Rz. 166

Stand: EL 126 – ET: 04/2021

Bei der Inanspruchnahme eines nach § 69 AO Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs 1 AO: "kann"; vgl auch § 5 AO und > Rz 100 ff), die von den Gerichten darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid rechtswidrig ist, weil die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem > Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl § 102 FGO; > Rechtsbehelfe Rz 38; BFH 155, 243 = BStBl 1989 II, 219). Zum Umfang der gerichtlichen Überprüfung von Haftungsbescheiden iSd § 69 AO und § 191 AO vgl BFH 125, 126 = BStBl 1978 II, 508. Das FA muss auch bei einer auf Vorschriften der AO gestützten Haftung die Ermessensausübung kenntlich machen (> Rz 204 ff). Das gilt in erster Linie für das Auswahlermessen, zB bei mehreren Gf (> Rz 100 ff, > Rz 125 ff) oder beim Wechsel des Vereinsvorstands (EFG 2006, 13), aber auch für das Entschließungsermessen (vgl BFH 151, 111 = BStBl 1988 II, 176; > Rz 100 ff, > Rz 105 ff). Kein Kriterium für die Ausübung des Ermessens ist die Höhe des Haftungsanspruchs (BFH 158, 13 = BStBl 1989 II, 979) oder die Zahlungsfähigkeit des eventuell Haftenden (BFH 139, 310 [312] = BStBl 1984 II, 70; BFH/NV 1990, 348). Bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung kann nicht von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung mit der Folge ausgegangen werden, dass das FA auf die Darlegung der Ermessensausübung im Haftungsbescheid (oder spätestens in der Einspruchsentscheidung) verzichten kann (BFH 155, 243, aaO). Es muss vielmehr im Einzelnen ausführen, weshalb es gerade diesen Gf, der grob fahrlässig gehandelt hat, in Anspruch nimmt. Ob dies auch bei vorsätzlicher Pflichtverletzung erforderlich ist, hat BFH 155, 243, aaO offengelassen. Von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung idS kann allenfalls ausgegangen werden, wenn das FA selbst bei seiner Entscheidung über den Haftungstatbestand von Vorsatz des Haftungsschuldners ausgegangen ist (BFH 149, 511 = BStBl 1988 II, 170; BFH/NV 1991, 641). Das FA braucht seine Entschließung, den GmbH-Gf in Anspruch zu nehmen, aber nicht zusätzlich begründen, wenn der Steueranspruch beim ArbN als Steuerschuldner oder bei einem anderen Haftungsschuldner (zB bei der GmbH) nicht realisiert werden kann (BFH 151, 111 = BStBl 1988 II, 176; BFH/NV 1991, 283). Eine Minderung oder ein Ausschluss der Haftung aufgrund eines Mitverschuldens des FA kommt nur dann in Betracht, wenn das finanzbehördliche Fehlverhalten ein solch erhebliches Ausmaß annimmt, dass demgegenüber das > Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt; eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Haftungsschuldners schließt die Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens des FA grundsätzlich aus (BFH/NV 2006, 232 mwN; 2010, 11).

 

Rz. 167

Stand: EL 126 – ET: 04/2021

Das Auswahlermessen für die Inanspruchnahme eines von zwei jeweils alleinvertretungsberechtigten GmbH-Geschäftsführern ist idR nicht sachgerecht ausgeübt, wenn das FA hierfür allein auf die Beteiligungsverhältnisse abstellt. Soweit beide den Haftungstatbestand erfüllen, kann als sachgerechtes Kriterium ein unterschiedlicher Grad des Verschuldens in Betracht kommen. Die Geburt eines Kindes durch eine Gfin während des Haftungszeitraums ist – wenn nicht schon beim Haftungstatbestand (§ 69 AO) – beim Auswahlermessen zu berücksichtigen (BFH 161, 486 = BStBl 1990 II, 1008); dies soll nach EFG 2004, 154 allenfalls bei einer kurzen Ausfallzeit zutreffend sein, nicht dagegen bei längerer Krankheit. Ebenso ist die Inanspruchnahme eines von zwei GmbH-Gf als Haftungsschuldner ermessensfehlerhaft, nur weil er alleinvertretungsberechtigt ist, während der andere, der die GmbH nur gemeinsam mit einem anderen vertreten kann, von der Haftung freigestellt wird (BFH/NV 1996, 3). Es ist aber nicht ermessensfehlerhaft, wenn der für den technischen Bereich des Unternehmens zuständige Gf zu Lasten des kaufmännischen Geschäftsführers, den auch in Anbetracht der grundsätzlichen Gesamtverantwortung aller Gf (> Rz 164) für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten eine größere Verantwortlichkeit trifft, von der Haftung freigestellt wird. Bei seiner Ermessensentscheidung kann das FA auch berücksichtigen, dass dem kaufmännischen Gf leichter als dem technischen Gf grobes > Verschulden nachgewiesen werden kann (BFH/NV 1992, 575).

 

Rz. 168

Stand: EL 126 – ET: 04/2021

Die Ermessenserwägungen des FA müssen sich auf sämtliche Geschäftsführer erstrecken. Das gilt auch im Hinblick auf einen Nachfolgegeschäftsführer, der für die von seinem Vorgänger nicht abgeführten Steuern nach § 69 AO haftbar sein kann (BFH/NV 1993, 143) und auch für einen faktischen Gf (EFG 2004, 1192). Nimmt das FA nicht alle möglichen Haftungsschuldner in Anspruch, so ist seine Entscheidung im Rahmen des Auswahlermessens grundsätzlich rechtswidrig, wenn es die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen nicht ausreichend nachvollziehbar festhält (BFH/NV 1990, 71; 206; 1991, 500; EFG ...

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