Rz. 98

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

In den DBA, die auf dem OECD-MA aufbauen, verpflichten sich die Vertragsstaaten nicht nur dazu, Besteuerungsfälle, bei denen gegen Regelungen des DBA verstoßen wird, einer befriedigenden Lösung zuzuführen (Art 25 Abs 1 und 2 OECD-MA), sondern auch dazu, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des DBA entstehen, in gegenseitigem Einvernehmen zu beseitigen (Art 25 Abs 3 Satz 1 OECD-MA). Darüber hinaus kann auch darüber beraten werden, wie eine Doppelbesteuerung in Fällen vermieden werden kann, die im Abkommen nicht behandelt sind (Art 25 Abs 3 Satz 2 OECD-MA). Im Gegensatz zu den Verständigungsverfahren (> Rz 67 ff), in denen Einzelfälle einer Lösung zugeführt werden sollen, handelt es sich bei den durch Konsultationsverfahren zu klärenden Fragen um Auslegungsschwierigkeiten oder Lücken, die eine Vielzahl von Fällen betrifft, wenn sie auch durch einen Einzelfall ausgelöst worden sein können. Sie bedürfen keines Antrags eines Stpfl, sondern werden von Amts wegen eingeleitet, wenn die zuständigen Behörden dafür einen Bedarf erkennen. Die Ergebnisse derartiger Verfahren werden in der deutschen Abkommenspraxis in sog Konsultationsvereinbarungenzusammengefasst. Das sind einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines DBA mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, vor allem Schwierigkeiten oder Zweifel zu beseitigen, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen. Damit wird zB generell die Besteuerung bestimmter Sachverhalte wie etwa von > Entlassungsabfindungen (> Rz 273 ff) oder für > Grenzgänger (> Rz 237) einem der Vertragsstaaten zugeordnet.

 

Rz. 99

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Konsultationsvereinbarungen wurden ursprünglich durch BMF-Schreiben bekanntgegeben und waren dadurch nur für die FinVerw verbindlich. Um auch eine Bindung der Gerichte an Konsultationsvereinbarungen zu erreichen, wurde mit dem JStG 2010 vom 08.12.2010 (BGBl 2010 I, 1768 [1792] = BStBl 2010 I, 1394 [1418]) die Verordnungsermächtigung des § 2 Abs 2 AO geschaffen worden (Gesetzesbegründung in BT-Drs 17/2249, S 86). Sie ermächtigt das BMF, mit Zustimmung des BR Rechts-VOen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Einzelheiten zu den ergangenen Rechts-VOen finden sich bei den Länderstichworten.

 

Rz. 100

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Die vom Gesetzgeber erstrebte Bindung der Gerichte ist ua von der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigung in § 2 Abs 2 AO (> Rz 99) im Hinblick auf Art 80 Abs 1 Satz 2 GG abhängig. Danach dürfen VOen nur erlassen werden, wenn deren Inhalt, Zweck und Ausmaß im Gesetz bestimmt werden. Zweifel bestehen insbesondere daran, ob das Ausmaß der Regelungen ausreichend definiert ist. Sofern dies nicht der Fall ist, mangelt es insofern an dem in Art 20 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip, wonach – insbesondere bei Eingriffen des Staates in das Eigentum der Bürger – die Verwaltung nur im Rahmen der vom Parlament verabschiedeten Gesetze handeln darf. Soweit sich Konsultationsvereinbarungen darauf beschränken, Schwierigkeiten oder Zweifel im DBA auszuräumen (Art 25 Abs 3 Satz 1 OECD-MA), könnte § 2 Abs 2 AO somit noch eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellen. Vereinbarungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen, die im DBA bisher nicht geregelt sind (Art 25 Abs 3 Satz 2 OECD-MA), dürften diesen Rahmen jedoch sprengen. Das gilt umso mehr für Konsultationsvereinbarungen zur Vermeidung unbesteuerter ("weißer"; > Rz 15) Einkünfte, denn im Steuerrecht ist eine Ermächtigung zum Erlass von VOen nur dann hinreichend bestimmt, wenn der steuerliche Belastungstatbestand – der Steuerschuldner, der Steuergegenstand, die > Bemessungsgrundlage und der Steuersatz – im Parlamentsgesetz festgelegt wird (BVerfG 137, 350 vom 05.11.2014 – 1 BvF 3/11 "Luftverkehrsteuer", BGBl 2014 I, 1764). Wenn Einkünfte nach einem DBA von der Steuer befreit werden, können sie nicht aufgrund einer Konsultations-VO besteuert werden. UE ist eine auf § 2 Abs 2 AO gestützte Vereinbarung verfassungsgemäß, soweit sie das DBA lediglich auslegt. Sie unterliegt gleichwohl richterlicher Kontrolle sowohl hinsichtlich ihres formellen Zustandekommens als auch der Prüfung, ob sich die Auslegung in den Grenzen des DBA hält (vgl BFH 237, 360 = BStBl 2012 II, 880, Rz 16 mwN). Darüber hinaus entscheiden die Gerichte, ob im Einzelfall die Konsultationsvereinbarung zutreffend angewendet worden ist.

 

Rz. 101

Stand: EL 131 – ET: 09/2022

Der BFH hat sich bisher nicht abschließend zu der Frage äußern müssen, ob eine Konsultations-VO wegen fehlender Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage zu verwerfen ist. Er hat jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass eine im Rang einer Rechts-VO stehende Konsultations-VO keine Regelung treffen kann, die dem im Rang eines Gesetzes stehenden DBA widerspricht oder dessen Lücken ergänzt (vgl BFH 262, 54 = BFH/NV 2019, 62; BFH 250, 110 = BStBl 2016 II, 326; BFH/NV 2021, 698; BFH/NV 2021, 701). Das...

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