/EU gilt dies nur, wenn vorher eine andere der in § 2 Abs 2 FreizügG/EU genannten Voraussetzungen erfüllt war (§ 62 Abs 1a Satz 3 EStG). Zur Prüfungskompetenz der Finanzkasse vgl § 62 Abs 1a Sätze 6 und 7 EStG.

Ergänzend A 4.2 Abs 4 DA-KG [> Rz 9/3] und BT-Drs 19/8691, S 63ff.

Zur Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht vgl Brandis/Heuermann (vormals Blümich), Ertragsteuerrecht, § 62 EStG Rz 47 und kritisch Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, § 62 EStG Rz 6.

 

Rz. 12/5

Stand: EL 136 – ET: 11/2023

Die vorstehend genannten Regelungen schließen indes eine Doppelberechtigung nicht aus, denn für einen in Deutschland tätigen ArbN aus dem EU-Ausland gelten inländische Vorschriften wie §§ 62ff EStG; die Kollisionsregeln der EU – wie zB die Zuständigkeitsregelungen der VO (EG) Nr 883/2004 (> Rz 8) – haben keine Sperrwirkung gegenüber dem nationalen Recht (BFH/NV 2015, 1083 mwN). Erhält ein ArbN nicht nur in dem nach EU-Recht eigentlich zuständigen Mitgliedstaat der EU, sondern auch in Deutschland KiG, darf das KiG in Deutschland um den Betrag gekürzt werden, der dem ArbN in dem anderen Staat zusteht (Differenz-KiG; ergänzend > Rz 34).

 

Beispiel:

Der polnische ArbN ist mit Familie in Polen ansässig. Sein polnischer ArbG entsandte ihn wiederholt mehrere Monate lang zur Ausführung von Handwerkerarbeiten ins Inland. Während dieser Zeit war er ausschließlich in Polen sozialversichert und hatte dort Anspruch auf Leistungen für seine Kinder. Die ausschließliche Rechtszuständigkeit Polens nach EU-Recht schließt aber nicht aus, dass in Deutschland nach innerstaatlichem Recht ein Anspruch auf KiG besteht. Dann kann aber die in Polen gewährte Familienleistung auf das KiG anzurechnen sein. Vgl ergänzend BFH/NV 2015, 331.

Zum polnischen Saisonarbeiter: BFH 241, 511 = BStBl 2013 II, 1040; BFH/NV 2014, 306; 506; 1205; in Deutschland wohnender, in Polen beschäftig...

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